Mit dem Zeigefinger streicht sich Lars Klingbeil ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes stehen offen. Im Scheinwerferlicht bei Caren Miosga ist dem Vizekanzler offenbar sehr warm geworden.
Soeben hatte die Moderatorin über Klingbeils Floskeln gespottet und einen kleinen Film gezeigt, in dem Szenen aneinander gesetzt wurden, in denen der SPD-Vorsitzende gebetsmühlenartig immer die gleichen Dinge sagt. Klingbeils Top-Klassiker ist der Satz: „Wir müssen uns um die Menschen mit mittlerem Einkommen kümmern, um die fleißigen Leute, die das Land am laufen halten“. Diese Fleißigen würden nämlich „in der Berliner Blase nicht mehr wahrgenommen“.
Klingbeils Phrasen und das Glaubwürdigkeitsproblem der SPD
Bei jeder Gelegenheit haut Lars Klingbeil solche und ähnliche Sätze raus. Das Dilemma: Die SPD hat – spätestens seit Gerhard Schröder – ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn es um soziale Themen geht.
Lars Klingbeil wehrt Caren Miosgas Kritik, er würde immerzu sozialromantische Stereotypen absondern, ab. Die Missachtung dieser Menschen, „die nicht brüllend durchs Internet laufen“, sei der Grund, warum die SPD bundesweit bei 16 Prozent der Wählerstimmen angekommen ist. Um diese Menschen müsse sich die SPD wieder kümmern, wenn man der AfD nicht das Feld überlassen wolle. „Davon habe ich aber noch nicht alle in der SPD überzeugt“, gibt der Vizekanzler offen zu. „Aber dieses Vertrauen werden wir uns in der SPD zurückholen.“
Das sei der entscheidende Punkt im Kampf gegen die AfD. Die Ampel sei sehr von Streit geprägt gewesen. Auch mit einer guten Zusammenarbeit in der Großen Koalition könne man Stimmen von der AfD zurückholen. Gleichwohl gelte: „In der Politik verliert man Vertrauen sehr schnell, es dauert aber lange, bis man es zurückgewinnt.“
Klingbeil zum Bürgergeld: „Ich war immer dafür, dass wir das verändern“
Um sich etwas mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen, machen Lars Klingbeil und Teile der SPD jetzt plötzlich eine 180-Grad-Wende in der Bürgergeld-Debatte. Waren die Sozialdemokraten in der Ampel-Koalition nicht noch ein großer Verfechter des Bürgergelds? Geschenkt.
Nun erklärt Vizekanzler Klingbeil bei Caren Miosga: „Ich war immer dafür, dass wir das verändern.“ Denn, so lautet seine Begründung, man könne jenen Menschen, die „für 2500 bis 3000 Euro arbeiten gehen, nicht erklären, dass andere Menschen das Geld vom Staat bekommen“.
Über den Missbrauch gebe es eine „massive gesellschaftliche Debatte“. Klingbeil spricht von Sozialbetrug und Schwarzarbeit. Man habe es in der SPD vorher schon erkannt, aber erst jetzt gemeinsam mit der Union ändern können. Das Resultat: Bürgergeld-Empfänger, die drei Termine auf dem Arbeitsamt verpassen, bekommen die Bezüge gestrichen.
Was bringt die Regelverschärfung?
Für die SPD ist das ein revolutionärer Akt. Zur Erinnerung: SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hatte die Einführung des Bürgergelds 2022 noch als die „größte Sozialreform der letzten 20 Jahre“ gefeiert.
Nun also erklärt die eher dem linken SPD-Flügel zuzuordnende Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas, dass ihre Partei „Arbeit statt Arbeitslosigkeit“ fördern wolle und bei Bürgergeld-Missbrauch „bis an die Grenze dessen geht, was verfassungsrechtlich zulässig ist“.
Arbeitsverweigerer schauen künftig ins Leere. Die Sache hat nur einen Haken. Die Frage ist, wie viel Geld durch diese Regelverschärfung von den 50 Milliarden Euro fürs Bürgergeld überhaupt gespart wird. Die Einsparungen dürften nämlich minimal sein.
Offenbar soll die Verschärfung bei Sozialleistungsbetrug eher in ein verändertes Image der SPD als in den Sparstrumpf einzahlen. Die Sozialdemokraten wollen belegen, dass sie jetzt tatsächlich „die Fleißigen, die jeden Morgen aufstehen und arbeiten“ (Klingbeil) im Blick haben. Es geht um Glaubwürdigkeit.
Lars Klingbeil stammt aus einfachen Verhältnissen
Vielleicht erzählt Vizekanzler Lars Klingbeil auch wegen eben dieser Glaubwürdigkeit bei Caren Miosga davon, dass er die Dreifachbelastung als Finanzminister, SPD-Vorsitzender und Wahlkreis-Politiker plus kleinem Kind als „Privileg" empfindet.
„Ich komme aus einfachen Verhältnissen“, so Klingbeil. „Meine Mutter war Verkäuferin, mein Vater Unteroffizier.“ In keinem anderen Land hätte er es zum Vizekanzler geschafft, meint Klingbeil und erklärt zur hohen Belastung fast etwas trotzig: „Ich kriege es hin!“
Wahrscheinlich ist Deutschlands Vizekanzler einer dieser „Fleißigen, die jeden Morgen aufstehen und arbeiten“.