Für Klima-Doku mit Joko Winterscheidt: Filmemacher aus Moosburg im Rennen um Grimme-Preis

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Beim Dreh mit Joko Winterscheidt in San Diego (links), mit der Drohnen-Steuerung auf dem Schneemobil in Sibieren (mitte) oder mit einer Erfrischung bei Aufnahmen in Südafrika: Filmemacher Max Neumeier ist schon viel herumgekommen in der Welt und hat einiges erlebt. © privat

Filmemacher Max Neumeier ist mit einer prominent besetzten Klima-Doku für den Grimme-Preis nominiert. Der gebürtige Moosburger musste dafür ein Dilemma aushalten.

Moosburg – BMW, Lufthansa, Porsche, die japanische Tourismusbehörde, Red Bull: Nach diesen Kunden würden sich viele in der Werbefilmbranche wohl alle Finger lecken. Bei Max Neumeier stehen diese Größen und noch einige andere in den Referenzen. Als Cutter und Sounddesigner arbeitet er seit Jahren in dieser Liga. Immer wieder steht er dabei auch selbst hinter der Kamera. Seine Filmaufträge haben den 33-Jährigen, der aus Moosburg stammt und heute in Hamburg und München lebt, schon um die halbe Welt und in so manche Extremsituation geführt. Und sie haben ihm mehrere Auszeichnungen eingehandelt. Jetzt könnte für eine aktuelle Doku-Serie auf Amazon Prime auch noch der Grimme-Preis hinzukommen. Wir haben uns mit Max Neumeier über den Preis, über wilde Erfahrungen und über Widersprüche in seiner Arbeit unterhalten.

Vom Jugendlichen, der Videos von Kumpels beim Skaten dreht, zum mehrfach preisgekrönten Filmemacher: Hätten Sie sich diese Karriere je träumen lassen, Herr Neumeier?

Natürlich nicht. Ich hab’ angefangen, als man nicht einfach so mal etwas gefilmt hat – niemand hatte so wie heute immer eine Kamera dabei. Du musstest dir erst eine besorgen und brauchtest dafür einen Grund. Deshalb gibt es so viele, die über Snowboarding und Skating zum Filmen gekommen sind. Ich war bei uns halt der schlechteste Skater, also musste ich mich anders nützlich machen (lacht).

Wann wussten Sie, dass daraus Ihr Beruf wird?

Ich war ein mittelmäßiger Schüler, aber ich hatte den blinden Glauben, dass Schule nicht wichtig für mich ist und ich irgendwas finde, was mir gefällt. Ich war auch immer Computer-affin, deshalb hab’ ich dann Medieninformatik studiert. Und durch das Schneiden und Filmen nebenbei und einige Praktika in den Semesterferien ist das so als Karriere entstanden.

Seither waren Sie für Filmprojekte in Äthiopien, Japan, Island, Russland oder Hongkong. Haben Sie noch einen Überblick, in wie vielen Ländern Sie waren?

Tatsächlich hab’ ich eine App, um das zu tracken. Da ich aber noch gar nicht so viel in Europa unterwegs war und auch noch nie in Südamerika gewesen bin, sind es nicht so viele, wie man vielleicht denkt: insgesamt 40.

Max Neumeier beim Filmen in Island
Max Neumeier beim Filmen in Island. © privat

Das ist schon eine Menge. Gibt es ein Land, das noch auf der Wunschliste steht?

Ich will unbedingt noch nach Taiwan. Ich hab’ in Hongkong gesehen, wie unter dem chinesischen Einfluss die Kultur gelitten hat. Bevor so etwas auch einmal in Taiwan passiert, würde ich es gern noch sehen. Ansonsten versuche ich inzwischen, Flugreisen möglichst zu vermeiden.

Sie waren für „In Russia“, einen viel beachteten Reisefilm, den Sie mit einem Team ohne Auftrag produziert haben, mehrmals in Russland und haben dort Land und Leute erlebt. Inzwischen führt die Nation einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie blicken Sie auf Russland zurück?

