Nicht mal jede zweite Geburt im Erdinger Klinikum

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Fordern mehr Solidarität: OB Max Gotz und Stadtrat Burkhard Köppen (v.r.) wundern sich, dass nicht mal die Hälfte aller Geburten im Landkreis im Erdinger Klinikum stattfinden. © Dieter Priglmeir

OB Gotz und Stadtrat Köppen fordern mehr Solidarität von Ärzten, Hebammen und Bürgerschaft ein

Lieber ein defizitäres Krankenhaus als gar keins, da waren sich die Besucher des Erdinger CSU-Stammtisches im Gasthof Kreuzeder einig. Thema war die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Weg gebrachte Krankenhausreform. Und da galt der Blick vor allem den Häusern in Erding und Dorfen, für deren Erhalt sich der Kreistag in einer Resolution stark gemacht hat.

Allerdings müsse der Kreis derzeit jährlich 14 bis 17 Millionen Euro zuschießen, wie OB Max Gotz erklärte. „Ein Defizit würden wir schon aushalten, aber nicht in dieser Dimension“, sagte er.  Eine Hausnummer wie beim ÖPNV, den sich der Landkreis als freiwillige Leistung über acht Millionen Euro kosten lasse, sei „durchaus darstellbar, aber das ist ja das Doppelte“.

Strukturkosten nicht berücksichtigt

„Es ist unseriös zu sagen, wir gehen mit fünf Millionen mit. Wenn es acht kostet und die Qualität passt, dann wird der Kreistag mit Sicherheit eine Empfehlung bekommen“, sagte Gotz mit Blick auf Dr. Thomas Bauer, Sprecher der CSU-Kreistagsfraktion. „Aber wir streiten weniger über das Geld“, meinte der OB. „Das Ärgernis ist, dass die Kommunalebene nicht mehr gehört wird.“

Aus der Praxis konnte Burkhard Köppen sprechen, „49 Jahre in Krankenhäusern aktiv, davon 23 in Erding“, wie der Stadtrat betonte. Erding sei in den vergangenen zehn Jahren massiv umgebaut, „aber trotzdem nicht gesund geworden“. Das liege aber insbesondere an der Struktur, wie in Deutschland seit 2004 die Kliniken finanziert werden.

Und das seien die aus Australien eingebürgerten Diagnosis Related Groups (DRS), die eine Vielzahl unterschiedlicher Diagnosen- und Behandlungen zu Gruppen mit vergleichbarem ökonomischem Aufwand zusammenfassen und eingruppieren. „Das bildet bestenfalls die Gesundheitsleistungen ab, aber nicht die Strukturkosten, die eine große Klinik hat. Die sind ja kein Selbstzweck, sondern dazu da, für ihre Bevölkerung die Versorgung sicherzustellen.“

Einen großen Wurf könne er in Lauterbachs Plänen nicht entdecken, meinte Köppen, aber Murks. „Die Notfallversorgung ist völlig unterfinanziert und wird mit geringen Pauschalen bezahlt. Es wäre eine Katastrophe, wenn Erding seine Stufe als Notfallversorgung verlieren würde. Vor zehn Jahren hat weder jemand von einem CT oder MRT gesprochen, aber Bildgebung in Notfällen ist heute der Standard. Diese Geräte sind sehr teuer und personalintensiv.“ Er selbst habe schon vor Jahren vorgeschlagen, dass sich der Landkreis mit eigenen Notfallpraxen niederlässt und diese Versorgung übernimmt, weil sie offensichtlich für niedergelassene Ärzte nicht attraktiv genug ist.

Dem System schnell 1000 Euro gespart

Manchmal geht’s sogar noch unkomplizierter. Köppen erzählte von seinem Einsatz am Tag zuvor als Wasserwachtler, als er ein Mädchen mit einem Kreislaufkollaps betreute und der Rettungswagen dann nicht mehr nötig war. „Da haben wir dem System 1000 Euro gespart.“ Ein Beispiel, das auch Gotz gefiel. „Die Bürger müssen wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen. Früher hat man sich daheim versorgt, heute löst man sofort eine Maschinerie aus.“ 

Natürlich sei es gut, dass Notfallsysteme funktionieren wie etwa am Sonntag, als zwei Kinder am Kronthaler Weiher vermisst und nach 20 Minuten gefunden wurden. „Aber wenn man auf die Krankenhausversorgung kommt, muss man schon zugeben, dass es ein dickes Brett ist mit vielen Verästelungen.“  

