Im Windschatten der Bundestagswahl bereitet Merz die erste große Reform vor – um die Wirtschaft zu entfesseln
Noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl und dann können die drängendsten Probleme unserer Zeit wieder angepackt werden. Die Union könnte eine Reform anstoßen, die das Land wirklich voranbringt.
Berlin – Kommt nach der Bundestagswahl am 23. Februar endlich die große Wende? Wirtschaft, Gesellschaft und auch die Bündnispartner im Ukraine-Krieg hoffen es jedenfalls. Denn die Schwäche der deutschen Wirtschaft treibt den ganzen Kontinent um, der „kranke Mann Europas“ ist wieder da. Deswegen bereitet die CDU hinter Friedrich Merz auch schon die erste große Reform vor, die schon sehr bald nach der Wahl kommen könnte – und dem Land etwas Schwung geben soll.
CDU und Friedrich Merz bereiten eine Reform der Schuldenbremse vor
Es vergeht kaum ein öffentlicher Auftritt, bei dem Friedrich Merz derzeit nicht zur Reform der Schuldenbremse gefragt wird. Denn die Bedrohung durch Russland, die Forderung von US-Präsident Donald Trump nach einer riesigen Erhöhung der Verteidigungsausgaben sowie der große Investitionsbedarf in Deutschland lassen den Ruf nach neuen Ausnahmen bei der Beschränkung der Kreditaufnahme immer lauter werden.
Bisher hat die Union dies abgelehnt, die angesichts der nötigen Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat aber für eine Reform gebraucht wird. Doch Gespräche der Nachrichtenagentur Reuters mit einem Dutzend Spitzenpolitikern in den vergangenen Tagen zeigen, dass die Weichen für eine Reform nach der Wahl gestellt sind. Und Bewegung für mehr fiskalischen Spielraum könnte es in den kommenden Monaten und Jahren sogar auf zwei Ebenen geben – auf der deutschen und der europäischen.
Merz will rot-grün keinen Sieg geben: Schuldenbremse soll erst nach der Wahl Thema werden
„Wir können selbstverständlich auch über die Schuldenbremse reden. Die Länder haben ja zum Beispiel viel weniger Flexibilität als der Bund“, hatte Merz vor wenigen Tagen im ZDF gesagt. Aber der CDU-Chef will dies erst als zweiten Schritt im Falle eines Wahlsieges tun: Bevor er über mehr Schulden spreche, gehe es um „mehr Effizienz, weniger Bürokratie, schnelleres Bauen“ und die Frage, „ob wir nicht vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch Geld einsparen können“. Hintergrund ist das Ziel der Union, im Haushalt an etlichen Stellen Milliarden Euro einzusparen. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach mehrfach von einem nötigen Kassensturz, der absolute Priorität habe.
In der Ampel-Regierung hatte die FDP noch jede Reform verhindert, in der rot-grünen Minderheitsregierung wäre der Weg frei gewesen. Aber obwohl sich mittlerweile ein breites Bündnis von Ökonomen, Industrieverbänden bis zu Gewerkschaften für eine Öffnungsklausel für Investitionen formiert hat, wollte Merz das Thema vor der Bundestagswahl aus zwei Gründen nicht anpacken: Zum einen sollte die rot-grüne Minderheitsregierung keine Möglichkeit mehr bekommen, sich mit neuen Ausgaben profilieren zu können.
Zum anderen schauen die Unions-Strategen auch auf die Konkurrenz von FDP und AfD, die eine Lockerung der Schuldenbremse kategorisch ablehnen. Aber im Unions-Wahlprogramm wird bewusst nur das Festhalten an der Schuldenbremse betont – nicht aber eine Lockerung ausgeschlossen.
Bundesländer reden mit Merz Klartext: Er muss die Schuldenbremse umsetzen
Das Umdenken deutete sich seit Monaten bei der Union an. Schon im Sommer 2024 hatten die CDU-Ministerpräsidenten Merz bei einem Treffen klar gemacht, dass eine Reform kommen muss. Denn anders als der Bund, der sich jährlich bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung verschulden darf, haben die Länder überhaupt keinen Spielraum. Angesichts des erwarteten enormen Investitionsbedarfs auch in Kommunen und Ländern dringen die Länderchefs der Union ebenso wie ihr SPD-Kolleginnen und -Kollegen darauf, ihnen mehr Möglichkeiten zur Kreditaufnahme einzuräumen. Einige wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagen dies auch öffentlich.

