Todesdrama in der Notaufnahme: Was im Klinik-Schockraum wirklich passiert
Für dringende Fälle ist die Notaufnahme die erste Anlaufstelle. Im Schockraum der Kreisklinik Ebersberg führen die Mediziner täglich einen Kampf um Leben und Tod, von dem Patienten im Wartezimmer nichts mitbekommen.
Ebersberg – Ein rotes Blinken auf dem Monitor kündigt den nächsten Notfall an. „M 85, GCS sechs bis acht!“, ruft eine der Pflegerinnen in die Runde. In der Zentralen Notaufnahme (ZNA) der Kreisklinik ändert die Maschinerie ihren Takt, zum dritten Mal an diesem Morgen. Niemand rennt, niemand schreit; wir sind in Ebersberg, nicht in Hollywood. Auch ohne Panik ist allen klar: Gleich geht es um Leben und Tod.
Schockraum der Kreisklinik Ebersberg: Wenn der Patient eintrifft, sind die Ärzte schon da
Der Patient liegt im Notarztwagen, der mit Blaulicht und Sirene Richtung Klinik eilt. Die Notfallpflegekräfte bereiten den Schockraum gegenüber der Glas-Doppeltür zur Notaufnahme auf sein Eintreffen vor. GCS steht für „Glasgow Coma Scale“; ein Wert niedriger als neun deutet auf schwere Schäden im Gehirn hin.

Die Hände für den Moment in den Taschen ihres weißen Kittels vergraben, beobachtet Viktoria Bogner-Flatz (42) ihr Team. Zwei Notfallpflegerinnen beziehen die Schockraum-Liege steril, hängen Infusionsbeutel auf, werfen den EKG-Monitor an. Ärzte und Pfleger aus ZNA, Neurologie, Anästhesie, Radiologie, Intensivstation, Innerer Medizin – sie alle strömen herbei. „Jetzt bündeln wir unsere Kräfte“, kommentiert die Chefärztin der ZNA das Geschehen. Als zwei Notfallsanitäter den nur reflexhaft röchelnden, bewusstlosen Senior durch die Tür schieben, umringt ein Dutzend Fachleute die Liege.

Der Schockraum ist das Herz der Notaufnahme: Hier geht es nur ums nackte Überleben
Niemand landet gerne als Patient im Schockraum. Hier geht es nur darum, die Kurve zu kriegen, bevor es zu spät ist – ob schwerer Autounfall, Blutvergiftung oder Lungenversagen. Hier liegen die Medikamenten-Hämmer griffbereit im Schuber. Propofol für die Narkose. Adrenalin zur Wiederbelebung. Prednisolon gegen Allergieschocks. Geräte für Herzdruckmassage, Beatmung, Blutgasanalyse. Eine Beckenschlinge, um komplexe Brüche zurück in Form zu ziehen.
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Wenn der Körper versagt, können die Ebersberger Ärzte vieles ersetzen. „Im Prinzip ist er eine Intensivstation“, sagt Bogner-Flatz über den Schockraum. Die Aufgabe der Chefärztin ist, die Behandlung nach den neuesten medizinischen Standards auszurichten.

Kreisklinik Ebersberg: 28.000 Patienten pro Jahr in der Notaufnahme
Vom Überlebenskampf nebenan bekommen die anderen Patienten in der Notaufnahme gar nichts mit, so geräuscharm geht er hinter der geschlossenen Schiebetür vonstatten. Es ist der dritte Schockraum-Patient an einem Vormittag, an dem es verhältnismäßig ruhig zugeht. Der Ernstfall ist Alltag in der ZNA. Einen Raum weiter liegt eine Seniorin mit Kopfverband. In der nächsten Tür steht ein kleiner Bub und reibt sich mit der einen Hand die Tränen aus den Augen, die andere ist frisch verbunden. „Der Job muss weiterlaufen“, sagt Chefärztin Bogner-Flatz. 28 000 Patienten schlagen jährlich in der ZNA Ebersberg auf.
Auf dem Monitor im Stationsstützpunkt sieht die 42-jährige Notfallmedizinerin, wer derzeit behandelt wird und wer noch wartet. Eine Notfallpflegekraft übernimmt die Vortriage. Sie schätzt binnen zehn Minuten nach Ankunft jeden Patienten auf seine Behandlungsdringlichkeit ein und priorisiert nach Farbe. Orange, gelb, grün. Kategorie rot, wie der komatöse Senior, landet ohne Umwege im Schockraum.