Wir waren vier Mal dort, immer so für zwei Wochen. Wir wollten das erst in einem Trip machen, aber das Land ist so riesig, das ist unmöglich. Einmal hatten wir einen Inlandsflug über neun Stunden. Das geht auch nur in Russland (lacht). Wir haben viele nette Leute kennengelernt. Ich hab’ damals bei manchen auch versucht, herauszufinden, wie ihr Verhältnis zur Ukraine ist. Zu der Zeit war bereits die Krim besetzt. Ein Russe sagte mir: „Es stimmt schon, dass es überhaupt keinen Grund gibt oder sich lohnt, einen Krieg anzufangen. Weil, wenn wir eines genug haben, dann ist es Land.“ Aber das war schon auch ein schwieriges Thema, über das viele nicht reden wollten. Die, die wir getroffen haben, waren meist auch gewohnt, mit Filmproduktionen zu arbeiten, konnten Englisch und waren schon in anderen Ländern. Das ist dort eher selten: Viele haben gar keinen Reisepass und waren nie woanders. Es ist für sie nicht so leicht, ins Ausland zu kommen, außerhalb des Militärs.

„In Russia“ kam 2020 raus. Was haben Sie sich beim Überfall auf die Ukraine 2022 gedacht?

Wir haben überlegt: Shit, was ist jetzt damit, haben wir Propaganda betrieben? Natürlich haben wir im Film viel Schönes dargestellt. Aber wir haben auch ein bisschen kritisiert, wenn man genauer hinschaut. Etwa bei der Hommage an die küssenden Polizisten. Da Homosexualität in Russland ja verboten ist, haben wir es in der Szene aber nur angedeutet. Wir wollten nicht, dass unseren Darstellern was passiert. Das Ding ist: Ein Krieg steht ja nicht unbedingt dafür, was ein Land will, sondern die Regierung. Da gibt’s in Russland eine viel stärkere Diskrepanz als andernorts. Und wenn du neun Flugstunden entfernt in Kamtschatka fischst, ist es dir egal, was die da in Moskau beschließen. Also meine Einstellung zu Russland hat sich nicht geändert, aber zur Regierung schon. Die war aber vorher auch nicht gut.

Sie haben mit Ihren Begleitern einen Podcast über die Erlebnisse produziert, den „Wodcast“. Der hört sich so an, als ob Sie nicht nur Kollegen, sondern Freunde sind. Wie sehr bestimmen persönliche Beziehungen Ihre Arbeit?

Mit Vincent und Tim bin ich befreundet, ja. Der Podcast war auf jeden Fall witzig. Inzwischen gibt es ihn nicht mehr zu hören, weil wohl irgendwer vergessen hat, die Spotify-Gebühren zu bezahlen (lacht). In unserer Branche ist es normaler, dass Kollegen auch persönliche Beziehungen führen. Das hat Vor- und Nachteile. Wenn alle deine Freunde in der gleichen Branche arbeiten, redet man leider auch privat hauptsächlich über Arbeit. Dafür macht es vieles einfacher, wenn man zusammen arbeitet: Das Vertrauen ist groß und es muss nicht so viel kommuniziert werden. Wenn ich Vincent frage, wie er sich den Schnitt vorstellt, sagt er oft einfach „Mach’s geil!“ (lacht). Gerade bei Drehs wie für „In Russia“, wo kein Auftraggeber dahintersteckt, hilft ein gutes Verhältnis – weil man teilweise im selben Bett schlafen muss.

Sie haben schon ungesichert auf Wolkenkratzern Rooftopper gefilmt, sind durch sibirische Eiseskälte gestapft und haben bei 47 Grad Celsius in der äthiopischen Salzwüste gehofft, nicht gekidnappt zu werden. Lieben Sie den Nervenkitzel, oder ist es einfach der Drang nach spektakulären Aufnahmen?

