Bürgermeisterin Lietsch: „Vielleicht sind Steinhöringer anders gepolt“
Steinhörings Bürgermeisterin Martina Lietsch (59) im Interview über Flüchtlinge, uneingelöste Versprechen, Energiewende und ihre Zukunft.
Steinhöring - Martina Lietsch (59), Steinhörings Bürgermeisterin, spricht von einem ereignisreichen Jahr, das hinter uns liegt, davon, dass die Weltpolitik großen Einfluss auf den Landkreis und die Kommunen genommen hat. Sie meint damit Preissteigerungen, Klimagesetze oder die Flüchtlingspolitik. Eines sagt sie auch: Man müsse die Politik verstehen lernen.
Wie kann man die Politik verstehen lernen?
Die Unterbringung von Flüchtlingen etwa stellt uns vor riesige Herausforderungen. Der Druck ist enorm und wird immer größer. Alle zwei Wochen kommt ein Bus mit Flüchtlingen in den Landkreis, die es aufzunehmen gilt. Schwierig bei der derzeitig extrem angespannten Wohnungssituation. Freie Wohnungen gibt es nicht. Wo sollen wir die Flüchtlinge unterbringen? Unsere Gemeinde etwa hat momentan keine freien Grundstücke. Was tun? Wenn man nach Rott am Inn schaut, dort sollen 500 Leute untergebracht werden, so wird deutlich, welch enorme Herausforderung das für kleine Gemeinden ist. Das ist ein großes politisches Thema. Die Menschen müssen verstehen, dass sich das nicht im Handumdrehen lösen lässt.
Wie beurteilen Sie die Flüchtlingssituation in Steinhöring?
Bei uns leben insgesamt etwa 30 Flüchtlinge in mehreren Häusern, die vom Landratsamt angemietet sind. Das ist nicht viel, auch wenn es für manche so erscheint. Wenn man nach Ebersberg blickt, dort leben, soweit mir bekannt, etwa 380 Flüchtlinge im alten Sparkassengebäude. Damit verbunden sind schließlich auch Infrastrukturmaßnahmen, etwa die Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen, das Anbieten von Sportmöglichkeit oder die Bereitstellung von Betreuern und so einiges mehr. Allerdings, wenn man sieht, wie Ebersberg damit umgeht und erlebt, dass es doch irgendwie funktioniert, so muss man auch sagen, dass das Thema letztendlich manchmal aufgebauscht und für populistische Zwecke missbraucht wird. Unterm Strich läuft es bei uns sehr gut. Momentan haben wir keinerlei Probleme.
Die Sichtweise mancher Menschen ist aber doch, dass Flüchtlinge anderen die Wohnungen wegnehmen.
Das glaube ich nicht. Einfach weil in der Regel Häuser angeboten werden, die in naher Zukunft zur Sanierung oder zum Abriss anstehen. Man braucht sich da keinen Illusionen hingeben, die Unterbringungen entsprechen nicht dem „normalen“ Standard, allerdings haben wir natürlich grundsätzlich ein Problem mit verfügbarem Wohnraum.
Andererseits hatten wir jetzt gerade vor Silvester, nur ein paar hundert Meter von hier, eine nicht genehmigte Party, auf der verbotenen Nazi-Parolen gerufen worden sein sollen. Hat das etwas mit den Flüchtlingen zu tun?
Ich glaube, dass das einfach eine Grundhaltung ist. Die Krisen seit Corona – Flüchtlinge, Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt, usw. – hämmern auf die Leute ein und führen dazu, dass sie verunsichert sind. Und Verunsicherungen führen zu Reaktionen, bei manchen zu Aggressionen. Manche suchen ein Ventil, wollen irgendjemanden verantwortlich machen. Und da entstehen dann solche Geschichten wie in Neuhausen – grässlich, scheußlich, nicht schön. Doch noch einmal: in den Orten, in denen Flüchtlinge sind, wird das gut bewältigt. Was eher schwierig ist, ist die Flüchtlinge wirklich zu integrieren. Das ist das Problem. Eine politische Aufgabe. Man sollte etwa endlich ermöglichen, dass Arbeiten für sie einfacher wird. Es sind viele junge Männer hier, die vor Kraft strotzen und da wäre es doch gut, wenn die endlich arbeiten könnten. Dafür müssen Regelungen gefunden werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
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Nochmals zurück zu den rechten Tendenzen. Nehmen Sie die als Bürgermeisterin öfter wahr?
