Viele Menschen, die narzisstischen Missbrauch erlebt haben, suchen Jahre später eine Therapie, weil sie merken, dass Reden allein nicht reicht. Sie verstehen alles, aber fühlen nichts. Der Kopf weiß, dass das Trauma vorbei ist, der Körper nicht. Genau hier setzt wirksame Traumatherapie an: Sie zielt nicht nur auf das Denken, sondern auf das Nervensystem.
Chris Oeuvray ist psychologische Beraterin und Narzissmus-Expertin. In ihren Büchern wie „Du genügst“ zeigt sie Betroffenen toxischer Beziehungen Wege zu Selbstwert, Stärke und einem befreiten Leben. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.
Warum reine Gespräche nicht genügen
Traumatische Erfahrungen, insbesondere in Beziehungen mit narzisstischen Partnern oder Eltern, hinterlassen Spuren im Körper. Das zeigt sich in chronischer Anspannung, flachem Atem, Schlafstörungen oder unerklärlicher Erschöpfung. Der Organismus bleibt im Alarmzustand, obwohl die Bedrohung längst vorbei ist. Eine reine Gesprächstherapie erreicht diesen Bereich nicht. Erst wenn der Körper in die Behandlung einbezogen wird, kann sich etwas lösen.
Wie sich wirksame Traumatherapie zeigt
Für Traumatherapie gibt es verschiedene, wissenschaftlich anerkannte und körperorientierte Ansätze, die sich je nach Persönlichkeit, Vorgeschichte und Zielsetzung eignen, z.B.:
- Somatic Experiencing (SE): arbeitet mit den physiologischen Reaktionen des Körpers, um gespeicherte Stressenergie schrittweise zu entladen.
- EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): nutzt bilaterale Augenbewegungen, um traumatische Erinnerungen neu zu verarbeiten.
- Körperzentrierte Psychotherapie: verbindet Gespräche mit Körperwahrnehmung, Atemarbeit und Haltungsschulung, um das Nervensystem zu stabilisieren.
- Sensorimotorische Psychotherapie: kombiniert achtsame Körperarbeit mit der Beobachtung von Bewegungsimpulsen, um eingefrorene Reaktionsmuster zu lösen.
- IFS (Internal Family Systems): hilft, innere Anteile (z. B. verletzte oder beschützende Teile) zu erkennen und zu integrieren.
- PITT (Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie): nutzt Imagination und innere Bilder zur Stabilisierung und Verarbeitung.
- Trauma-fokussierte Verhaltenstherapie (TF-CBT): strukturiert und evidenzbasiert, besonders bei komplexen oder frühen Traumata hilfreich.
- Brainspotting: arbeitet mit Augenfokus und somatischer Wahrnehmung, um tief gespeicherte Traumainhalte zu aktivieren und aufzulösen.
- Atemtherapie und achtsamkeitsbasierte Verfahren (MBSR): unterstützen die Regulation des autonomen Nervensystems und fördern Selbstwahrnehmung.
Die Wirksamkeit einer Methode hängt weniger von der Technik selbst als von der therapeutischen Kompetenz und der Passung zur betroffenen Person ab. Entscheidend ist nicht, was erklärt wird, sondern was im Körper geschieht.
Gute Traumatherapie zeigt sich in kleinen und spürbaren Veränderungen: Der Atem vertieft sich, die Muskulatur entspannt, der Blick wird ruhiger. Das Nervensystem signalisiert Sicherheit. Diese Wirkung kann direkt nach der Sitzung auftreten oder sich erst in den folgenden Tagen entfalten. Auch Tränen, Erschöpfung oder plötzliche Müdigkeit sind kein Rückschritt, sondern Zeichen, dass der Körper beginnt, gespeicherte Spannung abzubauen.
Der Körper erinnert, bevor der Verstand versteht
Traumata sind weniger Erinnerungen als eingefrorene Überlebenszustände. Der Körper reagiert auf alte Gefahrensignale, obwohl die Situation längst vorbei ist. In einer guten Therapie erkennt die Therapeutin, wann der Atem stockt oder der Körper in Erstarrung geht, und hilft, diese Muster zu unterbrechen. Durch bewusste Wahrnehmung, Atemarbeit und achtsame Bewegung lernt das Nervensystem neu, was Sicherheit bedeutet.
Heilung nach narzisstischem Missbrauch
Menschen, die lange in einer narzisstischen Beziehung gelebt haben, haben gelernt, sich selbst zu übergehen. Sie unterdrücken Bedürfnisse, passen sich an und ignorieren Warnsignale des Körpers. In der Traumatherapie lernen sie, wieder Kontakt zu sich selbst aufzunehmen. Stille nach einer Sitzung ist kein Zeichen von Rückzug, sondern ein wichtiger Teil der Integration. Das Nervensystem braucht Zeit, um die neuen Erfahrungen zu verarbeiten und Stabilität aufzubauen.
Wenn Leichtigkeit zurückkehrt
Ein Zeichen erfolgreicher Traumatherapie ist nicht Euphorie, sondern Leichtigkeit. Der Körper reagiert gelassener, Situationen fühlen sich weniger bedrohlich an, und Reaktionen geschehen bewusster. Das bedeutet, dass das Nervensystem verstanden hat, dass die Gefahr vorbei ist. Heilung zeigt sich also nicht laut, sondern leise, durch neue Stabilität im Alltag.
Was Sie selbst tun können
Beobachten Sie Ihren Körper nach einer Therapiesitzung. Veränderungen in Atmung, Haltung oder Energie sind aussagekräftiger als Gedanken. Planen Sie Ruhe ein, statt sofort in Aktivität zu gehen. Der Verarbeitungsprozess braucht Zeit. Vertrauen Sie auf subtile Signale: Heilung verläuft selten spektakulär, aber sie wirkt nachhaltig.
Traumatherapie ist kein rein psychologischer, sondern ein neurobiologischer Prozess. Sie greift dort, wo Worte enden: im Körper. Wenn Sie nach einer Sitzung ruhiger atmen, besser schlafen oder sich innerlich stabiler fühlen, dann ist das kein Zufall. Dann hat Ihr Nervensystem begonnen, Sicherheit neu zu verankern, und genau das ist der Beginn echter Heilung.
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Bildquelle: Chris Oeuvray
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"Du genügst: Empathen lieben. Narzissten zerstören." von Chris Oeuvray.