Auch CSU-Chef Markus Söder lehnt eine Reform nicht kategorisch ab. Er besteht aber darauf, dass eine Reform mit einer Neuordnung des Länderfinanzausgleichs verbunden wird. Hintergrund ist die Sorge, dass die Transferleistungen Bayerns als größter Nettozahler im Länderfinanzausgleich noch steigen könnten, wenn ärmere Bundesländer wieder neue Schulden aufnehmen.
Reform der Schuldenbremse für die Rüstung: 200.000 mehr Jobs könnten entstehen
In den vergangenen Jahren war die Debatte vor allem mit Blick auf den steigenden öffentlichen Investitionsbedarf und den in der Rezession nicht mehr so üppig sprudelnden Staatseinnahmen befeuert worden. Aber der russische Überfall auf die Ukraine, der steigende Bedarf an Hilfe für die Ukraine und die Notwendigkeit, die Bundeswehr schnell besser auszurüsten, haben die Debatte erweitert. Plötzlich redet auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) davon, dass die Nato-Staaten statt zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung gleich 3,5 Prozent für Verteidigung ausgeben sollten.
Mehr Investitionen in die Rüstung kann auch mehr Arbeitsstellen schaffen. Zusätzliche Rüstungsausgaben könnten einer Studie zufolge der deutschen Wirtschaft einen Schub geben. Bis zu 200.000 Jobs könnten entstehen, wenn Deutschland seine Verteidigungsausgaben schuldenfinanziert von 2 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern würde, lautet das zentrale Ergebnis einer aktuellen Simulation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS).
Gefahr für Merz: FDP und AfD könnten zusammen eine Sperrminorität bilden
Kanzler Scholz wiederholt im Wahlkampf fast täglich den Vorwurf, dass die Union nicht ehrlich sei: Denn es sei absehbar, dass es allein für den Bundeswehretat ab 2028 ein jährlicher Mehrbedarf von 30 Milliarden Euro gibt, weil dann das sogenannte Sondervermögen ausläuft. Sollten die Nato-Staaten ihre Rüstungsausgaben weiter erhöhen, kämen jährlich Dutzende Milliarden hinzu. Scholz warnt, dass dies aus dem normalen Bundeshaushalt ohne einen drastischen Abbau sozialer Leistungen oder eben die Kürzung dringend nötiger Investitionen nicht zu leisten sei. Das räumt man auch in der Union mittlerweile ein.
Nach der Wahl könnte es zwei Hürden für eine Reform geben - eine erneute Regierungsbeteiligung der FDP, sollte sie wieder in den Bundestag einziehen; und eine Sperrminorität im Bundestag durch AfD, BSW und FDP. Genau mit diesem Hinweis hatte Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) schon vor Monaten vergeblich zur Eile gedrängt.
Als Alternative wird die Einrichtung eines neuen Sondervermögens angesehen. Es zirkulieren Vorschläge eines großen Wurfs von mehreren hundert Milliarden Euro - entweder für Investitionen oder für Verteidigungsausgaben. Allerdings braucht auch die Verankerung einer solchen neuen Kreditlinie im Grundgesetz eine Zweidrittel-Mehrheit. Schaffen es AfD und FDP beide in den Bundestag, dann könnten diese gemeinsam solche Beschlüsse verhindern.
Auch auf EU-Ebene ist eine Reform der Schuldenbremse auf dem Programm
In einem Sondervermögen kann genauer definiert werden, wofür neue Schulden aufgenommen werden dürfen, also etwa für Brücken-Sanierung, den Ausbau von Verkehrswegen, Stromleitungen oder eben Verteidigungsausgaben. Für diesen Weg plädierte etwa der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel.
Die Debatte darüber, wie man die EU-Staaten angesichts einer russischen Bedrohung mit zusätzlichem Geld aufrüsten kann, wird auch europäisch geführt. Polen will gemeinsame EU-Verteidigungsbonds, um die europäischen Armeen besser auszustatten. Dies lehnt die Bundesregierung mit Hinweis auf das Grundgesetz ab. Aber Scholz machte einen neuen Vorschlag: „Ich schlage deshalb vor, dass wir im Stabilitätspakt der EU eine Ausnahme einführen - für alle Investitionen in Verteidigungsgüter, die oberhalb unseres bisherigen Nato-Ziels von zwei Prozent liegen“, sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Merz hat auf EU-Ebene eine ähnliche Haltung wie in der nationalen Debatte: „Ich bin offen für jede Debatte über Ressourcen, aber ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass wir nur über Geld sprechen“, sagte er. Aber ohne „Standardisierung, Vereinfachung, Skaleneffekten“ bei der europäischen Rüstungszusammenarbeit werde er dem nicht zustimmen. (wal/reuters)