Der eine Tropfen zu viel: Über 600 Landwirte demonstrieren bei Sindelsdorf gegen die Pläne der Bundesregierung
Sindelsdorf – Nach Altenstadt und Weilheim lud der Kreisverband des Bayerischen Bauernverbands am gestrigen Freitag zur dritten Protestkundgebung ein. Dieses Mal versammelten sich nach ersten Schätzungen der Polizei über 600 Teilnehmer mit etwa 500 Bulldogs, Lastwagen oder Kleintransportern auf einer Wiese nahe des Sindelsdorfer Ortsteils Urthal.
„Wenn wir nicht jetzt demonstrieren, wann dann?“, fragte eine Austragsbäuerin aus Oberhausen. Die Landwirtin ist 72 Jahre alt und geht derzeit an einer Krücke. Trotzdem ist sie mit ihrem Sohn nach Sindelsdorf gefahren. Denn sie mache sich Sorgen, dass der Junior den Familienbetrieb mit rund 80 Milchkühen nicht werde halten können, wenn die Pläne der Bundesregierung zu Agrardiesel-Besteuerung und Co. umgesetzt werden. Außerdem: „Man muss sich auch mal wehren“, fand sie und sprach damit aus, was die Menschen um sie herum denken mochten, die sich an diesem frostigen Vormittag – teils mit Kuhglocken und Tröten ausgestattet – auf der großen Schneefläche unweit der B 472 versammelt hatten.
Bis zu fünf Reihen Traktoren standen in einem Halbkreis dicht an dicht hintereinander. Viele mit großen Plakaten an ihrer Vorderseite. „Das Fass ist übergelaufen“, stand da etwa zu lesen. Oder: „Ist der Bauer ruiniert, wird das Essen importiert.“ Die stellvertretende Kreisbäuerin Maria Lidl war bereits Stunden vor Beginn vor Ort, um an frierende Demonstranten Punsch auszuschenken. Zur Stärkung gab‘s Brezen und Leberkässemmel.
Aus großen Boxen auf der eigens aufgebauten Bühne wummerte Partysound. Wäre der Anlass nicht so ernst, hätte man alles für eine große Faschingsgaudi halten können. Aber Lidl ist alles andere als zum Lachen zu Mute. Zu viel habe sich bei den Landwirten aufgestaut. „Brennen tut‘s schon lange.“
Solidarität von anderen Berufsgruppen
Lidl kritisiert die „Regulierungswut“ in Deutschland, die fehlende Planungssicherheit für Bauern, die aktuelle Düngeverordnung und den Umgang mit dem Wolf. Die jetzt im Raum stehenden Kürzungen beim Agrardiesel seien nur der eine Tropfen zu viel. „Es war uns aber ganz wichtig, dass wir andere Berufsgruppen mitnehmen, die auch betroffen sind“, sagte Lidl und nannte Speditionen oder Handwerker. Von ihnen nahmen auch Vertreter als Redner teil; unter anderem der Sindelsdorfer Müller Martin Sonner und der Bichler Metzger Rudolf Kramer.
Um 11 Uhr sollten die ersten Reden beginnen. Weil sich aber laut Polizei ein Stau bis in die Penzberger Innenstadt bildete, konnten die ersten der acht geplanten Redner erst nach 11.30 Uhr aufs Podium steigen. Einer von ihnen war BBV-Kreisobmann Wolfgang Scholz, der unter anderem die strengen Tierschutzauflagen kritisierte und immer wieder „Jetzt reicht‘s!“ ins Mikrofon rief – ein Kampfruf, der von der Menge bereitwillig aufgegriffen wurde.
Kritik an der Regulierungswut
Auch der Sindelsdorfer Bürgermeister und Schreiner Andreas Obermaier trat ans Podium. „Wir stehen hinter Euch. Macht‘s nur weiter so“, rief er der Menge in seiner Funktion als CSU-Ortsvorsitzender zu. Als Bürgermeister wisse er aus eigener Erfahrung, wie sehr man von den deutschen Behörden ausgebremst werde. Obermaier gab bezüglich der langen Staus im Zuge der Proteste aber auch zu bedenken: „Wir treffen mit solchen Aktionen nicht den Herrn Scholz. Wir treffen das eigene Volk.“
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Dabei, so betonte BBV-Ortsobmann Hans-Georg Off, der als Moderator durch die Kundgebung führte, wollten die Bauern gar nicht demonstrieren. Viel lieber würden sie ihrem Beruf nachgehen. „Wir wollen so gut es geht die Menschen ernähren.“ Aber aus der Politik bekäme die Branche schon lange keinen Rückhalt mehr. Vor allem für landwirtschaftliche Kleinbetriebe werde die Luft seit Jahren dünner. Jetzt protestierten auch andere Branchen gegen die aktuelle Politik. „Jetzt ist eine Wucht da. Alle suchen den Schulterschluss.“ Das wollten an diesem Tag laut Lidl auch einige Vertreter aus der rechten Szene. Von dieser nicht instrumentalisiert zu werden, „das ist mir brutal wichtig“, betonte sie. Zwischenfälle gab es laut Polizei bei der Kundgebung keine.
In Weilheim hatte es erst vor einigen Tagen eine Protest-Kundgebung der Landwirte gegeben.