Gott sei Dank nicht. Es wird mir auch nicht zugetragen. Auch wenn es immer Leute gibt, die diese Parolen parat haben, so glaube ich, dass wir auch durch den Einrichtungsverbund, durch die Vielfalt und Buntheit der Menschen dort – zumindest ist das die Hoffnung – vielleicht doch etwas anders gepolt sind. In Steinhöring leben zudem Menschen aus sehr vielen unterschiedlichen Nationen. Für uns ist das Alltag.
Hat nicht auch hier in Steinhöring die AfD Zuwachs?
Wie überall, bundesweit. Wir liegen im Rahmen des Landkreisdurchschnitts.
Gibt es noch andere Aspekte von außen, die Einfluss auf die Kommune nehmen?
Immer mehr Aufgabenbereiche werden auf die Kreise und Kommunen herunterdelegiert. Das fängt etwa mit Kinderbetreuungsplätzen an. Der Bund verkündet einen Anspruch auf Kinderbetreuung. Doch die Realisierung findet ganz unten statt, bei den Gemeinden. Das Problem dabei ist, dass andere Dinge nicht verändert wurden. Man hat Versprechungen gemacht, die nicht umgesetzt wurden, etwa die Ausbildung der Erzieher nicht vorangetrieben. Da ändert sich nicht viel. Es fehlen 16 000 Erzieher in ganz Bayern. Und wenn wir keine Erzieher haben, können wir die neuen Kindergärten nicht bedienen. Da ist in den letzten Jahren viel versäumt worden. Seit vielen Jahren weiß man um den Fachkräftemangel im Sozialbereich. Aber es passiert nichts. Auch in unseren Kindergärten konnten deshalb Gruppen z.B. im Krippenbereich nicht mit Vollauslastung betrieben werden. Eine 100 Prozent Kinderbetreuung können wir also gar nicht garantieren. Es wird nur wenige Gemeinden geben, die das können. Bei den Klimaregelungen, den Gesetzen, die die Bundesregierung ständig neu festlegt, haben wir ähnliche Probleme. Es gibt viele Gesetzesentwürfe, die im Raum stehen, bei denen aber keiner wirklich genau weiß, wie sie umgesetzt werden sollen. Etwa bei der kommunalen Wärmeplanung. Zwar werden wir in das Thema tiefer einsteigen, aber das erfordert Manpower und ist mit Kosten verbunden. Zudem brauchen wir Firmen, die uns beraten. Das Thema ist gerade für kleinere Kommunen mit großen Unsicherheiten verbunden. Da stehen Begriffe im Raum wie „vereinfachte Verfahren“, das kommt aus dem Baurecht, doch was es hier bedeutet, weiß niemand so genau.
Gibt es für Steinhöring schon einen Ansatz?
Wir müssen zunächst schauen, in welchen Bereichen es überhaupt sinnvoll und möglich ist. Dabei wollen wir zweigleisig fahren, zum einen in enger Zusammenarbeit mit der Energieagentur arbeiten, zum anderen suchen wir den Kontakt zu Firmen, die Erfahrung in der Umsetzung mitbringen, die Wärmekraftwerke bereits realisiert haben.
Hier soll also ein Heizkraftwerk entstehen?
Das kann man so noch nicht sagen. Man muss erst einmal klären, wie es um die Leitungen steht, die in den Straßen liegen. Könnte man künftig ggf. bestehende Leitungssysteme nutzen usw. Da stellen sich viele Fragen. Zunächst also muss der Bestand aufgenommen werden – das allein ist mit einem wahnsinnig hohen Aufwand verbunden – und dann muss man klären, wo Bedarf besteht. Wir haben etwa im westlichen Bereich von Steinhöring ein Baugebiet, das aus den 80er, 90er Jahren stammt. Da wäre der Bedarf sicher groß. Ebenso ist es an der Nordostseite von Steinhöring. Viele haben dort Heizöl oder eine Gasversorgung und die hätten sicherlich Interesse. Es gibt auch schon Nachfragen. Aber bis zur Umsetzung liegt noch ein steiniger Weg vor uns. Für kleine Gemeinden unter 10 000 Einwohner gibt es zudem eine Sonderregel, nach der der Freistaat eigene Entwürfe entwickeln kann. Auch das Ergebnis dazu gilt es zunächst abzuwarten. Hinzukommt, dass Steinhöring eine riesige Flächengemeinde ist. Wir müssen uns auf alle Fälle auf die Hauptorte konzentrieren.
