Scholz auf Macrons Spuren: So schnell kann es nach einem Ampel-Aus in Deutschland Neuwahlen geben
Nach der Europawahl 2024 kündigt Frankreichs Präsident an, das Parlament neu zu wählen. Ist das nach den schlechten Wahlergebnissen für die Ampel-Koalition auch in Deutschland denkbar?
Paris/Berlin – Die Europawahl 2024 legt abermals verstärkte rechtsgerichtete Tendenzen in vielen europäischen Ländern offen. Nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem auch in Italien, Österreich, Griechenland und der Slowakei feiern rechte und euroskeptische Parteien Wahlerfolge. Im Gegensatz zu den derzeit amtierenden Regierungspartien und -bündnissen.
Nach der Europawahl 2024 ruft Macron Neuwahlen aus: „Zeichen des Vertrauens an die französische Bevölkerung“
Auch in Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron mit seinem Mitte-Regierungsbündnis bei der Europawahl eine herbe Niederlage eingefahren. Macrons pro-europäische Renaissance kam auf nur 15,2 bis 15,4 Prozent Wähleranteil und liegt damit auf Platz zwei – mit großem Abstand hinter dem rechtsgerichteten Rassemblement National um Marine Le Pen (31,4 Prozent).
Noch am Sonntagabend reagierte Macron: Er kündigte er an, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen in zwei Wahlgängen einzuleiten. Sie sollen bereits am 30. Juni stattfinden, der zweite Wahlgang ist für den 7. Juli geplant. Die Herausforderungen Frankreichs erforderten Klarheit und die Franzosen verdienten Respekt. „Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre“, teilte Macron am Sonntagabend in Paris mit.

Zwar sei ihm die Entscheidung über Neuwahlen in der Nationalversammlung „ernst und schwer“ gefallen. Dennoch sei sie „ein Zeichen des Vertrauens an die französische Bevölkerung“, betonte Macron. Um seinen Posten als Präsident gehe es ihm dabei aber nicht. Mit dem riskanten Manöver hoffe er, eine stabilere Mehrheit im Parlament für seine verbleibende Amtszeit zu schaffen. Die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich steht 2027 auf dem Programm. Macron selbst wird hier aber nicht antreten können, da er sich aktuell schon in seiner zweiten Amtszeit befindet.
„Jetzt Neuwahlen in Deutschland“: Söder nach Europawahl 2024 mit scharfer Forderung an die Ampel-Koalition
Aber nicht nur im Nachbarland Frankreich bedeuteten die Europawahl-Ergebnisse einen heftigen Rückschlag für die amtierenden Regierungsparteien, sondern auch in Deutschland. Nachdem die SPD mit nur 13,9 Prozent Stimmenanteil ein historisch schlechtes Ergebnis einfuhr und auch die Grünen (11,9 Prozent) gegenüber 2019 (20,5 Prozent) ganze 8,6 Prozent Wählerstimmen einbüßten, muss sich die Ampel-Koalition gegenüber dem Wahlerfolg von CDU/CSU (30,2 Prozent) und AfD (15,9 Prozent) beugen.
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Im Nachgang der Europawahl bewegte das schlechte Wahlergebnis der Ampel bereits einige Angehörige der politischen Landschaft Deutschlands dazu, auch hierzulande Neuwahlen zu fordern. Zu ihnen gehört der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Fakt ist: Die Ampel ist abgewählt. Und ähnlich wie Macron Neuwahlen ausruft, müsste das jetzt Olaf Scholz machen, oder wie es damals Gerhard Schröder gemacht hat. Deswegen klare Forderung: Jetzt Neuwahlen in Deutschland“, forderte Söder am Sonntagabend in der Sendung „Europawahl 2024“ im ZDF.
Nach Europawahl-Klatsche für die Ampel-Koalition: Welche Optionen Olaf Scholz nun theoretisch bleiben
Die Option, wie Macron das Parlament aufzulösen, bleibt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings ohnehin nicht – schon allein, weil das politische System Deutschlands anders als in Frankreich keine Präsidialdemokratie ist. Ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags ist damit ausgeschlossen.
Jedoch bliebe Scholz einerseits die Möglichkeit, die sogenannte Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Mit ihr kann sich der Bundeskanzler vergewissern, ob er noch eine mehrheitliche Zustimmung im Bundestag auf sich vereinen kann. Findet die Vertrauensfrage keine mehrheitliche Zustimmung, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag innerhalb von 21 Tagen auflösen – erst dann gäbe es Neuwahlen.
Solange der Bundespräsident dies nicht verfügt, kann der Bundestag auf das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum zurückgreifen: Im Falle einer absoluten Mehrheit könnte der Bundestag dann einen neuen Bundeskanzler wählen. Ist das Verfahren erfolgreich, wird der Bundestag nicht aufgelöst. Laut aktueller Rechtslage ist eine vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode nur möglich, wenn es um die Wahl oder um das Vertrauen des Bundeskanzlers geht: Entweder, wenn die Kanzlerwahl scheitert (Art. 63, Abs. 4 GG), oder wenn die Vertrauensfrage abgelehnt wird. (Art. 68, Abs. 1 GG).
Union fordert Scholz auf, Vertrauensfrage zu stellen – SPD räumt „harte Niederlage“ bei der Europawahl ein
Söders Forderung nach der Vertrauensfrage gegenüber Scholz schlossen sich auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an. „Die Ampel ist einmal mehr abgewählt worden“, sagte Spahn in der ARD. Scholz habe in der Bevölkerung keine Mehrheit mehr für seine Politik. Es bliebe aber die Frage, ob er diese überhaupt stellen sollte.
Linnemann betonte im ZDF-Morgenmagazin: „Die Ampel-Koalition muss einfach mal Politik für die Mehrheit dieses Landes machen.“ Dabei gehe es seiner Ansicht nach nicht um Themen wie Drogenliberalisierung, sondern darum, „ob Menschen sicher leben könnten“ und darum, dass ihr Arbeitsplatz und ihre Finanzen geschützt seien.
Die SPD kündigte an, nach der Europawahl auf „Fehlersuche“ gehen zu wollen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert räumte in der ARD ein, das Europawahlergebnis sei aus sozialdemokratischer Sicht „eine harte Niederlage“. Weiter sagte Kühnert, über die Person von Bundeskanzler Scholz gebe es jedoch keinerlei Diskussionen zu führen. Schließlich suche man in der SPD nicht nach einem Sündenbock. Einen Grund für das schlechte Wahlergebnis der Sozialdemokraten sieht Kühnert darin, dass die SPD als stärkste Kraft in der Koalition für Ordnung sorgen, gleichzeitig aber ihr Profil zeigen müsse. Kühnert richtete sich auch an SPD-Anhängerinnen und Anhänger: „Wir kommen zurück“, versprach er. (fh)