Wie eine mysteriöse Trump-Meldung die krasse Börsen-Achterbahnfahrt auslöste

Der gestrige Börsentag war bizarr: Eine irreführende Schlagzeile bahnte sich ihren Weg durch die sozialen Netzwerke und landete schließlich in den US-Fernsehnachrichten. Wenig später richtete sie innerhalb weniger Minuten großes Unheil an.

Die falsche Behauptung, US-Präsident Donald Trump erwäge eine 90-tägige Pause seiner Strafzölle, sorgte dafür, dass die US-Aktien gestern kurzzeitig in die Höhe schnellten und dabei um rund 2,4 Billionen Dollar an Wert gewannen. Nur um kurz darauf genauso schnell wieder zu sinken. Der Aktienindex S&P 500 stieg kurzzeitig um fast 6 Prozent gegenüber dem Stand unmittelbar vor der mysteriösen Schlagzeile, fiel dann aber wieder, als sich die Meldung als falsch herausstellte.

Doch was genau war passiert?

Nach Fake News: Aktien-Ausverkauf wurde umgekehrt 

Kurz nach 10:10 Uhr an der US-Ostküste (also 16:10 Uhr MEZ) posteten mehrere Finanz-Accounts auf X (ehemals Twitter): Donald Trumps Wirtschaftsberater Kevin Hasset habe angedeutet, dass der Präsident über eine 90-tägige Aussetzung seiner Einfuhrzollpläne nachdenke – ausgenommen China.

Die Nachricht wurde zwar nicht von der Regierung bestätigt. Doch nicht einmal fünf Minuten später erhielt die Schlagzeile neuen Auftrieb: Ein TV-Moderator im US-Finanz- und Wirtschaftssender CNBC übernahm die Nachricht in einer Live-Grafik und nutzte sie als Erklärung für die Marktbewegung. 

„HASSET: TRUMP ERWÄGT 90-TÄGIGE ZOLLPAUSE FÜR ALLE LÄNDER AUSSER CHINA“, strahlte CNBC um 10:18 Uhr aus. Zwei Minuten später veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters die gleiche Nachricht unter Berufung auf CNBC.

Obwohl der CNBC-Moderator auch anmerkte, dass die Quelle der Schlagzeile noch nicht festzustellen sei, führte die Behauptung innerhalb weniger Minuten zu Billionengewinnen des Aktienmarktwertes. Viele Anleger fassten die Nachricht als wahr auf. Der Aktien-Ausverkauf von zuvor wurde umgekehrt und trieb die Kurse wieder in die Höhe. 

Auf Euphorie folgte Ernüchterung: Woher kam die Schlagzeile?

Auf die Euphorie folgte jedoch umgehend wieder Ernüchterung. Innerhalb einer Stunde dementierte das Weiße Haus jegliche Kenntnis über einen derartigen Plan und postete auf X, die Nachricht sei „Fake News“. 

Daraufhin gaben die Aktiengewinne im gleichen Ausmaß wieder nach, und die Märkte bewegten sich anschließend volatil seitwärts. Bis zum Nachmittag hatte sich der Kurs weitgehend wieder auf das ursprüngliche Niveau eingependelt. 

Bleibt die Frage: Woher kam die Schlagzeile?

Noch kennt niemand den Ursprung der angeblichen Nachricht. Der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Hasset, der am Montag beim US-Sender „Fox News“ zu Gast war, sagte nämlich kein Wort über eine Pause der Einfuhrzölle – obwohl er ausdrücklich danach gefragt wurde. 

Laut Berichten von US-Medien kursierte die Schlagzeile um 10:13 Uhr in sozialen Medien, als ein viel beachteter X-Account namens Walter Bloomberg sie postete. Die Falschnachricht verbreitete sich innerhalb der nächsten 30 Minuten dank seiner rund 848.000 Follower rasant. 

Laut dem Profil ist der Betreiber in der Schweiz ansässig. Der Account steht zudem in keiner Verbindung zur seriösen Nachrichtenagentur Bloomberg News. Auch der Name der Person ist nicht Walter Bloomberg. 

Der Autor des Accounts gab an, erstmals um 10:09 Uhr auf X auf die Schlagzeile gestoßen zu sein.

Der inzwischen entfernte Beitrag wirft aber einige Fragen auf: Hat die Person hinter dem Pseudonym „Walter Bloomberg“ eine Schlagzeile konstruiert, um die Märkte zu stabilisieren? Um möglicherweise Gewinne mitzunehmen? Oder vielleicht schlichtweg, um gezielt Unruhe zu stiften?

In einer Direktnachricht an das „Wall Street Jornal“ erklärte die Person hinter dem Account: „Angesichts der Marktbewegung (+4,5 Prozent) hielt ich die Nachricht für glaubwürdig und veröffentlichte sie um 10:13 Uhr.“

Das Problem: Der gesamte Zweck des Accounts besteht jedoch darin, seinerseits Schlagzeilen aus Finanznachrichtendiensten weiterzuleiten.

