Das Schlachtfeld der Zukunft: Ukraine-Drohnen werden zur Nemesis russischer Panzer

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Sie sind klein wie Spielzeuge und knacken Kampfpanzer. Ein erfolgreicher Drohnen-Angriff der Ukraine hat jetzt ein Beben im russischen Fernsehen ausgelöst.

Nowomichajliwka – Wladimir Solowjow hat Gift und Galle gespuckt. Russische Militärblogger hatten darüber berichtet, dass eine Panzerkolonne Russlands durch einen Drohnen-Schwarm der Ukraine vollständig aufgerieben worden war; damit nicht genug: Sie hatten daraufhin Wladimir Putins Militärführung kritisiert. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, schreibt Blogger Dem Z-Krieg zugewandt, laut Bild, „wie zum Teufel kann man ignorieren, dass der Feind FPV-Drohnen zur Verfügung hat?“

Grund genug für Solowjow als Moderator einer abendlichen Nachrichtensendung auf dem vom Kreml kontrollierten Fernsehsender Rossija 1 zu fordern, dass diese Blogger „zerstört – einfach eliminiert würden“, wie ihn die Kyiv Post zitiert. Dabei haben die Blogger hinzuweisen versucht auf einen Wandel, der sich im Ukraine-Krieg immer deutlicher herauszukristallisieren scheint – wie jedenfalls der Autor Stefan Korshak auf dem Blog medium veröffentlicht. 

Das russische Desaster auf dem Schlachtfeld von Nowomichajliwka erscheint ihm symptomatisch für den Verlauf des Ukraine-Krieges: Endergebnis wird seiner Meinung nach sein, „dass ein Drohnenteam aus vier Computerfreaks in einem Transporter sitzt, mit ein paar Flugsteuerungen und Richtantennen an Bord, und genauso gefährlich werden kann wie mehrere Dutzend Kampfhubschrauber“. Indem sie das Schlachtfeld überblicken und genau auswählen können, wohin sie jedes einzelne Sprengstoff-Paket fliegen wollen, können sie von bis zu vier Kilometern von der Frontlinie entfernt in nahezu jeder Hinsicht mehr präzisionsgelenkte Feuerkraft liefern als jedes andere eingesetzte Waffensystem; und das für einen Bruchteil des Preises.

Meilenstein des Ukraine-Krieges: Der tödliche Drohnen-Schwarm gegen Russland

Stein des Anstoßes ist ein Video, das den Angriff ukrainischer Drohnen auf einen gepanzerten russischen Konvoi zeigt – dabei sollen alle Fahrzeuge zerstört worden sein; mit dabei drei Kampfpanzer, ein Schützenpanzer und sieben gepanzerte Fahrzeuge. Sie marschieren in der Mittagszeit ohne jegliche Deckung oder infanteristische Unterstützung beziehungsweise ohne Überwachung des Luftraumes. Ihr Ziel soll laut Angaben von Bild gewesen sein, den umkämpften Ort Nowomichajliwka südlich zu flankieren und zur strategisch wichtigen Straße nach Wuhledar vorzustoßen. Ziel waren Stellungen der 72. mechanisierten Infanteriebrigade der Ukraine.

Für die Kyiv Post ein Meilenstein im Ukraine-Krieg: „Die Schlacht von Nowomichajliwka war wichtig, weil sie bestätigte, dass die Ukraine eine militärisch-technologische Revolution erlebt. Im Augenblick jedenfalls“, wie sie schreibt. Russische Militärblogger widersprachen schnell den Behauptungen des Kreml über einen erfolgreichen Angriff der Panzerkolonne und bestätigten damit ukrainische Berichte über schwere Verluste bei Nowomichajliwka durch Drohnen-Schwärme. Nach Ansicht vieler kremlfreundlicher Betreiber militärischer Informationsplattformen ist das anhaltende Versäumnis der russischen Armeeführung, dort und an anderen Standorten wirksame Verteidigungsmaßnahmen gegen Angriffsdrohnen zu entwickeln, schlichtweg fahrlässig.