Insgeheim ist es schon der Nervenkitzel: Eigentlich macht es mir mehr Spaß, an diesen Orten zu sein, als danach die Bilder zu haben. Ich mag einfach gerne neue Eindrücke. Das mit den Rooftoppern kam so: Ich war gerade in diese Standard-Werbefilm-Bubble reingerutscht und mir war ein bisschen langweilig. Da hab’ ich auf Instagram gesehen, dass einer von diesen berüchtigten Rooftoppern aus Starnberg ist (lacht). Ich hab’ ihm geschrieben und er meinte, er würde bald wieder starten und ob ich mitkommen will. Wir haben uns einmal kurz in München getroffen, dann ging’s schon nach Hongkong. Nach der Landung sind wir direkt auf diverse Wolkenkratzer hoch.

Rooftopper Andrej Ciesielski auf einem Wolkenkratzer, fotografiert von Max Neumeier
Auf Wolkenkratzern hat Neumeier den Rooftopper Andrej Ciesielski (im Bild zu sehen) porträtiert – und landete dafür in einer Gefängniszelle in Shanghai. © privat

Rooftopper agieren ja in der Regel illegal. Sind Sie mal erwischt worden?

Öfter. Einmal waren wir in Shanghai, da sind wir aus Versehen auf ein Regierungsgebäude hoch.

Wie „aus Versehen“?

Als Außenstehender denkt man immer, diese Rooftopper haben krasse Pläne, welche Gebäude sie auswählen und wie sie da reinkommen. Aber die sind einfach nur saudreist: Sie gehen rum, schauen, ob irgendeine Tür aufgeht, und sagen dann: Aha, da gehen wir hoch! Als wir also in dieses Gebäude sind, kamen auf einmal ganz viele Leute daher. Kurz darauf saßen wir in einem vergitterten Polizei-Van und dann in einer Zelle. Wir mussten ewig warten, konnten kein Wort Mandarin sprechen – und die Polizisten kein Englisch. Das war schwierig (lacht). Nach ein paar Stunden dachte ich mir: Jetzt wär’ ich wirklich lieber in Deutschland im Gefängnis, da weiß ich wenigstens, was mit mir passiert.

Was geschah dann?

Wir wurden dann doch noch befragt und wir sollten unser Material löschen. Das haben wir aber nicht gemacht (lacht). Danach mussten wir noch das Schloss ersetzen, das wir knacken mussten, um aufs Dach zu kommen. Und dann durften wir gehen.

Für Ihre Dokuserie „The World’s Most Dangerous Show“ mit Joko Winterscheidt kam nicht nur Lob, sondern auch Kritik: Für eine Show, in der es um Klimawandel geht, ist Ihr Team rund um die Welt geflogen; die Doku läuft beim CO2-Großemittenten Amazon und Joko war früher Werbefigur für McDonalds. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?

Es war nicht so, dass uns das egal ist. Es war aber eine einmalige Möglichkeit, mit diesem Thema eine so große Masse zu erreichen. Es ist auch keine Doku für Leute, die alles über den Klimawandel wissen. Deshalb ist Joko der richtige Presenter: kein Wissenschaftler, sondern einer, der Leute erreicht, ohne erhobenen Zeigefinger. Und wir sprechen das Dilemma auch gleich am Anfang an und gehen damit offen um. Ich glaube, die meiste Kritik kam von Leuten, die die Doku gar nicht gesehen haben. Eine Kritik lautete, dass es für Amazon Greenwashing ist – was es auch ist. Wir haben trotzdem gehofft, dass am Ende das Positive überwiegt, selbst wenn es mit einem großen Handicap startet. Klar bringt es dem Konzern viel Geld ein, trotzdem kann man Leute dazu bewegen, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen oder ihre Meinung umstimmen. Deshalb war es uns so wichtig, das entertainig zu machen: um Leute anzusprechen, die sonst keine Klimadoku anschauen würden. Die Kritik ist auf jeden Fall berechtigt. Ich boykottiere selbst auch Amazon und hab’ kein Amazon Prime. Ich kann also meine eigene Doku nicht anschauen (lacht).

Wie waren die übrigen Rückmeldungen?

Bei kurzen Filmen bekommst du relativ schnell Feedback. Bei der Doku war das nicht so, die kann man nicht so schnell schauen. Als sie fertig war, hörte man erst mal gar nichts. Dann ist mir aber mal ein Video geschickt worden, in dem Luisa Neubauer von Fridays for Future erzählt, dass sie seit der Doku viel mehr Mitgliedsanfragen bekommen haben und Leute dadurch inspiriert wurden. Das war cool, dass es etwas bewirkt hat. Dass man etwas verändert, auch wenn man sich ein bisschen mit dem Teufel einlässt.