US-Medien liefern unterschiedliche Chronologie der Ereignisse

US-Medien liefern noch eine weitere mögliche Chronologie der Ereignisse: Laut eines Berichtes von CNBC soll die Falschmeldung bereits um 10:10 Uhr Ostküstenzeit von dem Account @yourfavorito bzw. "Hammer Capital" auf X verbreitet worden sein, einem Finanz-Account mit relativ wenigen Followern, der ebenfalls regelmäßig Schlagzeilen zu Wirtschaftsnachrichten postet. 

Wenig später wurden nahezu identische Formulierungen auch von größeren und bekannteren Accounts veröffentlicht. Ein X-Account namens T3LIVE postete um 10:12 Uhr die gleiche Nachricht.

Stand jetzt scheint es also der Account von "Hammer Capital" gewesen zu sein, der die Falschnachricht zuerst veröffentlichte – also noch vor "Walter Bloomberg", CNBC oder allen anderen bekannten Quellen. 

Der Account ist seit März 2021 auf X aktiv. In einem Post erklärte er die Schlagzeile folgendermaßen:

„Um es so deutlich wie möglich zu sagen, begannen die Handelsplätze (Anm. d. Red.: Englisch: trading desks) um 10:09 Uhr mit der Übermittlung dieser Schlagzeile. Ich habe das, worauf der Markt reagiert hat, an meine 600 Follower weitergegeben. Es war eine falsche Interpretation eines Fox-News-Interviews.“

Steckt eine fehlerhafte KI-News dahinter?

Die „Financial Times“ bestätigt, von einigen anderen Quellen gehört zu haben, dass Trading-Desks, also institutionelle Handelsabteilungen, zu diesem Zeitpunkt begannen, diese Schlagzeile zu verbreiten. Ebenso sei in Handelsdaten ein Anstieg des Handelsvolumens der S&P-500-Futures um diese Zeit zu erkennen – noch bevor die Tweets von "Walter Bloomberg" oder "Hammer Capital" veröffentlicht wurden.

Accounts wie „Walter Bloomberg“ verbreiten in der Regel nur Schlagzeilen, die von professionellen Finanznachrichtendiensten übernommen werden. Diese Dienste sind teuer und bieten oft exklusive Inhalte, die nicht jeder sofort sehen kann.

Es ist also möglich, dass eine falsche Schlagzeile in einem billigeren oder experimentellen Nachrichtenabonnement auftauchte, das möglicherweise mit KI-Sprachmodellen arbeitet, und diese dann von „Walter Bloomberg“ und ähnlichen Accounts verbreitet wurde. So lautet auch die Theorie der „Financial Times“.

Heißt: Algorithmische Software-Programme, die Informationen nach Kauf- und Verkaufssignalen auswerten, könnten der Auslöser sein.

Eine andere Möglichkeit ist, dass jemand ein Interview mit Kevin Hassett falsch interpretiert hat. In dem Interview sagte Hasset aber nichts Konkretes über eine Zollpause - nur, dass der Präsident tun werde, was er für richtig halte. Das war also keine klare Aussage.

Außerdem: Das Interview fand zwei Stunden vor der falschen Schlagzeile statt - und erklärte auch nicht den Teil, dass China angeblich ausgenommen werden sollte.

CNBC und Reuters in peinlicher Erklärungsnot

CNBC und Reuters sahen sich schließlich in peinlicher Erklärungsnot. Bei Reuters schob man die Schuld CNBC zu: „Basierend auf einer Schlagzeile von CNBC veröffentlichte Reuters am 7. April einen Artikel, in dem es hieß, Kevin Hasset habe gesagt, Präsident Donald Trump erwäge eine 90-tägige Aussetzung der Zölle auf alle Länder außer China. Das Weiße Haus dementierte den Bericht. Reuters hat den Bericht zurückgezogen und bedauert seinen Fehler.“

Und bei CNBC erklärte man: „Da wir die Marktentwicklung in Live-Zeit verfolgten, haben wir unbestätigte Informationen veröffentlicht. Unsere Reporter haben umgehend live korrigiert.“ 

Letztlich haben auch viele deutsche Medien, auch FOCUS online, die CNBC-Meldung übernommen. So oder so, die extremen Börsenschwankungen zeigen, wie empfindlich die Märkte auf die Hoffnung reagieren, dass Trump seine Zollvorhaben doch wieder zurückziehen könnte. Der Vorfall ist nicht das erste Mal, dass Gerüchte in sozialen Netzwerken die Aktienmärkte beeinflussen. 

2012 wurde der Twitter-Account der Nachrichtenagentur Associated Press gehackt. Eine Falschaussage über einen Bombenanschlag auf das Weiße Haus ließ damals die US-Märkte nach unten sacken.

Offen bleibt aber immer noch, wo genau diese „Trading Desks“ und Broker-Chats der Banken die ursprüngliche Schlagzeile gesehen haben und sie so unters Volk gebracht haben.