Lang-fristig gedacht - die Kolumne von Ricarda Lang - Ricarda Lang enthüllt: Wegen einer großen Wut ging ich in die Politik

Als ich angesetzt habe, diese Kolumne zu schreiben, schwebte mir ein Text über die letzte Sitzungswoche im Deutschen Bundestag und die gemeinsame Abstimmung der Union mit der AfD vor. Je länger ich aber vor meinem weißen Blatt Papier saß, desto mehr dachte ich: Viele kluge Leute haben eigentlich alles gesagt, was es zu diesem Tabubruch zu sagen gibt. Gleichzeitig drohen andere Themen unterzugehen: Der tägliche Trump und die tägliche Weidel lassen kaum noch Raum für andere und anderes. Und genauso ist es auch gewollt.

Die frühere Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang schreibt eine Kolumne auf FOCUS online. Seit Dezember 2024 legt sie ihre Sicht auf aktuelle politische Themen und Debatten dar. „Lang-fristig gedacht“ ist der Name der Kolumne, mit der sie den Blick auch konstruktiv nach vorne richten möchte.

Gewalthilfegesetz: Meilenstein im Schutz von Frauen 

Reden wir also über eine Sache, die im Trubel der letzten Sitzungswoche untergegangen ist – die für mich persönlich aber kaum wichtiger sein könnte: Mit dem Gewalthilfegesetz wurde ein echter Meilenstein beim Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt beschlossen.

Warum mir das Thema so wichtig ist? Weil es der Grund war, weshalb ich politisch aktiv geworden bin. Als ich 18 Jahre alt war, verlor meine Mutter ihren Job als Sozialarbeiterin. Das Frauenhaus, in dem sie über zehn Jahre lang gearbeitet hatte, wurde wegen mangelnder Finanzierung geschlossen. Bei mir war da erstmal Wut: über die eigene Situation in der Familie natürlich, aber auch darüber, dass ausgerechnet dort gespart wurde, wo Frauen und Kindern geholfen wurde – Frauen und Kindern, die nicht selten durch die Hölle im eigenen Zuhause gegangen waren.

Wut aber ist ein destruktives Gefühl, das wurde mir schnell klar. Also nahm ich mir vor, die Wut in etwas Konstruktives zu verwandeln: Politik. Seitdem setze ich mich für mehr Gewaltschutz ein. Und ich finde: Wenn auch weiterhin über 14.000 Schutzplätze in Deutschland fehlen, ist jedes Frauenhaus, das schließen muss, nichts anderes als ein sicherheitspolitischer Skandal.

Wir kommen weg vom Verschiebebahnhof der Verantwortung 

Doch was genau bringt nun dieses Gewalthilfegesetz? Das Gesetz sieht vor, dass alle Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, einen Rechtsanspruch auf Schutz haben. Aus meiner Sicht noch wichtiger: Der Bund beteiligt sich außerdem an der Finanzierung der Frauenhausplätze. Das ist entscheidend, denn jeder Bürgermeister oder jede Mutter mit einem kleinen Kind kann vermutlich bestätigen: Ein Rechtsanspruch ist relativ wenig wert, wenn er nicht mit dem nötigen Geld und Personal unterlegt wird.

Mit dem neuen Gesetz kommen wir so endlich weg von einem Verschiebebahnhof der Verantwortung zwischen Bund und Ländern. Der Schutz von Frauen vor Gewalt wird zur gemeinsamen Verantwortung aller Ebenen. Genau so ist es richtig.

Doch ist jetzt alles gut? Bei Weitem nicht. Zum Beispiel gibt es bei vielen Frauenhausplätzen eine Eigenbeteiligung: Die gewaltbetroffenen Frauen müssen selbst für ihren Aufenthalt in einem Frauenhaus aufkommen. Das ist für mich ein unhaltbarer Zustand: Der Schutz vor Gewalt darf keine Frage des Geldbeutels sein. Das gilt umso mehr, als häusliche Gewalt und die finanzielle Abhängigkeit vom Partner ohnehin schon oft Hand in Hand gehen.

Heißt konkret: Wir sollten Gewaltschutz und Sozialpolitik viel stärker zusammendenken. Viele Frauenhäuser berichten etwa davon, dass sie aufgrund steigender Mieten immer größere Schwierigkeiten haben, Anschlusswohnungen für die Frauen zu finden. 

Damit steigt wiederum die Gefahr, dass diese Frauen nach einem Aufenthalt im Frauenhaus zum schlagenden Partner zurückgehen. Das sollten wir so nicht hinnehmen. Und es zeigt: Eine Gesellschaft, die die finanzielle Eigenständigkeit von Frauen fördert, stellt sich auch besser im Kampf gegen häusliche Gewalt auf.

Ex-Partner bekommen vor Gerichten Recht

Darüber hinaus berichten viele gewaltbetroffene Frauen, dass ihre Ex-Partner gemeinsame Kinder als Druckmittel nutzen – oder schlichtweg als Instrument, um in Kontakt zu bleiben. Dabei bekommen sie viel zu oft von Familiengerichten auch noch Recht. Bei einer Frauenberatungsstelle in Osnabrück wurde mir im letzten Jahr folgender Fall geschildert: Ein Mann schlägt seine Frau vor dem achtjährigen Sohn krankenhausreif. 

Als die Frau den Mann verlässt, bekommt dieser das geteilte Sorgerecht. Die unsägliche Begründung: Er habe ja nicht das Kind geschlagen. Das blendet nicht nur aus, wie unerträglich es für die betroffene Frau sein muss, weiterhin zu Kontakt zu diesem Mann gezwungen zu werden; ein solches Urteil ignoriert auch, wie zutiefst traumatisierend es für Kinder ist, wenn sie Zeugen häuslicher Gewalt werden. Nicht ohne Grund zeigen Studien, dass es für Söhne aus Familien mit häuslicher Gewalt wahrscheinlicher ist, dass sie später selbst zu Tätern werden.

Gewaltschutz ist unser Recht

Deshalb: Wer in derartigen Fällen urteilt, sollte sich mit dem Thema häusliche Gewalt, seinen Dynamiken und Folgen auseinandergesetzt haben. Das Phänomen muss in die Curricula an den Universitäten – und wir brauchen verpflichtende Schulungen für Richter und Staatsanwälte in diesem Bereich. Natürlich gibt es bereits freiwillige Angebote, aber die werden meist von denen genutzt, die sowieso schon sensibilisiert sind, und nicht von denen, deren Bedarf am größten ist.

Kurzum, es ist noch viel zu tun auf dem Weg hin zu einem Land, in dem es weniger häusliche Gewalt gibt und nie wieder eine Frau, die Schutz sucht, von einem Frauenhaus abgewiesen wird. Vor diesem Hintergrund ist das Gewalthilfegesetz ein wirklicher Fortschritt. Es macht deutlich: Gewaltschutz darf nichts sein, worum wir Frauen betteln müssen. Er ist unser Recht.