Spaltungskurs gegen Muslime zieht nicht: Indien-Wahl beschert Modi eine Schmach

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Unterstützer von Narendra Modi in Bangalore: Indiens Premierminister steht vor einer dritten Amtszeit. © Idrees Mohammes/AFP

Narendra Modis Partei hat die Indien-Wahl gewonnen – aber nur knapp. Der hindu-nationalistische Kurs des Premiers dürfte Wähler verschreckt haben.

Nach dem sechswöchigen Wahl-Marathon hätte es ein Erdrutschsieg werden sollen. Am Ende aber wurde es überraschend knapp für Narendra Modi, der Indien seit zehn Jahren regiert. Zwar ging Modis Partei, die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), als Siegerin aus der indischen Parlamentswahl hervor. Modi steht also vor der Wiederwahl und einer dritten Amtszeit. Allerdings verfehlte die BJP die Parlamentsmehrheit, sie kommt nach Auszählung eines Großteils der Stimmen auf nur rund 240 der 543 Sitze in der Lok Sabha, dem indischen Parlament. Nötig für eine Mehrheit wären 272 Sitze.

In den vergangenen zehn Jahren hatte Modis BJP das Regierungsbündnis National Democratic Alliance (NDA) dominiert und alleine eine Mehrheit im Parlament, nun ist sie auf zwei kleinere Partner angewiesen. Die Parteien Telugu Desam und Janata Dal erklärten am Dienstag, eine dritte Amtszeit von Narendra Modi zu unterstützen. Es ist dennoch eine Schmach für den selbstbewussten Premier. Er hatte das Ziel ausgegeben, mit seiner Allianz 400 Parlamentssitze zu holen. Die Wähler hätten Modi eine klare Botschaft mitgegeben, sagte Oppositionsführer Rahul Gandhi am Dienstagabend: „Wir wollen dich nicht.“

Parlamentswahl in Indien: Experte spricht von „überraschendem Ergebnis“

Von einem „überraschenden Ergebnis“ spricht Adrian Haack, der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi. Am Wochenende hatten Nachwahlbefragungen noch auf einen klaren Sieg für Modi hingedeutet, die Börsen reagierten zunächst euphorisch, am Dienstag dann fielen die Kurse zeitweise um acht Prozent. Die Abstimmung, die sich seit Mitte April hingezogen hatte, dürfte vor allem ein Votum über Modis Wirtschaftspolitik gewesen sein. Aber auch seine Versuche, Indien zu einem reinen Hindu-Staat umzubauen, trieben wohl viele Wähler zur Opposition.

Parlamentswahl in Indien

Die größte Parlamentswahl der Welt dauerte sechs Wochen, in mehreren Etappen wurde bis Samstag in den Bundesstaaten und Regionen des Landes abgestimmt. Etwa 970 Millionen von über 1,4 Milliarden Inderinnen und Inder konnten ihre Stimme abgeben, die Wahlbeteiligung lag am Ende bei rund 66 Prozent und damit etwa so hoch wie vor fünf Jahren.

„Wir haben mit 642 Millionen indischen Wählern einen Weltrekord aufgestellt, das ist für uns alle ein historischer Moment“, sagte Wahlleiter Rajiv Kumar am Montag. Weil kein Wähler mehr als zwei Kilometer zurücklegen sollte, um seine Stimme abzugeben, wurde die elektronischen Wahlmaschinen bis in die entlegensten Himalaya-Regionen transportiert.

Dutzende Wahlhelfer kamen in den vergangenen Wochen allerdings auch ums Leben, darunter alleine am Samstag im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh mindestens 33 Menschen, die bei Temperaturen von mehr als 45 Grad Celsius einen tödlichen Hitzschlag erlitten hatten.

Unter Modi ist der Subkontinent zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. In Indien werden iPhones zusammengeschraubt, wächst eine zunehmend selbstbewusste Mittelschicht heran, werden Flughäfen und neue Eisenbahnlinien aus dem Boden gestampft. Modi hat sich zum Ziel gesetzt, Indien bis 2047 zu einer entwickelten Nation zu machen. Es ist eine Erfolgsgeschichte – von der aber nicht alle gleichermaßen profitieren. Modis BJP wurde nun offenbar dafür abgestraft, dass der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre bei vielen Menschen nicht angekommen ist.