Und die anderen Ortsteile?
Wir haben 51 Ortsteile. Da darf man nicht glauben, wir können die komplette Gemeinde versorgen.
Und was machen die Menschen dort?
Letztendlich sind viele schon selbst aktiv. Wir haben etwa viele Photovoltaikanlagen in Steinhöring. Womöglich kann hier etwas in Kombination mit einer Wärmepumpe entstehen.
Das kostet aber viel Geld.
Natürlich. Auch die Gemeinde wird hier mit unglaublichen Kosten konfrontiert.
Heißt: Der Haushalt wird schwierig?
Unser Haushalt war in den letzten Jahren immer stabil. Dennoch müssen wir bei all den Anforderungen ein sehr waches Auge darauf werfen und abwägen, welche Maßnahmen realisiert werden können und welche ohnehin realisiert werden müssen. Die Kreditzinsen haben sich deutlich erhöht, ebenso die Kosten im Bauwesen, was übrigens auch Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Lagerhausumbaus haben könnte. Wir hoffen zwar, dass sich die Kosten aufgrund der Entwicklung der Baukonjunktur bei den ausführenden Firmen wieder stabilisieren, aber bei den Baustoffen sehe ich keinen Weg, dass die Kosten niedriger werden.
Und das bedeutet für den Umbau des Lagerhauses?
Dass wir Stück für Stück alles ganz genau prüfen müssen und uns gut überlegen müssen, welchen Schritt wir wann machen können. Ob wir am Ende beide Grundstücke realisieren können, wird sich erst zeigen.
Dieses Jahr soll doch ein Teilabriss erfolgen.
So ist es geplant. Und dann muss man schauen.
Das heißt, das Projekt kann sich durch die Preissteigerungen verschieben?
Möglicherweise. Wir sehen das auch bei Grundstücken, die in der Gemeinde angeboten werden. Junge Familien haben häufig das Problem die Kredite zu bedienen, Bauvorhaben verzögern sich dadurch.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Jede Krise birgt auch eine Chance. Außerdem muss man versuchen, den Bürgern die Politik näherzubringen, weil sie oft die politischen Prozesse nicht mehr verstehen. Man muss etwa begreiflich machen, dass viele Dinge nicht in so kurzer Zeit realisiert werden können wie man es sich vielleicht wünscht. Ich bin selber oft ungeduldig, weil mir die Prozesse zu lange dauern. Die geplante Photovoltaikanlage in Buchschechen ist ein Beispiel. Hier muss im Vorfeld erst einmal geklärt werden, ob die Leitungen für eine solche Anlage überhaupt ausreichen. Das sind lange Prozesse. Schnell zu handeln wäre sicher oft gut, ist aber leider häufig nicht möglich. Und das muss man begreiflich machen. Wir setzen ja immer Zeichen für die Zukunft. Mahatma Gandhi hat einmal gesagt, die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun. Für mich heißt das, wir stellen die Weichen, wir machen es für die Zukunft, schließlich haben wir eine Verantwortung für die nachfolgenden Generationen.
Gibt es konkrete Pläne?
Wir möchten eine Einrichtung für Senioren am besten mit der Möglichkeit einer Tagesbetreuung in einer Größenordnung, die zum Ort passt. Und für Tulling schwebt mir eine Einkaufsmöglichkeit mit Regionalvermarktung vor. Es laufen Gespräche, aber wir brauchen, wie gesagt, Geduld. Aktuell steht die Sanierung der Kläranlage an, derzeit sind wir bei der Vergabe der Planungsleistungen. Der Beginn der Baudurchführung ist für 2025 geplant. Ebenso aktuell ist die Realisierung von Photovoltaikanlagen auf gemeindlichen Dächern.
Und ganz aktuell natürlich die 1200-Jahrfeier 2024.
An der der Festausschuss bereits unglaublichem Engagement arbeitet. Steinhöring ist sehr geschichtsträchtig. Konzerte und Ausstellungen etwa sind geplant. Wahrscheinlich wird es auch wieder Veranstaltungen zum Thema Lebensborn geben.
Werden Sie sich nochmals als Bürgermeisterin in Steinhöring kandidieren?
Das werde ich zu gegebenem Zeitpunkt entscheiden. Noch habe ich ja etwas Zeit.
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