Ein ukrainischer Soldat bedient an der Donbass-Front bei Storozheve eine Quadrocopter-Drohne.
Ein ukrainischer Soldat bedient eine Quadrocopter-Drohne – das geht künftig auch aus einem Transporter heraus ohne großen Aufwand. (Archivfoto) © IMAGO/Ashley Chan

Zum Fortschritt gezwungen: Ukraine muss Russland so günstig wie möglich niederkämpfen

Laut Kyiv Post zeigen die meisten der abgebildeten Treffer eine leichte Quad-Copter-Drohne mit einer an der Unterseite des Flugobjekts befestigten, selbstfliegenden RPG-Panzerabwehrraketengranate (Rocket Propelled Gun) aus der Sowjetzeit, die die relativ dünne Seiten- oder Heckpanzerung russischer T-72-Panzer oder gepanzerter Personentransporter trifft. Russische Fahrzeuge sind mit Drohnenschutzschirmen ausgestattet, doch die ukrainischen Flugzeuge weichen den Schirmen immer wieder aus, indem sie unter ihnen hindurchfliegen.

Die Ukraine ist zum Fortschritt gezwungen, weil sie sich einen konventionelleren Krieg nie leisten könnte, wie auch Stefan Korshak schreibt: Wenn Sie unseren Transporter mit den ukrainischen Drohnenpiloten vergleichen mit einer herkömmlichen 155-mm-Haubitze nach Nato-Standard, die 100.000 US-Dollar pro Granate mit präzisionsgelenktem Geschoss verballert, dann werden die ukrainischen Drohnenleute für das gleiche Geld das Hundertfache an Wirksamkeit erreichen – und sie verfügen mit weniger Aufwand über stärkere, präzisionsgelenkte Feuerkraft.

Putins Albtraum wird wahr: Ukraine ist auf dem Weg zu einer Drohnen-Weltmacht

Laut Korshak kommen allein schon die Granaten die Ukraine teuer zu stehen, daneben summieren sich die Kosten für das 155-mm-Artilleriegeschütz, die Unterstützungsfahrzeuge, die für den Transport der 155-mm-Munition erforderliche Logistik und die Ausbildung der Haubitzen-Besatzung ins Unermessliche – „zu den reinen Sachkosten addiert sich die Politik, die die Ukrainer verfolgen müssen, um die westlichen Verbündeten davon zu überzeugen ihnen die Geschütze aus den Steuereinnahmen zu finanzieren oder weiteres Geld zu beschaffen, um den Krieg weiter zu verfolgen.“

Deshalb schickt sich die Ukraine an, weltweit führender Hersteller von Drohnen zu werden, eine „Drohnenarmee“ aufzustellen, wie der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mykhailo Fedorow angekündigt hat. Drohnen werden künftig nicht nur fliegen können oder schwimmen, sondern auch tauchen. Sie werden auf dem Wasser in Schwärmen auftreten und unter Wasser; und auch über oder unter dem Wasser autonom reagieren. Gerade schickt sich die Ukraine an, die Schwarzmeer-Flotte mittels unbemannter U-Boote von der Krim zu vertreiben.

„Drohnen spielen im Ukraine-Krieg eine nicht zu unterschätzende, große Rolle – sie haben gezeigt, dass die ursprüngliche Annahme, dass Drohnen in kleinen, asymmetrischen Kriegen eine große Rolle spielen können, falsch ist; sondern dass sie auch tatsächlich in großen Konflikten eine große Rolle spielen“, sagt Oberstleutnant Rüdiger Rauch, Drohnenabwehrexperte im Verteidigungsministerium, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Um so empfindlicher sind die stählernen Kolosse gegenüber der richtigen Führung im Gefecht, da bildet auch der Leopard keine Ausnahme; ohne Begleitschutz gegen Bedrohungen aus der Luft hat der Nato-Premiumpanzer gegen Killer aus dem Baumarkt schlechte Chancen.

Achillesferse des Leoparden: Angriffe aus der Luft oder von der Flanke

Die Achillesferse eines Leopard tritt in einer Notlage also schnell zutage, wie der ukrainische Kommandeur Andreij Nemtsew jetzt gerade gegenüber dem Hamburger Abendblatt geklagt hat: „Anstatt aus dem Hinterhalt zu attackieren, nutzen wir den Panzer für direkte Angriffsoperationen. Wir können nicht anders, weil wir keine anderen Kampfpanzer in unserem Bataillon haben.“ Dieses Schicksal teilen die Ukrainer mit ihren Gegnern.

