Europäische Soldaten in der Ukraine? Experten warnen vor "Bluff and Pray"-Szenario

In die Bemühungen, den Krieg in der Ukraine zu beenden, ist in den vergangenen Tagen zunehmend Bewegung gekommen. Damit wird auch die Frage immer drängender, wie ein möglicher Frieden abgesichert werden könnte. 

Die Ukraine, die europäischen Verbündeten und auch die USA sind sich darüber einig, dass es sogenannte Sicherheitsgarantien geben muss. In der Umsetzung würden aber zahlreiche heikle politische Entscheidungen stecken, weshalb bislang kein konkreter Plan vereinbart wurde. 

Vor allem vier Varianten sind derzeit im Gespräch: 

Variante 1: Ukraine wird Nato-Mitglied

Erstens könnte die Ukraine Mitglied der Nato werden. Das wurde Präsident Wolodymyr Selenskyj im vergangenen Jahr in Aussicht gestellt. Dann würde die Ukraine wie alle anderen Mitgliedstaaten von Artikel 5 des Vertrags des Militärbündnisses geschützt werden. Bei einem erneuten russischen Angriff würde dann der Bündnisfall eintreten. 

Wie die Sicherheitsexperten Claudia Major und Aldo Kleemann in einer Analyse für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreiben, würde diese Variante die verlässlichste Absicherung bieten, aber auch die kostengünstigste. Allerdings wird der russische Präsident Wladimir Putin sich wahrscheinlich strikt dagegen wehren, dass diese Variante Teil einer Friedenslösung wird.

Variante 2: Ukraine erhält Zusicherungen wie in der Nato

Alternativ könnte die Ukraine der Nato zwar nicht beitreten, aber Zusicherungen erhalten, die an Artikel 5 angelehnt sind. Der Generalsekretär des Militärbündnisses, Mark Rutte, gab am Montag in Washington zu erkennen, dass diese Variante tatsächlich auf dem Tisch liegt.

Variante 3: Ukraine erhält „Hilfe zur Selbsthilfe“

Eine dritte Option wäre es, die Ukraine schrittweise in westliche Strukturen einzubinden, ohne eine Form der Beistandsverpflichtung im Kriegsfall. Die SWP-Analyse bezeichnet die Variante als "Hilfe zur Selbsthilfe". 

Sie könnte zum Beispiel umfangreiche Rüstungsindustrie-Kooperationen und die Ausbildung von ukrainischen Soldaten umfassen. "Die Stärke dieses Modells besteht darin, dass die westlichen Staaten die Handlungsfähigkeit der Ukraine, in Form starker konventioneller ukrainischer Streitkräfte, fundamental stärken würden", schreiben Major und Kleemann.

Variante 4: Europäische Friedenstruppen in der Ukraine

Schließlich gibt es noch eine vierte Variante: die Absicherung des Friedens durch die Stationierung westlicher Soldaten. In der Praxis wären es wahrscheinlich vor allem europäische Streitkräfte, da die USA unter Donald Trump sich diesbezüglich zurückhaltend zeigen. Das ist aber hoch umstritten, weil bei dieser Option eine direkte Konfrontation der Streitkräfte mit Russland am wahrscheinlichsten ist. So könnten EU-Staaten wie Deutschland in einen Konflikt mit Russland hineingezogen werden.

Die Analyse der SWP nennt eine Reihe weiterer Herausforderungen: Die Streitkräfte der Nato-Staaten seien bereits mehrheitlich in der Verteidigungsplanung des Bündnisses gebunden. Die Pläne ließen sich zwar so überarbeiten, dass eine große Zahl von Truppen in die Ukraine verlegt wird. Das würde aber bedeuten, dass die Nato-Mitgliedstaaten "den Schutz des eigenen Bündnisgebietes wissentlich schwächen und Risiken eingehen, um einen Nicht-Nato-Staat abzusichern". Mehr noch: Diese Schwächung könnte Russland "zu Angriffen an anderer Stelle – etwa an der Ostflanke – provozieren".

"Bluff and Pray"-Ansatz erhöht Kriegswahrscheinlichkeit

Schicken die westlichen Staaten aber nicht die zur Abschreckung notwendige Truppenzahl – Major und Kleemann gehen von rund 150.000 Soldaten aus – könnte das ebenfalls ein Risiko bergen. Würden nur rund 20.000 bis 40.000 Soldaten in die Ukraine geschickt, würde das keine echte Wirkung entfalten, sondern einem Bluff gleichkommen. 

Die Staaten, die die Soldaten schicken, könnten nur hoffen, dass Russland nicht militärisch testet, ob es die Friedenstruppen nicht einfach überwältigen könnte. 

Major und Kleemann warnen daher: "Ein 'Bluff and Pray'-Ansatz, der auf der Hoffnung fußt, dass Russland die westliche Bereitschaft zur Verteidigung der Ukraine nicht testet, wäre fahrlässig und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa."

Würden Friedenstruppen Deutschland "voraussichtlich überfordern"?

In Deutschland stehen daher viele Politiker der Entsendung von Friedenstruppen skeptisch gegenüber. Außenminister Johann Wadephul (CDU) erklärte, ein Einsatz in der Ukraine würde Deutschland "voraussichtlich auch überfordern". Deutschland spiele bereits mit 5000 Soldaten an der Nato-Ostflanke in Litauen eine große Rolle. 

Johann Wadephul
Außenminister Johann Wadephul (CDU) sieht die Entsendung deutscher Friedenstruppen in die Ukraine skeptisch. Soeren Stache/dpa

Wadephuls Parteifreund Roderich Kiesewetter sagte FOCUS online hingegen, Deutschland müsse sich als Führungsmacht in Europa an der Absicherung einer Friedenslösung beteiligen – "zumal, wenn es dafür die Rückversicherung der Amerikaner gibt". Auch in der SPD gibt es noch keine eindeutige Position: Während der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetović offen für Friedenstruppen ist, lehnt Ralf Stegner das klar ab. 

Sicherheitsgarantien müssen "kreativ die Lücke schließen"

Major und Kleemann betonen im Fazit ihrer Analyse, dass historische Beispiele und theoretische Modelle kaum auf die Situation in der Ukraine übertragbar seien. Sie kommen daher zum Schluss, dass es auf ein Modell hinauslaufe, "das kreativ die Lücke schließen muss zwischen dem, was militärisch nötig, und dem, was in Europa derzeit politisch und militärisch möglich ist".