„Ignorieren unser Potenzial“: Russland schickt Atom-Warnung an Nato – und will den Ton weiter verschärfen
In Moskau geht die Theorie um, die Atomdrohungen im Ukraine-Krieg würden im Westen nicht verfangen. Ein Vertrauter von Wladimir Putin will das ändern.
Moskau – Für Russland läuft der Ukraine-Krieg nicht wie geplant. Nicht an der Front, wo seit vielen Monaten kaum Geländegewinne an Kreml-Chef Wladimir Putin gemeldet werden können. Und noch weniger hinsichtlich der verbalen Aufrüstung gegenüber dem Westen. Die Drohgebärden aus Moskau scheinen in Berlin, Paris, London oder Washington nicht so zu verfangen wie erhofft.
Deshalb fordert Sergej Rjabkow eine Taktikänderung, wenn es darum geht, auch jenseits der überfallenen Ukraine Ängste zu schüren. Wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtet, hielt der stellvertretende Außenminister im TV-Sender Channel One fest: „Die Erfahrung bei der Durchführung einer militärischen Spezialoperation hat unter anderem gezeigt, dass die allzu verallgemeinerten Formulierungen, die in unseren grundlegenden Lehrdokumenten im Nuklearbereich enthalten sind, unzureichend sind.“

Russland und die Atom-Warnung: „Unwissenheit des Westens und der Nato-Staaten über unser Potenzial“
Heißt wohl: Die Führungsriege um Putin soll künftig bei ihren Drohungen konkreter werden. Da dürfte wohl vor allem der in diesem Metier sehr bewanderte Ex-Präsident Dmitri Medwedew genau hinhören. Rjabkow plädiert auf jeden Fall dafür, die von Russland als Atommacht ausgehende Gefahr für die Welt deutlicher hervorzuheben.
„Das Ignorieren unseres Potenzials in diesem Bereich durch den Westen und vor allem durch die Nato-Staaten sowie deren interne Überzeugung, das Schlimmste werde schon nicht eintreten, (…) zeigt die Notwendigkeit auf, klarer und eindeutiger zu sagen, was passieren könnte, wenn sie so weitermachen“, gibt der 64-Jährige den Weg vor.
Das Verhalten ist laut Rjabkow „sehr charakteristisch für die Nato“. Der Stellvertreter von Sergej Lawrow scheint regelrecht zu befürchten, dass sich der Westen über Nukleardrohungen nicht aufschrecken lässt und wirkt gefrustet: „Die politische Taubheit derjenigen, die die Position Washingtons, Brüssels und anderer westlicher Hauptstädte in diesem Bereich vertreten, ist umfassend. Therapeutische Maßnahmen auf einige verbale Signale wirken immer weniger.“
Video: Stationierung von US-Raketen - Kreml droht mit Angriffen auf europäische Hauptstädte
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Wagt Putin den Atomschlag? Europa diskutiert über möglichen Einsatz von Nuklearwaffen durch Moskau
Gerade in Europa wird seit Beginn der Invasion aber eben doch darüber diskutiert, wie realistisch ein Atomschlag durch Moskau sein könnte. Dabei steht einerseits die Meinung im Raum, Putin würde auf keinen Fall so weit gehen, weil er trotz all seiner zerstörerischen Pläne immer noch rational vorgeht und weiß, dass er in der Welt weiter Verbündete brauchen wird.
Andererseits gibt es auch Stimmen, die zu bedenken geben, dass der russische Präsident im Angesicht einer möglichen Niederlage im Ukraine-Krieg auch die letzten Hemmungen fallen lassen könnte und die Welt in Brand setzen würde, wenn sein Ende nah scheint. Diese Theorie wird etwa von Akteuren gestützt, die sich einen Frieden um jeden Preis wünschen. Demnach wäre eine Ausweitung Russlands auf ukrainisches Territorium, etwa die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete, das kleinere Übel im Vergleich mit einem drohenden Atomkrieg.
Russland im Ukraine-Krieg: Putin-Vertrauter wirft Westen „Spiel mit dem Feuer“ vor
Der Einsatz von Nuklearwaffen durch Putin wird also auch in weiten Teilen des Westens nicht völlig ausgeschlossen. Rjabkow aber will offensichtlich, dass dies auch als wirklich realistische Option betrachtet wird. In seinem TV-Auftritt erinnerte der Politiker auch an die Militärdoktrin, die festhält, wann der Rückgriff auf Atomwaffen zulässig wäre. Erst wenige Tage vorher hatte er im russischen außenpolitischen Magazin International Affairs erklärt, die aktuell gültige Militärdoktrin müsse wegen des Konflikts in der Ukraine möglicherweise überarbeitet werden.
Problematisch sieht Rjabkow, dass Moskau zwar immer wieder vermeintliche Rote Linien zieht, aber angeblich nichts passiert, wenn diese überschritten werden. Gemeint ist womöglich die westliche Bereitstellung von Kampfpanzern wie dem Leopard für die Ukraine, die Freigabe von westlichen Waffen für Angriffe Kiews auf Militärstellungen in Russland oder die bevorstehende Übergabe von F-16-Kampfjets in womöglich dreistelliger Anzahl.
Der Ton aus Moskau könnte künftig also noch eine Spur schärfer werden, um das Ziel zu erreichen, den Westen einzuschüchtern und womöglich von weiterer Unterstützung der Ukraine abzuhalten. Rjabkow findet aber auch, dass nicht alles öffentlich angekündigt werden sollte, „aber wir sagen öffentlich, dass die Warnungen immer ernster werden. Sie fangen an, buchstäblich ein großes Spiel mit dem Feuer zu spielen.“ (mg)