Windenergie: Auf Grafinger kommt Bürgerentscheid zu

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„Uns werden immer mehr Aufgaben aufgebürdet, ohne für die entsprechende Gegenfinanzierung zu sorgen“: Christian Bauer (54), seit 2020 Bürgermeister der Stadt Grafing. © SRO EBERSBERG

Die Grafinger sollen darüber entscheiden, ob bei Nettelkofen die erste Windkraftanlage der Stadt entstehen soll. Einen Bürgerentscheid dazu kündigte Bürgermeister Christian Bauer (CSU) an.

Grafing – Man sieht ihn in Grafing öfter mit dem Fahrrad fahren als im Auto sitzen, er hat als Bürgermeister seine private Handynummer ins Netz gestellt, damit er jederzeit erreichbar ist, und er gilt als scharfer Kritiker von Bund, Land und Kreis, wenn es um die ausreichende Finanzierung der Gemeinden geht. Wir fragten der Grafinger Bürgermeister Christian Bauer (54), wie es im nächsten Jahr weitergehen soll.

Die Stadt Grafing hat seit vielen Jahren Rekordsteuereinnahmen. Trotzdem fordert die Verwaltung den Stadtrat alljährlich zur Sparsamkeit auf und warnt vor der Erfüllung von „Sonderwünschen“ der Bürger. Woran liegt das?

Uns werden immer mehr Aufgaben aufgebürdet, ohne für die entsprechende Gegenfinanzierung zu sorgen. Bei der Kinderbetreuung zum Beispiel haben die Eltern einen Rechtsanspruch und die Kosten haben sich für die Kommunen in den letzten sechs Jahren verdoppelt. Immer mehr Bürokratie erfordert immer mehr Personal. Dadurch können wir zu wenige Mittel für wichtige Investitionen erwirtschaften und benötigen Kredite. Sonderwünsche erhöhen die Verschuldung und sind schwer zu verantworten, weil wir der nächsten Generation große Lasten aufbürden.

Im Grafinger Verwaltungshaushalt schlägt der Aufwand für das Personal mit 21 Prozent zu Buch, der sächliche Verwaltungs- und Betriebsaufwand zusätzlich mit 24 Prozent. Dazu kommt die Kreisumlage, die 28 Prozent des Verwaltungshaushaltes verschlingt. Die Zuführung zum Vermögenshaushalt liegt dagegen bei nur drei Prozent. Ist das noch gesund?

Je höher der Überschuss bei den laufenden Einnahmen und Ausgaben ist, desto besser ist die Lage der Kommune. Wir müssen daran arbeiten, die Zuführung auf mindestens zehn bis 15 Prozent zu erhöhen, weil wir sonst zu viel über Kredite finanzieren müssen. Das ist nicht gesund. Die Verschuldung belastet über die Zinsen den Verwaltungshaushalt und schränkt uns dort wieder ein.

Ein Bürgermeister aus dem Landkreis hat einmal ausgerechnet: 40 neue Planstellen im Landratsamt Ebersberg machen einen Punkt mehr aus bei der Kreisumlage. Auch Sie haben die Höhe der Kreisumlage wiederholt öffentlich kritisiert.

In meinen Augen zu Recht, da die Höhe Kreisumlage die Handlungsspielräume der Kommunen einschränkt. Viele Kommunen im Landkreis können ihre Haushalte nur mehr schwer ausgleichen und müssen ihre Leistung für die eigenen Bürgerinnen und Bürger stark einschränken. Darauf muss der Landkreis bei seinen eigenen Planungen mehr Rücksicht nehmen. Keine der 21 Landkreiskommunen könnte sich eine Anhebung der Stellen um zehn Prozent leisten.

Bei den Standesämtern gibt es bereits eine interkommunale Zusammenarbeit. Die Idee eines gemeinsamen Bauhofes für das Mittelzentrum Grafing-Ebersberg wurde dagegen wieder beerdigt. Gibt es so etwas wie das Mittelzentrum überhaupt, oder ist das eine Erfindung der Regierung von Oberbayern?

Ich finde schon, dass der Begriff Mittelzentrum in unserem Fall gerechtfertigt ist, wenn man sich die Infrastruktur und Bedeutung unserer beiden Städte für das gesamte Umland näher anschaut. Neben Schulen und anderen Kinderbetreuungseinrichtungen gibt es auch in Sachen Sport und Freizeit, aber auch beim Gewerbe, dem Einzelhandel und der Versorgung alles, was man sich vorstellen kann. Wir haben gerade im Süden und Osten ein nicht zu unterschätzendes Einzugsgebiet und arbeiten auch als Kommunen bereits seit Jahren bei unseren Schwimmbädern zusammen.

Könnte mehr Zusammenarbeit den Kommunen beim Sparen helfen, ohne Effektivitätsverlust? Brauchen wir eine neue Gebietsreform?

Sicher wäre auch ohne Effektivitätsverlust eine noch engere Zusammenarbeit denkbar. Eine Gebietsreform halte ich nicht für sinnvoll, weil den Bürgern unserer Städte auch eine eigene Identität wichtig ist. Nach meiner Erfahrung ist für eine Kommune eine Größe von 10 000 bis 30 000 Einwohner ideal, weil sie so ihre Aufgabe erfüllen kann, ohne dabei überfordert zu sein.

Sie haben als einer der wenigen Bürgermeister im Landkreis auf der Homepage der Stadt ihre private Handynummer ins Netz gestellt und lesen ihre E-Mails auch im Urlaub. Wann haben Sie mal richtig Pause?

