Lange Gesichter am Abend: Mit nur 83,6 Prozent hat die CSU ihren Chef Markus Söder wiedergewählt, trotz lang beklatschter Grundsatzrede.
München – Draußen in der Nebenhalle baut gerade die Partyband ihr Schlagzeug auf, Kellner dekorieren die Tische mit Bayernwimpeln und schleppen Maßkrüge herbei. Drinnen sitzt Markus Söder in Reihe 1 seines Parteitags, doch ihm ist nicht nach Party, Feiern, Bier. Hochnervös, so sieht man ihn selten, trommelt er mit den Fingern auf die Tischplatte, legt den Kopf in die rechte, dann linke Hand, starrt aufs Handy, tippt darauf herum, wartet. Er wartet auf die Nachricht, dringend, doch als sie kommt, kann sie ihm nicht gefallen.
83,6 Prozent geben ihm seine Delegierten. Kein strahlendes Ergebnis, weit unter allen seinen Resultaten sonst, und erheblich unter den Schätzungen seiner Freunde und Kritiker. Söder reagiert gefasst in diesem Moment, ein kurzes Kopfschütteln später. Jaa, er nehme die Wahl an, sagt er gedehnt.
Ratlose Gesichter in der CSU nach Söders Wiederwahl – zu viel Instagram?
Es ist recht still in der Halle. Man sieht viele Ratlose in den ersten Reihen. Die rituellen Gratulationen an ihn in den folgenden Minuten sehen teils eher aus wie Kondolenzen. Der Moment ist eigentlich seit Wochen vorbereitet – und sollte anders aussehen. Söder hat in einer Phase, in der ihn manche zwar nicht wackeln, aber zumindest mal ein bisschen schwächeln sahen, viel auf den Parteitag ausgelegt. Selbst die Entscheidung, als Ministerpräsident trotz Möglichkeit keine zusätzlichen Schulden in Bayern aufzunehmen, soll auch damit zu tun gehabt haben. Dass er nicht mehr so richtig Lust versprühe auf Bayern, hatten ihm einige ja vorgeworfen. Zu viel Instagram, zu wenig Regierungsprogramm – so fanden manche in der CSU. Mit dem Schulden-Nein hat er noch einmal überrascht.
Obendrein wurde das Erwartungsmanagement vorsorglich angepasst. Dass die 96,8 Prozent mitten im Landtagswahlkampf von 2023 doch kein Maßstab seien, haben in den vergangenen Tagen alle, die es in der CSU gut mit dem Chef meinen, gebetsmühlenartig wiederholt. Eine am Donnerstag erschienene Auftrags-Umfrage, in der die CSU in Bayern bei 40 Prozent verortet wurde, kam auch sehr gelegen. Selbst Parteifreunde, die finden, er könnte eine vertragen, erwarteten da eher keine Watschn für Söder mehr. Schafft er die 90 Prozent, oder liegt er zumindest knapp drunter? Das war auf den Gängen in der Messe München die Frage. Die Antwort: Drunter, und zwar deutlich.
Söders Rede stößt auf großen Zuspruch beim CSU-Parteitag
Für seine Rede erhält Söder zunächst noch mehrere Minuten lang Applaus. Warm, aber auch schon weit entfernt von frenetisch. 75 Minuten lang hat er zuvor vieles gesagt, was man zuletzt schon öfter von ihm gehört hatte. Einmal mehr hat er die erfolgreiche Bilanz Bayerns durchdekliniert – der Freistaat als „Musterknabe bei der inneren Sicherheit“, mit der niedrigsten Arbeitslosenquote, den erfolgreichsten Startups, den gefragtesten Unis. Ach ja: „Der nächste Nobelpreis, der geht bestimmt bald wieder nach Bayern!“ Gleichzeitig sei die CSU als Regierungspartei im Bund die einzige Stimme Bayerns in Berlin. „Ohne uns geht nichts!“ Der komplette Werbeblock, wie er nun mal dazu gehört. Dazu noch klare Kante gegen die AfD.
Interessanter, was Söder über Merz sagt, der am Samstag auf dem Parteitag auftritt. „Er hat's nicht leicht, er braucht unsere Hilfe“, ruft Söder zum Rückhalt auf – und betont gleichzeitig die eigene Stärke.
Das ist Söders neues (altes) Team
Ein paar herzliche und ein paar bittere Ergebnisse: Das trifft auch Söders fünf Stellvertreter bei ihrer Wiederwahl. Einzig Europapolitiker Manfred Weber erhält mit 93,7 Prozent ein strahlendes Resultat, gefolgt von Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger (86,5). Ex-Ministerin Melanie Huml landet bei 81,3, Angelika Niebler bei 82 Prozent, viel schlechter als 2023. Erneut das schlechteste Resultat: Bundesministerin Dorothee Bär mit 74,6 Prozent, ungefähr wie 2023. Bei dieser Wahl wurden zudem rund 50 Zettel nicht abgegeben.
Doch wie groß ist die derzeit überhaupt? 83,6 Prozent sind für ihn das bisher schlechteste Ergebnis. Und es reiht sich sogar ein in die schlechtesten Ergebnisse bisheriger CSU-Chefs überhaupt. Franz Josef Strauß lag 1983 mal drunter (77,1 Prozent), Hans Ehard 1951 (79,1 Prozent) und 1947 Josef Müller (61,6 Prozent). Ein gewisser Horst Seehofer lag 2017 knapp drüber (83,7 Prozent), ehe er stürzte.
„Es waren Rechnungen offen, Einzelrechnungen“ – Wahlschlappe für Söder bei CSU-Parteitag
In der CSU ringen sie nun um Deutungen. Vielleicht habe die kritische Junge Union nochmal ein Zeichen gesetzt, mutmaßen Kundige. „Es waren Rechnungen offen, Einzelrechnungen“, sagt einer, der mit Nein stimmte. Was auffällt: Es gab nicht nur 104 Nein-Stimmen, sondern auch drei Dutzend Stimmberechtigte, die keinen Zettel einwarfen.
Auf dem Gang steht Edmund Stoiber, der Ehrenvorsitzende, ein väterlicher Söder-Vertrauter. Er ringt um Worte, lang. „Das ist ein gutes Ergebnis, bei all der Herausforderung“, sagt er dann. Aber er weiß wohl auch, dass das beschönigend klingt. Stoiber sagt dann etwas Tröstliches für Söder: „Das erlebt jeder in einer solchen Verantwortung mal.“