Zum entscheidenden Punkt des Abends kommt Caren Miosga gleich zu Beginn des Talks. „Wie oft hören Sie, ‚Ich finde Sie gut, aber Ihre Partei kann ich nicht wählen‘?“, fragt die Moderatorin den schmunzelnden Cem Özdemir. Der antwortet: „Das höre ich öfter.“ Bereits mit 16 Jahren schloss sich der Sohn einfacher Gastarbeiter aus der Türkei den Grünen an. Mit 28 Jahren saß er für die Grünen bereits im Bundestag. Jetzt will der Mann, der im Kreis Reutlingen aufgewachsen ist, Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden. Am 8. März ist Wahl. Also bleiben dem Grünen keine 70 Tage mehr, um den Makel des Grünen aus Berlin auszulegen. Bei Miosga betreibt Özdemir feinstes Anti-Greenwashing.
Grün, doch eigentlich bin ich ganz anders
„Hier stehen nicht die Grünen von Berlin zur Wahl“, sagt Özdemir und stellt damit klar, dass er keinesfalls als Bundesgrüner wahrgenommen werden will. „Ich bin ganz in der Mitte meiner Partei in Baden-Württemberg.“ Offenbar erweisen sich die Grünen aus der Bundeshauptstadt bei der Kommunalwahl im Ländle als Mühlstein um Özdemirs Hals. Die Grünen haben bundesweit aktuell elf Prozent Wählerzustimmung, hingegen finden 41 Prozent Özdemir als Ministerpräsidenten gut. Der Grüne hätte also eine Chance, wäre er nicht in der falschen Partei. Also stellt sich Özdemir in eine Reihe mit dem Tübinger Oberbürgermeister und Ex-Grünen Boris Palmer und dem aktuellen grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, der seit 2011 der einzige grüne Regierungschef in Deutschland ist.
Gute Ideen gehen vor Parteibuch
„Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“, zitiert Cem Özdemir einen alten Satz von Erwin Teufel. Teufel war selbst mal Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Das Gemeinwohl, will der Grüne damit verdeutlichen, steht über den Interessen der eigenen Partei und auch über den persönlichen Motiven. Mit Parteipolitik, erklärt Özemir, habe er es ohnehin nicht so sehr. Er wolle „die besten Ideen“ unabhängig vom Parteibuch. Immerhin geht der Grüne mit vollem Risiko in die Kommunalwahl. Wenn er nicht Ministerpräsident wird, sitzt er im baden-württembergischen Landtag, verspricht er. Özdemir erklärt: „Ich habe nicht für den Bundestag kandidiert. Ich mache das ohne doppelten Boden.“ Zur Erinnerung: SPD-Frau Nancy Faeser wollte 2023 Ministerpräsidentin von Hessen werden, blieb nach einer empfindlichen Wahlniederlage jedoch Ministerin in Berlin.
„Mir müssen aus diesen Echo-Kammern raus“
In der Stadtbild-Debatte kritisiert der Grüne mit den türkischen Wurzeln aus Bad Urach Bundeskanzler Friedrich Merz deutlich. „Ich weiß ja, was er meint, aber ein Bundeskanzler sollte mehr machen“, klagt Özdemir, der mittlerweile Ehrenbürger von Bad Urach ist. „Ein Kanzler kann nicht einfach nur Probleme beschreiben. Er sollte auch die Lösung präsentieren. Ich erwarte eine Lösung, wie man die unerlaubte Integration beenden kann.“ Deutlich wird auch hier, dass Özdemir in Fragen der Immigration und inneren Sicherheit andere Ansichten vertritt als seine Partei. So haben etwa die Kreuzberger Grünen Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Kanzler Friedrich Merz gestellt, weil Merz Immigranten mit seinen Stadtbildaussagen unter Generalverdacht stellen würde. „Mir müssen aus diesen Echo-Kammern raus“, sagt Özdemir. „Auch die Grünen.“ Es brächte auch nichts, wenn man sich vor Gericht wiedersehe. Man müsse einander zuhören, stattdessen aber würden „die Räume immer enger“. Ihm selbst sei es wichtig, dass er auf grünen Parteitagen genauso spreche wie anderswo.
"Der Türke hätte nicht sein müssen"
Caren Miosga zeigt einen kleinen Einspieler mit Cem Özdemir, mit einer Szene, die vier Jahrzehnte zurückliegt. Da stellte sich ein junger Cem in den Dienst der Grünen und gab die Stimmung einiger Passanten wieder: „Viele sagen, das mit den Grünen ist schon in Ordnung, aber mit einem Türken, das hätte nicht sein müssen.“ Özdemir erklärt aus heutiger Sicht: „Entscheidend ist nicht, wo du herkommst, sondern wo du hin willst.“ Heißt wohl: Vergesst die Grünen und rauf auf den Ministerpräsidentenstuhl!