Sie haben beim Dreh viel Zeit mit Joko verbracht. Als welchen Menschen haben Sie ihn kennengelernt?

Ich hatte vorher gar nicht so viel von ihm gesehen, daher hatte ich keine hohen Erwartungen. Aber klar, es ist was anderes, wenn man mit jemandem ein Projekt macht, der im Rampenlicht steht. Er war witzig, vielleicht etwas aufgedreht, aber überraschend geerdet. Wir hatten schnell ein normales Verhältnis und er hat sich, glaube ich, auch wohlgefühlt. Die ersten Drehs waren gleich krass: Wir waren vier Wochen in Afrika an sehr abgelegenen Orten in extrem limitierten Unterkünften – und kurz danach fünf Wochen in Kalifornien. Er hatte niemanden aus seiner Crew dabei und hat uns alle erst dort kennengelernt. Er hat uns viel Vertrauen entgegengebracht. Als Amazon ihm gesagt hatte „Hey, wir wollen ein Projekt mit dir machen, du kannst dir aussuchen, was du machen willst“, da hätte er wieder was im TV-Studio machen können und hätte die gleiche Kohle gekriegt. Aber ich glaube schon, dass ihm das Thema am Herzen liegt und er etwas verändern will.

v.l. Kameramann Max Neumeier, Regisseur Vincent Urban und Moderator Joko Winterscheidt in Los Angeles
Mit Joko Winterscheidt und dem Regisseur Vincent Urban hat Max Neumeier (v. r.; hier in Los Angeles) die Klima-Dokuserie „The World’s Most Dangerous Show“ produziert. © privat

Wie lautet Ihre eigene Erkenntnis aus der Doku?

Das größte Problem ist, dass viele gerade denken, es ist wichtiger, die Wirtschaft zu erhalten, als unsere Erde. Absurd, dass wir glauben, es geht uns besser, wenn wir viel Geld haben, als wie wenn es der Erde gut geht. Es gäbe schon viele Lösungen, aber es scheitert fast immer an der Politik und alten Strukturen, wie zum Beispiel dem Einfluss der Ölindustrie. Das war der deprimierendste Faktor.

Was erfüllt Sie an Ihrer Arbeit?

Ich bekomme viele Einblicke in andere Leben und Kulturen. Es ist wertvoll, viel von anderen Leuten zu lernen. Eigentlich will ich ein bisschen weg von der Werbung und mehr in die dokumentarische Richtung, weil da noch mehr passiert und man einen ehrlichen Eindruck bekommt. Da geht es nicht bloß darum: „Wie kann ich das vermarkten, damit wir mehr Kohle machen?“

Max Neumeier am Arbeitsplatz im Büro
Im Büro beim Schnitt und Sounddesign verbringt der 33-Jährige einen Großteil seiner Arbeitszeit. Für seine Werke hat er bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. © privat

Sie haben unter anderem den Deutschen Werbefilmpreis für den besten Schnitt erhalten. Nun wurde Ihre „World’s Most Dangerous Show“ für den Grimme-Preis nominiert – eine der wichtigsten Auszeichnungen für TV-Produktionen im deutschsprachigen Raum. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Schwierig zu beurteilen. Ich kenne die internationale Film- und Werbewelt, aber ich hab’ nicht viel Ahnung, was das deutsche Fernsehen gut findet. Unser entertainiges Format hat sicher geholfen, nominiert zu werden, weil die wissen, es ist relevant. Aber ob man dafür wirklich einen Grimme-Preis erhält? Es wäre natürlich cool und eine Ehre, wenn Leute denken, dass es das wert ist. Und es wäre vor allem eine Auszeichnung für die redaktionelle Leistung. Ich hoffe auf jeden Fall, dass der Pumuckl gewinnt (lacht). Der läuft in einer anderen Kategorie, ist also für uns keine Konkurrenz.

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