Neuer Ultraleicht-Helikopter made in Schongau

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Paul Ressle und der „ClassiX“: Der Schongauer ist stolz auf sein „Baby“, einen völlig neuen Ultraleicht-Helikopter. © Gallmetzer

Der Traum von Paul Ressle ist es, der zweitgrößte Hersteller von Hubschraubern in Deutschland zu werden. Sein erster selbst entwickelter Ultraleicht-Hubschrauber steht bereits fertig in einer Lagerhalle im Schongauer Gewerbegebiet Ost.

Schongau – Schon als Kind war Paul Ressle klar: Er möchte abheben. Von der Modellbauleidenschaft seines Vaters gepackt, waren es zunächst Miniaturflugzeuge, die er steigen ließ. „Fünf Liter Sprit und meine Modelle. Mehr brauchte ich nicht“, erinnert sich der Schongauer.

Mit 16 Jahren wollte er mehr. Fast jeden Tag lief er den Tegelberg hinauf, in dessen Nähe er ein Internat besuchte, und schaute den Drachenfliegern zu. Die Theorie eignete er sich so an. „Hätte mir jemand den Drachen gegeben, wäre ich runter geflogen“, ist er sich sicher. Die Eltern verwehrten die nötige Unterschrift zum Fliegen jedoch. „Am 18. Geburtstag stand ich dann aber da und habe selber unterschrieben“, sagt Ressle mit schelmischem Grinsen.

Von diesem Moment an war er nicht mehr zu bremsen. Doch hatte er sich geschworen: „Wenn du in irgendeine scheiß Situation kommst, hörst du auf.“ Daher legte er stets besonderen Wert auf die genaue Einhaltung aller wichtigen Sicherheitsregeln.

Das erste Geld nach seinem Studium investierte der Diplomkaufmann in einen Flugschein. Jahrelang restaurierte er alte Flugzeuge und flog damit zahlreiche Stunden. Später folgte der Schritt zum Fluglehrer und Berufspiloten für den heute 62-Jährigen, der lange mit einem großen Hubschrauber unterwegs war.

Denn erst seit 2016 sind Ultraleicht-Hubschrauber in Deutschland erlaubt. Zunächst durften sie nur 450 Kilogramm wiegen – inklusive Passagiere und Sprit. „Nahezu unmöglich“, findet Ressle. Als die Grenze des maximalen Abfluggewichts auf 600 Kilogramm erhöht wurde, gründete er 2018 seine Flugschule in Tannheim. „Irgendwann kommt alles zusammen und ich dachte mir: jetzt oder nie“, erzählt er und erklärt: „In Deutschland herrschte in diesem Bereich ein weißer Fleck.“

Neuer Ultraleicht-Helikopter made in Schongau: Gründung der Firma „evocopter“

Gleiches galt für das Angebot an UL-Hubschraubern. Die Modelle, die in der Flugschule benutzt wurden, stellten den Fluglehrer nicht zufrieden, da viele von ihnen in seinen Augen zu unzuverlässig und unsicher waren. „Ich hatte zwei Möglichkeiten: Die Flugschule schließen oder aggressiv und progressiv nach vorne gehen.“ So entschied er sich dazu, in den Hubschrauberbau einzusteigen und gründete seine Firma „evocopter“. Gleichzeitig erkannte er die große Herausforderung: „Bei 380 Kilo Leergewicht benötigt man schon Formel-1-Technik.“

„Ich wollte etwas Vernünftiges auf die Kufen stellen“, so der ehemalige Spediteur, der den Stillstand in seiner Flugschule während der Coronazeit für sich nutzte: „Während andere gepennt haben, haben wir unser Ding durchgezogen.“ Innerhalb von vier Jahren konnte so von der Planung bis zum ersten Hubschrauber namens „ClassiX“ alles fertiggestellt werden. „Weltrekord“, ist sich Ressle sicher, der bisher alles aus eigener Tasche finanziert hat.

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Rot wie ein Alfa Romeo wurde der „ClassiX“ lackiert. © Gallmetzer

Der Knackpunkt lag zunächst beim Motor. Hier entschied Ressle sich für einen „Lycoming“, einen Standard-Luftfahrtmotor aus den USA. Zwar wiegt der stolze 50 Kilo mehr als gängige UL-Hubschraubermotoren, doch biete er laut Ressle einen klaren Vorteil: „Der funktioniert. Er ist einfach eine Lebensversicherung.“ Außerdem seien viele Piloten bereits vertraut mit dem beliebten Motor.

„Wir haben dann um ihn herum konstruiert“, gibt Ressle Einblick in die Produktentwicklung mit seinem Team. Zu diesem gehören nicht nur zwei Luft- und Raumfahrtingenieure, sondern auch ein Mechaniker sowie ein CNC-Maschinenführer. „Es ist keine Basteltruppe, sondern ein kleines, hoch spezialisiertes, multifunktionales Team, das einfach anpackt“, betont Ressle. Jeder könne nahezu alles. Zum Beispiel das Fräsen von Metall. Denn in der unscheinbaren Lagerhalle, in der getüftelt wird, haben die Hubschrauberentwickler sogar CNC-Maschinen, um alle Metallteile selbst zu fertigen.