Laut Weltbank lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Indien im Jahr 2022 bei rund 2400 US-Dollar; verglichen mit fast 49.000 Dollar in Deutschland und knapp 13.000 US-Dollar in China ist das immer noch sehr wenig. Zudem ist die Arbeitslosigkeit hoch. „Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit wird die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre sein“, sagt Haack.

Ergebnis der Indien-Wahl: Modi vor dritter Amtszeit – Rivale von der Opposition im Gefängnis

Wenig Platz in Modis neuem Indien haben auch die mehr als 200 Millionen Muslime im Land. Im Wahlkampf, der zunächst nur schleppend anlief, beschimpfte Modi sie als „Eindringlinge“, offenbar wollte er so seine Stammwähler mobilisieren. Im Januar weihte Modi im nordindischen Ayodhya einen Hindu-Tempel ein – errichtet auf den Ruinen einer Moschee, die ein fanatischer Hindu-Mob 1992 zerstört hatte. Dort, im Bundesstaat Uttar Pradesh, hat Modis BJP nun offenbar auch Stimmen eingebüßt. Unter Modi ist die Religion politisch geworden. Statt das Volk zu einen, wie einst Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi, setzt er auf Spaltung.

Hätte Modis Allianz in Parlament eine „Supermehrheit“ von 400 Sitzen errungen, sie hätte Indiens säkulare Verfassung ändern und aus dem Land einen Hindu-Staat machen können. Eine Vorstellung, die vielen Wählerinnen und Wählern offenbar Angst gemacht hat. Unter Führung von Rahul Gandhi, dem Enkel der einstigen indischen Premierministerin Indira Gandhi, konnte die im Bündnis INDIA vereinigte Opposition überraschend zulegen, auf wohl mindestens 230 Sitze. Alleine von Gandhis Kongresspartei, die bislang 46 Sitze im indischen Parlament hat, dürften rund 100 Abgeordnete ins neue Parlament einziehen. Die BJP hatte die Kongresspartei 2014 erstmals seit Jahrzehnten von der Macht verdrängt.

Dabei hatte Modi auch diesmal alles daran gesetzt, die Opposition kleinzuhalten. Im März wurde Arvind Kejriwal festgenommen, der Regierungschef des Hauptstadt-Bundesstaats Delhi und Modis lautester Rivale. Die Behörden werfen ihm Korruption vor, was Kejriwal vehement bestreitet. Seine Anhänger wittern politische Gründe. Ein paar Wochen war Kejriwal zuletzt gegen Kaution auf freiem Fuß, am Wochenende kehrte er ins Gefängnis zurück.

Premier im Indien-Wahlkampf im Mittelpunkt: „Modi ist die Garantie“

Von westlichen Regierungen hört man dennoch nur selten Kritik an Modi. Joe Biden, Olaf Scholz – sie hofieren den starken Mann aus Indien. Weil das Land im Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle spielt, schließlich leben dort mehr Menschen als in jedem anderen Staat der Erde. Und weil Indien eine Art Bollwerk ist gegen seinen großen Nachbarn, die Einparteiendiktatur China. Da verzeiht man dem Land auch seine Nähe zu Russland, der auch der Ukraine-Krieg kaum Abbruch getan hat.

Mehr als 8300 Kandidaten hatten in den vergangenen Wochen um Wählerstimmen gekämpft, geprägt hat den Wahlkampf aber vor allem der Premierminister. Das Programm seiner BJP ließ er mit „Modi Ki Guarantee“ überschreiben, „Modi ist die Garantie“. Vor ein paar Tagen erklärte er gar in einem Interview mit dem Fernsehsender NDTV, der als Modi-Sprachrohr gilt, Gott habe ihn auf eine persönliche Mission geschickt. Offenbar war das manchen Wählern dann doch zu viel. Indiens Demokratie, die in den vergangenen zehn Jahren so oft totgesagt wurde, ist jedenfalls noch nicht am Ende.

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