Russlands Milliarden kommen noch immer vom Öl: So funktioniert Putins Schattenflotte
Westliche Sanktionen sollen Russlands Wirtschaft schwächen. Beim Öl-Export hatte eine Schattenflotte einige davon umgangen. Jetzt ist klar, wie.
Moskau – 11. September 2024: Ein Tankschiff legt am italienischen Hafen Augusta an. Laut der Umweltorganisation Greenpeace verließ es den Hafen mit 5,8 Metern weniger Tiefgang. Ein Verdacht kommt auf: Das Schiff hatte seine Ladung, mutmaßlich russisches Öl, mitten in Europa abgeladen, obwohl die EU derzeit alle Register zieht, um die Gewinne Russlands aus Öl und Gas zu beschneiden. Die sogenannte Schattenflotte des russischen Präsidenten Wladimir Putin umgeht diese Mühen. Jetzt ist klar, wie sie im Detail funktioniert.
So stützt die Schattenflotte Russlands Wirtschaft – Hintermänner verschleiern Herkunft der Schiffe
Die komplexe bürokratische Struktur, der sich Putin in Übersee bedient, um seine Schattenflotte am Laufen zu halten, hatte den Westen lange vor die Herausforderung gestellt, herauszufinden, wem welches Schiff überhaupt gehört. Jetzt hatte die Financial Times Einsicht in Unternehmensakten und Korrespondenz – und was sie herausfand, zeigt deutlich, wie Russland hinter den Kulissen eine Flotte aufgebaut hat, deren einziger Zweck es ist, westliche Sanktionen zu umgehen. Pro Tag sollen diese Schiffe vier Millionen Barrel Öl transportieren.

Im Zentrum dieser Erkenntnisse steht demzufolge der russische Öl-Riese Lukoil. Konkreter: dessen Tochtergesellschaft Eiger Shipping DMCC, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten sitze. Diese habe eine Firma namens Grand Eagle Maritime bezahlt, um einen Tanker namens Kudos Stars zu chartern – Grand Eagle wiederum unterstehe einem britischen Finanzexperten. Dieser Finanzexperte soll sowohl das Unglücksschiff Canis Power als auch mindestens 24 andere Tanker aus zweiter Hand für Lukoil beschafft haben. Canis Power hatte im Mai 2023 Aufsehen erregt, weil es vor Dänemark einen Maschinenschaden erlitt.
Diese 25 Schiffe allein sollen – bei einer Preisannahme von 60 US-Dollar pro Barrel – rund 7,2 Milliarden US-Dollar an Gewinn eingefahren haben. Ihre Kosten (nur die, über die Financial Times Kenntnis hat) sollen sich auf mehr als 700 Millionen US-Dollar belaufen.
Jedes einzelne Schiff soll der britische Profi über ein jeweils anderes Unternehmen gekauft haben, das auf den Marshall-Inseln lag, aber Eiger Shipping habe für alles bezahlt. Insider sollen außerdem angegeben haben, dass Unternehmen aus Dubai mit dem Management der so gekauften Schiffe beauftragt waren, die Schiffe fuhren dann unter der Flagge der Cook-Inseln. Dieses komplexe Netzwerk habe dafür gesorgt, dass Russlands zweitgrößter Ölkonzern fast unbemerkt eine Schiffsflotte aus Schattentankern aufbauen konnte.
Neue Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft – Westen passt sich an
Schiffsdaten und Handelsauswertungen hatten gezeigt, dass die so gekauften Tanker, die vorher durchaus international tätig waren, nach dem Kauf fast ausschließlich russisches Öl transportiert hatten, 82 Prozent allein von Lukoil.
Meine news
Das Gewiefte daran: Laut der Financial Times stehen dabei keinerlei Vorwürfe über gebrochene Gesetze im Raum. Immerhin war keine dieser vielen Firmen direkt sanktioniert, auch wenn Lukoil selbst sanktioniert war. Auf diese Winkelzüge hatte der Westen erst vergleichsweise spät reagiert. Erst unter der Führung der USA hatten Länder, die Russland sanktionieren wollen, sich darauf verlegt, nicht die Firmen hinter den Schiffen, sondern die Schiffe selbst zu sanktionieren.