Warten müssen an diesem Tag der starke Rückenschmerz und der eingeklemmte Handballen (beide gelb). Länger warten muss die Haarfollikel-Entzündung (grün). „Das ist ein Pickel“, sagt die Chefärztin und rückt mit der Fingerspitze ihre Brille gerade, schmunzelt mit einem diskreten Augenrollen. Studien besagen, dass gut 20 Prozent der Patienten besser anderswo aufgehoben wären, statt in einer ZNA im Wartezimmer zu sitzen und das Klinik-Personal zu binden.
Im Wartezimmer bekommt man den Überlebenskampf nebenan kaum mit
Zumal die Wartezeiten immer wieder auf Unverständnis stoßen. Weil man vom Wartezimmer aus die 30, 40 Rettungsdienst-Anfahrten pro Tag kaum mitbekommt. Weil es mal auf der internistischen Behandlungsschiene schneller vorangeht, als auf der chirurgischen – und mal umgekehrt, je nach Patientenaufkommen. Dadurch, und wegen der Priorisierung, stellt sich manchmal ein Eindruck ein wie an der Supermarktkasse: Die nebenan sind immer vor mir dran.

Auch im Notfall herrscht keine Panik - Die Kommunikation muss stimmen
Im Schockraum fallen die Mediziner nicht sofort über den Patienten her, wie man es aus mancher Fernsehserie kennt. In rund 20 Sekunden fasst der Notarzt, der den Mitte-80-Jährigen beim Transport begleitet hat, für das umstehende ZNA-Team den Fall zusammen: die Umstände des Zusammenbruchs, medizinische Vorgeschichte, erste Hilfsmaßnahmen und Beobachtungen. „Verdacht auf intrazerebrales Geschehen“, so heißt die Katastrophe im Mediziner-Sprech.
Alle im Raum hören reglos zu – auch, als der ZNA-Oberarzt, der sich die Plakette mit der Aufschrift „Teamleiter“ an den blauen Kittel geheftet hat, das Gesagte zur Kontrolle wiederholt. So viel Zeit muss sein. Wer hudelt, begeht unnötige Fehler. „Eine exzellente Übergabe“, wird die Ebersberger Chefärztin im Anschluss loben. Sie betont: „Wichtig ist, dass alle still sind, und keiner rumfummelt.“

Schicksalsort Schockraum: Manchmal ist die Diagnose niederschmetternd
Der Patient ist stabil genug für die Diagnostik. Eine Blutabnahme, dann schiebt das Team den Mann unter einer Sauerstoffmaske in den Computertomografen, der vorsorglich freigehalten wurde. Von den Bildern hängen die nächsten Maßnahmen ab: Wird der Mann für eine Operation aus- oder ein Spezialist eingeflogen? Welche Medikamente, welche Maßnahmen könnten ihm das Leben retten?
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Die bittere Antwort steht nach Minuten fest: keine. Die Aufnahmen zeigen eine schwere Gehirnblutung. Der 85-jährige Mann wird sterben. Als die Chefärztin das dem Notfallsanitäter mit einer unmissverständlichen Handbewegung und einem Kopfschütteln zu verstehen gibt, lässt der Retter die Schultern sinken. Er weiß wie alle hier: Du kannst nicht jeden Kampf gewinnen. Trotzdem schmerzt die Niederlage auch die Profis aus der ZNA.
Es gibt hier keinen Leerlauf.
Der Schockraum hat sich wieder geleert, die Spezialisten sind zurück auf ihren Posten, wo in der Zwischenzeit anderes liegen geblieben ist. Die Notfallsanitäter machen ihr Fahrzeug längst startklar für den nächsten Krankentransport. „Die Mannschaft reduzieren“, nennt das ZNA-Chefin Bogner-Flatz. „Die Vollbesetzung im Schockraum können wir uns nicht lange leisten.“ Der Tod eines Patienten – der Mann stirbt wenige Stunden später auf der Palliativstation – darf nicht zulasten der übrigen gehen. „Es gibt hier keinen Leerlauf“, sagt Chefärztin Bogner-Flatz. Reizüberflutung ist die Norm. Mit einem Surren öffnen sich die Flügeltüren. Die nächste Trage rollt herein.
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