Ultraleicht-Helikopter aus Schongau mit „Features, von denen andere nur träumen“

„Unser Hubschrauber hat Features, von denen andere nur träumen“, weiß der Pilot. Denn er habe all das, was er bei anderen Herstellern vermisst, eingeplant. Einen verstellbaren Steuerknüppel zum Beispiel, der für eine bessere Ergonomie sorgt. Mit Knöpfen daran lässt sich die digitale Instrumentenanzeige bedienen. Ein raketengetriebener Rettungsfallschirm ist darüber hinaus eingebaut, mit dem der Hubschrauber im Notfall zu Boden gleiten kann. Sogar an eine Lüftung, die im Stehen funktioniert, wurde gedacht.

Damit solche Extras trotz Gewichtsbeschränkung möglich sind, musste allerdings an anderen Stellen um jedes Gramm gekämpft werden. Die Taktik: „Carbon von vorne bis hinten.“ Denn ein Großteil der Zelle besteht aus diesem extrem leichten, aber hochfesten Material. In allen Bereichen sind nur die besten und teuersten Komponenten verbaut worden. In der Werkstoffprüfung ist die Münchener Uni involviert. Dies zahlt sich aus: Eine Reihe mit über 30 Extremtests hat der „ClassiX“ ohne Probleme überstanden und dabei keinen einzigen Kratzer bekommen. „Er ist immer noch unverletzt. Das hat die Zulassungsstelle noch nie erlebt“, sagt Ressle stolz und gesteht: „Seitdem das überstanden ist, schlafe ich besser.“ Genutzt wird das malträtierte Fluggerät dennoch nur noch als Ausstellungsstück. Zwei weitere fertige Hubschrauber sind aber im Flugeinsatz.

Ziel Musterzulassung für Ultraleicht-Helikopter aus Schongau

Nun wird an den Voraussetzungen für deren Musterzulassung gearbeitet. Für diese sind 100 Stunden in der Luft zu absolvieren. 30 davon hat Ressle bereits geschafft. Das schlechte Wetter in den vergangenen Monaten hat den ursprünglichen Zeitplan ins Wanken gebracht. Der Pilot hofft jetzt auf einen schönen Herbst und einen milden Winter, um die fehlenden Stunden fliegen zu können. Außerdem finden noch zahlreiche Messungen und Tests statt. „Verkabelt wie im Krankenhaus“, scherzt Ressle mit Blick auf sein „Baby“, an dem noch zahlreiche Schläuche mit Klebestreifen befestigt sind. Sein großer Wunsch ist es, den „ClassiX“ im Frühjahr auf der „Aero“, der internationalen Fachmesse für Luftfahrt in Friedrichshafen, als Weltneuheit präsentieren zu können.

Weiter soll es danach mit der Serienproduktion gehen. Allerdings im kleinen Rahmen. Drei Motoren stehen bereits für weitere Modelle bereit. Zudem viele der Einzelteile, denn die stammen aus der ganzen Welt. Zusammengebaut werden sollen sie in Schongau, wenn die Stadt die Rahmenbedingungen ermöglicht. Grundstücke für die notwendigen Gebäude sind bereits vorhanden. Ein kleiner, quadratischer Landeplatz sei aber unerlässlich. Ebenso zusätzliches qualifiziertes Personal.

Angepeilt sind für den Produktionsstart am Anfang um die 30 Hubschrauber pro Jahr. Samt persönlicher Schulung und Betreuung. Die ersten fünf Kunden bekommen einen Rabatt, sodass sie ein Exemplar für knapp 300.000 Euro kaufen können. Dafür müssen sie regelmäßig zur Wartung erscheinen. Es sind also Käufer aus der Nähe erwünscht. „Wir müssen sie in einer Nacht erreichen können“, verdeutlicht Ressle. Denn er möchte die erste Zeit seiner Hubschrauber begleiten, um sofort reagieren zu können, wenn etwas nicht passt.

Mittelfristiges Ziel: Zweitgrößter deutscher Hubschrauberhersteller werden

Mittelfristiges Ziel ist es, der zweitgrößte deutsche Hubschrauberhersteller nach „Airbus“ zu werden. Ressle ist zuversichtlich, dass dies gelingt: „Wir sind bisher unter dem Radar geflogen. Keiner wusste von uns.“ Ganz ohne große Marketingkampagne verbreite sich in der Branche jedoch gerade, was da in Schongau entsteht: „Das Produkt spricht einfach für sich.“ Doch soll es nicht das einzige bleiben, verrät Ressle: „Ich habe schon wieder den nächsten Hubschrauber im Kopf.“

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