Eigentlich nie. Dafür bin ich viel zu sehr interessiert an meinem Job. Trotzdem nehmen sehr viele Bürgerinnen und Bürger auf meine Privatsphäre Rücksicht und ich werde in meiner Freizeit nicht übermäßig belastet. Trotzdem bin ich immer erreichbar.

In Grafing gibt es Themen, die gab es schon, bevor sie Bürgermeister wurden. Warum geht eigentlich mit einem effektiven Hochwasserschutz am westlichen Ortsrand der Stadt nichts voran und warum ist das alte Schulhaus in der Rotter Straße immer noch eine Ruine mitten in der Stadt?

Für das alte Schulhaus in der Rotter Straße habe ich in meinem Wahlprogramm, das einen Plan für die Jahre bis 2030 enthält, eine Lösung skizziert, an der wir momentan s arbeiten. Für die noch in dem Gebäude befindlichen Nutzer müssen wir Lösungen finden. Dafür sind wir auf einem guten Weg. Der Hochwasserschutz ist ein sehr zeitaufwändiges Thema bei dem aber schon viel passiert ist. Die Renaturierung am Wieshamer Bach und die Maßnahmen, die wir für 2024 an der Urtel und am Fehlbach planen, dienen dem Hochwasserschutz. Weiter achten wir auf eine regelmäßige Räumung der Bachkanäle im Stadtgebiet. Für die Retentionsflächen im Westen von Grafing an der Urtel ist das Verfahren ebenfalls begonnen. Hier ist aber auch eine einvernehmliche Lösung mit den Grundstückseigentümern notwendig. Wir haben uns hier auch personell im Bauamt verstärkt und wollen das Thema vorantreiben.

Den Grafinger Bürgermeister sieht man öfter mit dem Fahrrad fahren als mit dem Auto. Ist das Show oder Überzeugung?

Für mich ist das schon Überzeugung, wobei man ja sagen muss, dass die Strecken innerhalb Grafings relativ kurz sind und man mit dem Fahrrad problemlos und oft schneller als mit dem Auto vorankommt. Gesund ist es außerdem.

Wann wird der Marktplatz zur Fußgängerzone?

Ich glaube nicht, dass der Marktplatz jemals zur Fußgängerzone wird. Nach der Abstufung der Straßen ist es Ziel, eine Art „Shared Space“ einzurichten, also eine Zone, wo Autoverkehr und Fußgänger gleichberechtigt sind. Vielleicht wird es einige Parkplätze weniger geben. Wir haben ja auch eine neue Tiefgarage in Zentrumsnähe unter dem Seniorenheim gekauft. Aber ein völlig autofreier Marktplatz würde der Wirtschaft und damit der Attraktivität des Marktplatzes schaden.

„Ich glaube nicht, dass der Marktplatz jemals Fußgängerzone wird“, sagt Christian Bauer, Grafinger Bürgermeister.
„Ich glaube nicht, dass der Marktplatz jemals Fußgängerzone wird“, sagt Christian Bauer, Grafinger Bürgermeister. © Stefan Rossmann

Die Windradpläne der Stadt am Standort Nettelkofen sind bisher recht geräuschlos vorangetrieben worden. Sind die Grafinger besonders duldsam?

Die Grafinger waren eigentlich in der Vergangenheit bei Großprojekten oft kritisch. Allerdings glaube ich, dass viele die Notwendigkeit der Energiewende sehen. Die in Aussicht gestellte Bürgerbeteiligung erhöht vermutlich ebenfalls die Akzeptanz. Wir werden aber einen Bürgerentscheid in Form eines Ratsbegehrens durchführen, weil dieses Projekt von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger befürwortet werden muss. Sonst setzen wir es nicht um.

Die Stadt Grafing protestiert, die Bahn macht doch, was sie will. Ist dieser Eindruck korrekt, wenn man die Entwicklung beim Brenner-Nordzulauf ansieht?

Genauso ist es. Allerdings erkennt auch die Bahn die Notwendigkeit der Verbesserung bei der von ihr gewählten Strecke Limone. Die Streckenführung durch das Wasserschutzgebiet in Oberelkofen verletzt die Stadt Grafing in ihrem elementaren Recht auf Schutz der Wasserversorgung. Deshalb konnten in vielen bilateralen Gesprächen erhebliche Verbesserungen erzielt werden. Großes Thema bleibt der Lärmschutz an der Bestandsstrecke, der noch deutlich verbessert werden muss, damit unsere Bürgerschaft ausreichend geschützt wird. Dafür machen wir uns weiter stark.

Wann werden Sie den ersten Abschlussjahrgängen der neuen Berufsschule in Grafing-Bahnhof gratulieren können?

Ich hoffe, bald. Anfang des neuen Jahres werden wir das Baurecht auf dem Grundstück geschaffen haben, und die Planungen könnten starten. Die Schule muss ja nicht gleich in ihrem endgültigen Ausbauzustand errichtet werden. Man könnte aber modulartig bauen, und so die Schule auch für den Landkreis finanzierbar machen. Dafür gibt es gute Beispiele in Cham oder Weilheim. Die Berufsschule finanziert sich über die Jahre über die Gastschulbeiträge selbst. Das wissen auch die Kreisräte.

Was wünscht sich Grafings Bürgermeister für das neue Jahr?

Ich wünsche mir zufriedene Bürgerinnen und Bürger und Gesundheit sowie Glück. Gut wären außerdem noch ausreichende Einnahmen für unsere Projekte. Dann wäre ich schon zufrieden.

erst mal entspannen. „Ich gehe Skifahren.“
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