„Ich wüsste gerne, wie ich mein Land verteidigen soll“: Soldaten äußern Sorge – Pistorius reagiert überrascht

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Boris Pistorius erfährt bei einem Bundeswehr-Besuch viel Sympathie – doch am Rande sind auch Sorge und Spötteleien aus Soldaten-Reihen zu vernehmen.

Delitzsch – Oberst Axel Hermeling hat sofort ein Thema gefunden, über das er mit dem Minister plaudern kann. Der Chef der Unteroffizierschule des Heeres in Delitzsch in der Nähe von Leipzig war als junger Mensch im selben Fußballverein wie Boris Pistorius: Schinkel 04. Hermeling und Pistorius stammen beide aus Osnabrück. „Der Minister ist aber zwei Jahre älter“, erzählt der Soldat, „ich habe mit seinem Bruder in einer Mannschaft gespielt.“

Die Unteroffizierschule des Heeres, kurz USH, ist die letzte Station auf der Sommerreise des Verteidigungsministers. Pistorius erkundigt sich in Delitzsch über die Stützen der deutschen Streitkräfte. „Unteroffiziere und Feldwebel sind das Rückgrat der Armee“, sagt der SPD-Politiker vor Soldaten in der großen Aula. Es sei ihm eine Freude, gerade die Bundeswehrstandorte zu besuchen, „wo unser Führungsnachwuchs ausgebildet wird“.

Pistorius setzt auf eine „Wehrpflicht light“ – und rührt die Werbetrommel

Pistorius ist zuletzt quer durch die Republik gereist. Er war unter anderem beim ABC-Abwehrkommando in Bruchsal, beim Weltraumkommando in Uedem und beim Marinestützpunkt in Eckernförde. Auch in Delitzsch rührt er die Werbetrommel für die Truppe. Er habe die „Begeisterung und Motivation junger Menschen am Beginn ihrer Karriere gespürt“, schwärmt der Minister, der jüngst ein eigenes Wehrdienstmodell vorgestellt hat. Die Streitkräfte wirkten schon jetzt attraktiv: „Im Vorjahresvergleich haben wir 2024 insgesamt 15 Prozent mehr Bewerber.“

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt sich an der USH in Delitzsch die Kletterausbildung erklären.
Boris Pistorius am Dienstag in Delitzsch. © Florian Pfitzner

Um grundsätzlich mehr Menschen für die Bundeswehr zu gewinnen, setzt Pistorius auf eine „Wehrpflicht light“. Die Wehrpflichtigen könnten sich entscheiden, ob sie einen sechsmonatigen Grundwehrdienst oder einen Wehrdienst leisten wollen, der auf bis zu 23 Monate verlängert werden kann. Es soll erfasst werden, ob junge Männer bereit und fähig zu einem Wehrdienst sind – junge Frauen können freiwillig Auskunft geben. Pistorius will seine Pläne noch in dieser Wahlperiode in ein Gesetz fließen lassen.

Schweden hat die „Zeitenwende“ früher begriffen als Deutschland

Aus Sicht des Ministers haben Deutschland und seine westeuropäischen Nachbarländer ziemlich spät auf die russische Aggression reagiert. Schweden und die baltischen Staaten hätten bereits nach der Annexion der Krim „verstanden, dass wir in einer anderen Welt als 2014 leben“. Deutschland habe die neue Weltlage erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 richtig begriffen. In der Unteroffizierschule erklärt Pistorius: „Ohne Leidenschaft, Herzblut und Zuversicht“ könne sie nicht gelingen, die Zeitenwende.

Über solche politischen Begriffe lächeln sie in Delitzsch. „Zeitenwende“, spötteln einige Soldaten auf dem Gelände, „die leben wir hier doch schon lange“. Pistorius spricht unterdessen mit den Übungsleitern der Kletterausbildung. Er geht auf die Soldatinnen und Soldaten zu, fragt nach ihrer Motivation. Einige von ihnen sind erst zu Wochenbeginn zum Lehrgang angereist und reagieren angesichts des hochrangigen Gastes eher schüchtern. Sie habe „nach dem Abitur was Aktives“ machen wollen, antwortet eine Soldatin. Pistorius gefällt das. „Großartig“, sagt er, „passen Sie gut auf sich auf.“

Den Soldaten fehlen eigene Handwaffen und passende Schutzweste

In den offiziellen Gesprächen konzentriert sich Pistorius vor allem auf die Infrastruktur. Auf dem Truppenübungsgelände sieht er „erheblichen Bau- und Sanierungsbedarf“. Sein Ministerium will in den kommenden Jahren rund 120 Millionen Euro in die USH stecken. „Hier wird richtig was passieren.“

Dem Minister wird in Delitzsch große Zuneigung entgegengebracht. Ob das Geld aber an den richtigen Stellen ausgegeben wird, scheint indes fraglich. Sicher, das ein oder andere Lehrgebäude könnte saniert werden. Am Standort beschäftigte Soldaten erzählen aber, dass es an persönlichem Material fehlt. „Ich genieße hier auf der Stube mehr Privatheit als früher“, erzählt einer. „Dafür haben wir keine eigenen Handwaffen oder eine passende Schutzweste“, sagt ein anderer. „Ich wüsste schon gerne, wie ich mein Land und mich selbst im Ernstfall verteidigen soll.“

Ihm selbst habe seine Sommertour „viel Mut gemacht“, sagt der Minister, bevor er in den Hubschrauber steigt. Wie sieht es umgekehrt aus? Auf die Sorgen der Soldaten angesprochen, reagiert Pistorius einigermaßen überrascht. Von Ausstattungsproblemen habe er bei seinem Truppenbesuch in Delitzsch nichts gehört. „Diese Defizite gibt es hier nicht, die gibt es anderswo vielleicht.“ Mit seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren habe er ein Ziel gesetzt: „Die persönliche Ausrüstung, die persönliche Bewaffnung, die Einsatz- und Übungsfähigkeit und der laufende Betrieb genießen absolute Priorität.“

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