Belarus-Wahl: Opposition ist „laut und mutig“ – erwarten Lukaschenko neue Proteste?
Bei der Belarus-Wahl will sich Diktator Alexander Lukaschenko zum siebten Mal zum Präsidenten küren lassen. Doch die laute Opposition sitzt im Ausland.
Minsk – Am 26. Januar wählt Belarus einen neuen Präsidenten. Oder zumindest hält die Regierung von Machthaber Alexander Lukaschenko diese Illusion am kommenden Sonntag aufrecht. Dann tritt der enge Vertraute von Wladimir Putin zum siebten Mal an – und dürfte rasch im Amt bestätigt werden.
Die letzte Belarus-Wahl begleiteten monatelange Massenproteste, die Lukaschenko teils brutal niederschlagen ließ. Seine Propaganda verbreitete, dass die Demonstrationen vom Westen gesteuert seien, und beschönigte das repressive Vorgehen des Regimes. Mit derart großen Protesten ist diesmal nicht zu rechnen – selbst wenn die Opposition „konstant laut und mutig“ ist.
Ende des Ukraine-Kriegs und weniger Proteste: Warum Lukaschenko die Belarus-Vorwahl vorzieht
„Egal ob in Wissenschaft, in Kultur, in der Menschenrechtsbewegung, die belarussische Opposition ist da“, sagt Sarah Reinke im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Die Osteuropa-Expertin beschäftigte sich jahrelang mit der gesellschaftlichen Situation in Russland sowie dem eng verbündeten Belarus.
Reinke fordert die deutsche Zivilgesellschaft, die Medien und vor allem die Politik auf, Solidarität mit der belarussischen Opposition und den politischen Gefangen zu zeigen. Man dürfe „dem Diktator Lukaschenko nicht in die Hände spielen“ und „nicht gleichgültig gegenüber Belarus werden“.

Lukaschenkos Schein: EU spricht von „Pro-forma-Gegenkandidaten“ bei Belarus-Wahl
Aus einer echten Opposition tritt jedoch niemand bei der Belarus-Wahl an. Formell nehmen fünf Kandidaten an der Wahl teil, darunter Lukaschenko, der ohnehin schon als Gewinner feststeht. Das EU-Parlament schreibt in einer Pressemitteilung von „Pro-forma-Gegenkandidaten“.
Eigentlich sollte die Belarus-Wahl erst im kommenden Sommer stattfinden, doch Lukaschenko ließ die Scheinwahlen auf den Januar vorverlegen. Expertinnen und Experten vermuten dahinter zwei Gründe: Zum einen hofft das Regime, dass die eisigen Wintertemperaturen die Wahrscheinlichkeit von Protesten verringern wird. Zum anderen wolle Lukaschenko fest im Sattel sitzen, wenn über ein Ende des Ukraine-Kriegs verhandelt wird – denn als Nachbarland ist die Zukunft der Ukraine auch für Belarus von Interesse.
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Belarus spricht von fairen Wahlen – Hin und Her um OSZE-Einladung
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) schickt diesmal allerdings niemanden zur Beobachtung nach Belarus. Die späte Einladung von Belarus nur zehn Tage vor dem Wahltermin verhindere den Zugang zu wichtigen Phasen des Wahlprozesses und mache eine sinnvolle Beobachtung unmöglich, teilte das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Organisation auf X mit.
Vor dem jetzt anstehenden Wahltermin hatte sich das Land, das selbst Mitglieder der OSZE ist, mit der Organisation ein Hin und Her um die Einladung geliefert. Bereits am 9. Januar hatte die OSZE mitgeteilt, da drei Wochen vor dem Wahltag immer noch keine Einladung der belarussischen Behörden vorliege, werde man keine Mission entsenden.
