In Dorf entbrennt Streit um Solarpark: „Für viele ist eine Welt zusammengebrochen“
Ein Weiler ist eine Siedlung, die nur aus wenigen Gebäuden besteht. Hubenrode, ein Stadtteil von Witzenhausen im hessischen Werra-Meißner-Kreis, ist so ein Weiler. Laut Wikipedia wohnen nur 186 Menschen in dem kleinen Ort. Umso erstaunlicher, dass es Hubenrode in die nationalen Schlagzeilen geschafft hat.
Denn am Ortsrand soll ein riesiger Solarpark entstehen. Das Projekt ist, so erklärt es der Witzenhauser Bürgermeister Lukas Sittel (SPD) im Gespräch mit FOCUS online, „noch in der Ideenphase“. „Eine konkrete Ausarbeitung zur Vorbereitung eines Aufstellungsbeschlusses zu Beratung und Beschlussfassung in den städtischen Gremien liegt nicht vor.“
Trotzdem brodelt es in Hubenrode. Sittel sagt, die meisten Anwohner stünden dem Solarpark ablehnend gegenüber. Er muss es wissen – immerhin hat der Bürgermeister mit vielen Kritikern des Projekts gesprochen.
Anwohner lehnen Solarpark ab: „Für viele ist eine Welt zusammengebrochen“
Die Argumente gegen das Projekt sind ihm zufolge vielschichtig: „psychische Belastungen, Eingriffe in das Landschaftsbild, Lärmbelästigung, Angst vor Kameraüberwachung, Einschränkung der Sicht, befürchteter Wertverlust von Grundstücken und Häusern sowie die Sorge um eine Beeinträchtigung der dörflichen Idylle.“
Diese Befürchtungen haben es längst in die Medien geschafft. Rita Kramer, bis vor kurzem Ortsvorsteherin von Hubenrode, erklärte der „Werra-Rundschau“ Anfang Mai, dass viele Anwohner dem Projekt mindestens skeptisch gegenüberstehen. Konkret sagte sie: „Für viele ist eine Welt zusammengebrochen.“
Fakt ist: Der Solarpark soll, wenn er denn wirklich gebaut wird, am Ortsrand von Hubenrode auf einer Fläche von elf Hektar Land entstehen. Das entspräche rund 15 Fußballfeldern. Die Stadtwerke Union Nordhessen (SUN) agieren federführend, Grundlage ist eine Solarflächen-Potenzialanalyse, die die Stadt Witzenhausen 2022 in Auftrag gegeben hat.
„Die Fläche ist doppelt so groß, wie der Ort selbst“, so Kramer im Gespräch mit der „Werra-Rundschau“. Viele Anwohner seien von der Solar-Idee „überrascht und überrollt“ worden. Das bestätigten einige Hubenroder dem Blatt.
Sorgen der Anwohner sind vielschichtig
Manche erklärten, sie hätten keinen schönen Ausblick mehr, wenn ein Solarpark am Rande des Weilers gebaut werde. Andere glauben, das Projekt würde Menschen abschrecken, die darüber nachdenken, nach Hubenrode zu ziehen. Und auch die Versiegelung von Flächen ist bei den Anwohnern ein Thema.
Doch sind die Sorgen der Hubenroder berechtigt? „Grundsätzlich sind Solarparks eine vergleichsweise günstige Form der regenerativen Stromerzeugung. Insbesondere liegen die Stromgestehungskosten typischerweise deutlich unter denen von Photovoltaik-Dachanlagen“, sagt Christoph Maurer zu FOCUS online.
Er leitet den Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. „Als Nachteil kann man die Flächeninanspruchnahme sehen. Allerdings fällt diese wiederum im Vergleich mit anderen Erneuerbare-Energien-Technologien wie Biomasse deutlich geringer aus“, so der Experte.
Die Flächen, auf denen Solarparks errichtet werden, lassen sich ihm zufolge noch anderweitig nutzen – zum Beispiel zusammen mit Wind-Energie oder im Rahmen der sogenannten „Agri-Photovoltaik“ (Agri-PV). Ein Teil des Areals ist dann weiterhin für die Nahrungsmittelproduktion vorgesehen.
PV-Anlagen können sich positiv auf Biodiversität auswirken
Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat schreibt auf seiner Webseite: „Stromerzeugung mit Agri-PV beansprucht maximal 15 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche, so dass mindestens 85 Prozent der Fläche weiterhin der landwirtschaftlichen Nutzung dienen.“
Und es gibt noch einen weiteres Argument, das für Solarparks spricht. „Studien zeigen, dass gut geplante Photovoltaik-Freiflächenanlagen positive Wirkungen auf Biodiversität haben können“, sagt Maurer.
Er hält es perspektivisch für wichtig, Solarenergie in Deutschland weiter auszubauen. „Große Solarparks sind sehr viel günstiger als viele kleine Dachanlagen. Die Skepsis ist deswegen aus energiewirtschaftlicher Perspektive schwer nachvollziehbar.“
Was das Projekt in Hubenrode angeht, bleibt die Ausgangslage schwierig. Die Menschen vor Ort sind nicht grundsätzlich gegen Solartechnik. In einem Beitrag der "Hessenschau" ist zu sehen, dass auf zahlreichen Häusern Photovoltaik-Anlagen prangen. Ein Meer aus schwarzen Paneelen wollen viele der Anwohner trotzdem nicht vor der Nase haben.
Grünen-Fraktion Witzenhausen: Gesamtbelastung muss "akzeptabel" sein
Wie umstritten der angedachte Solarpark ist, das weiß auch die lokale Politik. Die Witzenhauser Grünen-Fraktion erklärt, man unterstütze zwar die Energiewende. „Allerdings sollen die Menschen im ländlichen Bereich nicht darunter leiden, dass bei Ihnen der Strom erzeugt wird, der dann in Ballungsgebieten verbraucht wird“, heißt es in einem schriftlichen Statement an unsere Redaktion.
Grundsätzlich können die Flächen, die im von der Stadt beauftragten Gutachten ausgewiesen sind, in den Augen der Grünen bebaut werden. Bei weiteren Arealen sollten ihrer Meinung nach bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden. Zum Beispiel, dass die Gesamtbelastung für jeden Ortsteil „akzeptabel“ ist und ein Abstand zu den Dörfern von mindestens 200 Metern eingehalten wird.
Die Causa Hubenrode zeigt laut den Grünen, wie wichtig es ist, die Bevölkerung schon vor der eigentlichen Planungsphase in Projekte einzuweihen. Auf diese Weise würden sich die Menschen vor Ort weniger übergangen fühlen. Und dem Solarpark vielleicht nicht so ablehnend gegenüberstehen.
„Fronten, die sich nicht mehr aufweichen lassen“
Das das nicht passiert ist, hat - so sieht es zumindest die Grünen-Fraktion in Witzenhausen - Folgen: „Es sind Fronten aufgebaut worden, die sich leider nicht mehr abbauen lassen werden.“ FOCUS online wollte auch von anderen Stadtratsfraktionen wissen, wie sie auf den potenziellen Solarpark schauen.
Doch eine Rückmeldung auf entsprechende Anfragen blieb aus. Bürgermeister Lukas Sittel sagt, der Ortsbeirat Hubenrode hätte sich vor kurzem aufgelöst, weil ein Mitglied weggezogen ist. Was bleibt, ist der Ärger über ein Projekt, das - wenn überhaupt - noch in den Kinderschuhen steckt.