Grundsätzlich sind die Luken in einem Einsatz geschlossen. Eventuell waren die russischen Truppen aber noch nicht im Angriffsmodus und hatten die Luken deshalb geöffnet gelassen. Prinzipiell wollen Panzerbesatzungen ihre Luken so lange wie möglich offen halten. Der Grund liegt darin, dass die Sicht bei geschlossener Luke eingeschränkt ist, und der Fahrer nicht so gut sehen kann, was die Beweglichkeit des Tanks einschränken würde.

Durch offene Luken können geübte Drohnenpiloten ihre Sprengladungen aber punktgenau im Panzerinneren platzieren – eine Chance, die sich mit dem sinkenden Ausbildungsstandard der Russen vergrößert, wie Forbes schreibt: „So schlecht das russische Training vor zwei Jahren auch war, so viel schlechter ist es heute. Um die Gesamtstärke seiner Frontformationen trotz katastrophaler Verluste aufrechtzuerhalten, kürzte die russische militärische Ausbildungseinrichtung ihre ohnehin unzureichende Ausbildung – und schickte mangelhaft vorbereitete Truppen an die Front.“

Offenbar haben sich die Russen nach diesem missglückten Durchbruchsversuch bei Nowomichajliwka selbst eingekeilt, wie die Kyiv Post aufgrund von Informationen ukrainischer Quellen schreibt: Ein Sprecher der 46. Mechanisierten Brigade der Ukraine, also einer Kampfformation, die nahe Nowomichajliwka stationiert ist, sagte, dass die russischen Streitkräfte den Schwerpunkt der Angriffe etwa zehn Kilometer nördlich auf ukrainische Stellungen rund um die Stadt Marjinka verlagert hätten, wo es seitdem wiederholt zu russischen Angriffen kam. Diese neuen russischen Angriffe machen nach wie vor kaum Fortschritte, hieß es im Newsfeed der 46. Brigade vom 2. Februar.

Experten vermuten: Irgendwann werden Drohnen die Artillerie ersetzen

Der unabhängige ukrainische Militärjournalist Jurij Butusow urteilt zu dem ukrainischen Erfolg: „Dies war wahrscheinlich einer der deutlichsten Beweise für die Dominanz von Drohnen, die unter bestimmten taktischen Umständen die Artillerie auf dem Schlachtfeld ersetzen.“

Die ukrainische Gruppe tochnyi.info berichtete am 27. Januar laut der Kyiv Post in einer Analyse, dass die im Internet veröffentlichten Videos einen starken Anstieg des Einsatzes von Drohnen belegen. In weniger als vier Wochen starteten ukrainische Piloten kleiner Drohnen im Januar 533 FPV-Angriffe (First Person View) gegen russische Truppen oder Kampffahrzeuge; das waren fast doppelt so viele wie im Oktober. Der intensivste Einsatz von Hobbydrohnen fand dem Bericht zufolge statt im Sektor Awdijiwka im östlichen Donbass, der zum aktuellen Hauptziel Russlands geworden ist.

In einer Kolumne in der Washington Post vom 29. Januar mit dem Titel „Die Hoffnungen der Ukraine auf einen Sieg über Russland schwinden“ schrieb der Analyst Ishaan Tharoor, dass die Kampflinien in der Ukraine aufgrund der Kriegsmüdigkeit des Westens wahrscheinlich stagnieren würden. Ohne milliardenschwere westliche Militärhilfe kann sich die Ukraine nicht gegen Russland durchsetzen. Koshak ist sicher: „Wenn die Reichweite der Drohnen der Artillerie gleichkommt, wird der moderne Krieg auf den Kopf gestellt werden.“

Bis dahin geifert Moderator Solowjow sicher weiter gegen das, was Russland am liebsten ignoriert. Solowjow ist der vielleicht prominenteste Befürworter der russischen Invasion der Ukraine und ihrer Beseitigung als unabhängiger Staat. „Diese Menschen müssen identifiziert und eingesperrt werden. All diese Leute auf Telegram, Blogger ... sie sind Feinde und sie müssen mit den brutalsten Methoden bekämpft werden. Wenn Sie Desinformation verbreiten, sollten Sie vernichtet – einfach eliminiert werden“, sagt er.

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