Am 17. Januar teilte das Außenministerium in Minsk mit, man habe 450 internationale Beobachterinnen und Beobachter zu der Wahl eingeladen, darunter auch die der OSZE. Doch diese Einladung kam offensichtlich zu kurzfristig. „Belarus hat den Termin für die Präsidentenwahl vor Monaten bekanntgegeben, und die Behörden wissen genau, dass ODIHR eine rechtzeitige Einladung braucht, um alle wichtigen Aspekte der Wahl zu beobachten“, sagte OSZE-Sprecherin Katya Andrusz der Deutschen Presse-Agentur.
„Nado!“: Regimetreue TikToker werben vor Belarus-Wahl für Lukaschenko
Lukaschenko lässt sich derweil mithilfe der sozialen Medien als Retter in schwierigen Zeiten inszenieren. Das Online-Medium Voxeurop berichtet von inszenierten „Einheitsmärschen“ in den Landesfarben Grün und Rot – im Gegensatz zu den früheren Protestfarben Rot und Weiß. „Populäre, regimetreue Blogger und TikToker“ würden Flashmobs unter dem Slogan „Nado!“ organisieren; auf Deutsch: „Es ist notwendig!“
Der Slogan bezieht sich auf die frühere Äußerung Lukaschenkos, der zufolge er nur dann kandidieren werde, „wenn das Volk sagt, es ist notwendig“. Seit der vergangenen Belarus-Wahl wird der 70-Jährige jedoch von der EU, dem Vereinigten Königreich sowie den USA nicht mehr als legitimes Staatsoberhaupt anerkannt.
Belarus-Wahl: Die Opposition ist stark – wirkt aber hauptsächlich im Ausland
Im litauischen Exil positioniert sich die parteilose Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja als belarussische Oppositionsführerin. Bei der umstrittenen Wahl im August 2020 belegte sie laut offiziellen Angaben aus Minsk den zweiten Platz. Zahlreichen Analystinnen und Analysten nach waren die Resultate allerdings gefälscht; Tichanowskaja habe deutlich mehr Stimmen als Lukaschenko erhalten und sollte Präsidentin sein.
„Leute wie Swetlana Tichanowskaja schaffen es, die internationale Aufmerksamkeit auf Belarus zu lenken, Netzwerke zu knüpfen und die Probleme des Landes auf die globale Bühne zu bringen. Das sorgt für politischen Druck und zeigt Perspektiven für die Zukunft auf“, sagt Oliver Kempkens gegenüber IPPEN.MEDIA. Gleichzeitig sieht der Ex-Manager der russischen Sberbank und Russland-Experte, dass sich Tichanowskajas Einfluss „vor allem im Ausland spürbar“ macht.
Die Bevölkerung bemerke – auch wegen der starken Kontrolle des Regimes – nur wenig von der Oppositionsarbeit. „Auf internationaler Ebene kann die Opposition viel bewegen. Aber wenn man den Maßstab anlegt, was sich konkret in Belarus verändert, sieht die Sache schon anders aus“, so Kempkens weiter.
Proteste in Belarus: Ist der „revolutionäre Geist“ gebrochen?
Die Times schrieb kürzlich, der „revolutionäre Geist“ des belarussischen Volkes sei gebrochen. Die Leute hätten sich inzwischen „damit abgefunden“, dass die Massenproteste vor fünf Jahren „nichts gebracht“ hätten, sagte ein 23-Jähriger der britischen Tageszeitung. „Und jeder macht einfach mit seinem Leben weiter.“
Laut Kempkens suchen viele Menschen in Belarus derzeit „vor allem Stabilität und Sicherheit – etwas, das sie momentan eher mit der bestehenden Staatsmacht verbinden“. Ähnliche Unsicherheiten wie in anderen postsowjetischen Staaten wolle belarussische Bevölkerung kaum riskieren. Die Times-Einschätzung greift aber „vielleicht zu kurz“, sagt der Experte. Auf intensive Bewegungen wie 2020/2021 folgten häufig ruhigere Phasen. (nak)