Hintergründe der Schattenflotte – Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft
Die Schattenflotte ist Wladimir Putins Reaktion auf die Sanktionen der westlichen Ukraine-Verbündeten. Um Russlands Wirtschaft zu schwächen, hatte der Westen eine ganze Reihe von Sanktionen eingesetzt, die im Grunde die Einnahmen Putins aus verschiedensten Wirtschaftszweigen mindern sollten – darunter auch Öl und Gas. Putins Logik hinter der Flotte: Wenn die Tanker nicht aus Russland stammen und nicht unter russischer Flagge fahren, kann der Westen sie nicht daran hindern, weiter Öl zu transportieren. Für Russlands Wirtschaft, die enorm vom Öl-Export abhängig ist, wäre eine erfolgreiche Sanktionierung ein schwerer Schlag.
Für Russland ist die Schattenflotte, gerade was Ölexporte angeht, mittlerweile wertvoller als die reguläre Flotte. Im Juni 2024 hatten Transporter der Schattenflotte Öl im Wert von etwa 3.272 Kilobarrel pro Tag verschifft, die „konventionell versicherte“ Flotte schaffte knapp ein Zehntel davon. Das hatten Daten des KSE Instituts gezeigt. Die Kosten, die Russland für die Schattenflotte aufwenden musste, sollen zwischen acht und zehn Milliarden US-Dollar liegen, umgerechnet 7,31 Milliarden Euro bis 9,1 Milliarden Euro. Umso wichtiger ist es für Putin, dieses Investment zu schützen: Die Tanker der Schattenflotte machen auch vor einem Wechsel von Namen und Flagge nicht halt.
RIsiken der Schattenflotte – nicht nur für Russlands Wirtschaft
Neben dem bloßen Umstand, dass diese Schattentanker Russland Gewinne durch Ölhandel einbringen, ist ihr Risiko für Umweltkatastrophen ungleich höher. Viele der so eingesetzten Tanker sind vergleichsweise alt, was sie wiederum anfällig für Schäden wie den Motorschaden von Canis Power macht. Schäden am Schiff können gewaltige Ölkatastrophen auslösen, die dann direkt europäische Gewässer betreffen könnten – denn viele der Schiffe müssen auf dem Weg von Russland aus an etlichen europäischen Küsten vorbei, unter anderem an der dänischen.
Davor hatten schon mehrere Akteure aus Wirtschaft und Politik gewarnt, darunter das Center for European Policy Analysis (CEPA). Mehr noch: Weil viele Schiffe der Schattenflotte keine ausreichende Versicherung hatten, wäre im Falle eines Naturschadens nicht klar, wer für die Schäden aufkommt.
Einbruch bei Öllieferungen – Schaden an Russlands Wirtschaft
Laut dem Historiker und Russland-Experten Craig Kennedy haben die neuen Sanktionen, seitdem der Westen die Schiffe direkt sanktioniert, zu einem Einbruch der Öllieferungen durch die Schattenflotte gesorgt. In seinem Bericht Navigating Russia hatte Kennedy Schiffsdaten ausgewertet und war zu dem Schluss gekommen, dass das Wachstum der Schattenflotte „drastisch“ abgenommen habe.
Das soll unter anderem an schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen liegen. Auch, wenn die Grundidee gut kalkuliert klingt – die vielen Untergesellschaften und die Verschleierung hinter jedem einzelnen Schiff machen den Kauf pro Tanker ungleich teurer als es bei „normal“ geführten Schiffen der Fall wäre. Außerdem lege Putin für die veralteten Schattentanker teils horrende Preise hin.
Laut dem Centre for Research on Energy and Clean Air waren Russlands Einnahmen aus dem Erdölverkauf im August um acht Prozent zurückgegangen, was den fünften Monat des Preisverfalls in Folge markierte.