Eine ärztliche Versorgung wie bisher werde auf Dauer nicht so bleiben können, räumte Gotz ein, aber das von Lauterbach angeregte Modell einer Notfallversorgung sei eine „unausgegorene Idee, wo man dann irgendwo so ein Zentrum hinpflanzt und wo man ja auch wieder Leute braucht, die man gar nicht hat.“ 

Gotz kritisierte aber auch die Landeskrankenhausplanung Bayerns, „die es eigentlich nicht gibt, obwohl sie sie geben sollte“ und warf auch der eigenen Partei „Sorglosigkeit“ vor. „Es ist schön, dass wir Unikliniken zum Beispiel in Deggendorf haben, aber unsere Häuser kommen gar nicht mehr vor.“

Wenn man 16 bis 17 Millionen Euro jährlich in die Kliniken legen müsse, „dann läuft 16 bis 17 Millionen Mal was schief“, so Gotz. Reformen seien nötig, „aber man muss mit uns reden“, weil die Kommunalpolitiker hier die konkreten Probleme kennen würden.

Ein Beispiel: Im Landkreis gebe es zwar jährlich 1400 Geburten, „aber keine 700 im Klinikum, obwohl wir massiv investiert haben. Wenn wir pro Geburt 2000 Euro Minimum drauflegen, dann wird’s schon auch schwierig“. Man müsse auch von der Bürgerschaft erwarten, „dass sie mehr zu unseren Häusern steht, sonst fehlen uns die Argumente“.

Stolz auf den Leuchtturmmediziner

Köppen stellte die Stärken des Erdinger Klinikums heraus. Mit Dr. Mojtaba Sadeghi habe man einen Chefarzt für Gefäßchirurgie, der in seinem Metier „deutschlandweit an vierter Stelle der erfolgreichen Operateure steht. Er ist einer der Leuchtturmmediziner in Deutschland“. 

Eine große Errungenschaft sei der Herzkatheter, den man vor vielen Jahren eingeführt habe. „Der Herz- oder Hirnfarkt kommt nicht zwischen 8 und 16 Uhr. Das Klinikum muss sich die Notfallbereitschaft leisten können, denn eine Fahrt bis nach Landshut, München oder Rosenheim raubt den Menschen die Lebenschance.“

Die Komplexbehandlungen in Intensiv- und Anästhesie-Medizin und „die hervorragende Ausbildungsstätte im Bereich der Krankenpflege, die zu den zehn besten Schulen in Bayern gehört“, sind für Köppen Beispiele; „dass sich der Landkreis etwas leistet“.  Erding könne stolz auf sein Klinikum sein, „und wir müssen alles dafür tun, um das zu halten“.

Das hohe Defizit sei durch mangelnde Refinanzierung einzelner Behandlungen entstanden. Zudem müssten Bund und Länder die Struktur finanzieren, „und zwar in einem Ausmaß, die der modernen Medizin entspricht und nicht der Medizin vor zehn Jahren“.

Auch Köppen ärgerte sich, dass nicht mal die Hälfte aller Geburten in Erding stattfinden. „Wo ist da die Solidarität der Gynäkologen und Hebammen?“ Auch die Bürger sollten sich zu ihrem Landkreis bekennen. „Die Menschen werden es tun, wenn auch die begleitenden Ärzte die Empfehlung geben, nach Erding zu gehen“, erwiderte Gotz. „Aber an dem scheitert es.“ Das müsse man so sagen, „auch wenn sich der ein oder andere jetzt auf die Füße getreten fühlt“.

Bauer: Keine Überversorgung

Eine Lanze fürs Erdinger Krankenhaus brach Kreis- und Stadtrat Thomas Bauer. Ob Herzkatheter, Urologische Abteilung oder Gefäßchirurgie – „wir haben uns immer überlegt, ob die Menschen, das hier brauchen“. Die von Minister Lauterbach kritisierte Überversorgung habe es in Erding nicht gegeben.

Auch der zweite Punkt des Bundesgesundheitsministers, dass es nur darum gehe, Geld zu verdienen, „nein, so ist es nicht, einen gewissen ethischen Ansatz hat man schon auch noch als Arzt“, betonte Dr. Bauer, selbst Mediziner.

Und er widerspricht Lauterbach auch, dass es beste Medizin nur in der Uniklinik gebe. Gerade Dr. Sadeghi sei ein Gegenbeispiel. „Wir finden, dass das, was wir gerade unseren Bürgern im Landkreis anbieten, auch tatsächlich da sein soll.“

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