Sven Plöger im Interview - In Grönland sieht ARD-Meteorologe den Albedo-Effekt schwinden - und hat düstere Prognose

Für seine Doku-Reihe "Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger?" reist der ARD-Meteorologe an Orte, die bereits von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Der erste Teil führte ihn nach Panama, wo Dürren dazu führen, dass der Panama-Kanal oft wochenlang nicht ausreichend Wasser führt.

Nun begibt sich Plöger auf die Spuren des Entdeckers Alfred Wegener und begleitet Forscher, die die Konsequenzen für die Arktis erforschen wollen.

FOCUS online Earth: Herr Plöger, was hat Sie nach Grönland geführt?

Sven Plöger: Für diese Dokumentation wollten wir einen Ort finden, der meteorologisch und landschaftlich spannend ist – und gleichzeitig der Frage nachgehen, welche Auswirkungen die massive Erwärmung und der damit verbundene Eisrückgang in der Arktis, wozu Grönland ja gehört, auf unser Wettergeschehen hat. Grönland ist ein faszinierendes Land: 2,2 Millionen Quadratkilometer Fläche, also das sechsfache von Deutschland, aber die Einwohnerzahl ist lediglich ein Fünftel derer von Bonn.

Was hat Sie auf Ihrer Reise am meisten beeindruckt?

Plöger: Man befindet sich in einer Art Dauerfaszinationsschleife: Am eindrücklichsten war sicher, auf dem Inland-Eis Grönlands gestanden zu haben. Hunderte Kilometer Eis um mich herum, teilweise bis zu drei Kilometer dick. Man fühlt sich ziemlich klein in dieser riesigen Natur. Das flößt einem ordentlich Respekt ein.

Genauso wie das Kalben von Gletschern, wenn donnernd Eismassen ins Meer stürzen. Wir waren auf den Spuren von Alfred Wegener unterwegs und haben sogar am damaligen Startpunkt seiner Expedition gezeltet – bei frischen zwei Grad und nächtlichem Dauerregen. Wir haben einen Narwal beobachtet und ich habe gelernt, wie der Klimawandel die Lebensweise der Grönländer schon jetzt beeinträchtigt, davon ist beispielsweise die traditionelle Robbenjagd betroffen.

Welche Konsequenzen hat das Schmelzen der grönländischen Gletscher für die Welt, aber auch für uns in Deutschland? Worauf müssen wir uns einstellen?

Plöger: Die Folgen sehen wir ja schon. Das Eis schmilzt derzeit fünfmal so schnell wie in den 1980er Jahren. Die Eisschmelze läuft jetzt zwei bis drei Mal schneller ab, als es vor Jahrzehnten die mahnendsten Forscher vorausgesehen hatten. Die Veränderungen in der Natur laufen also noch schneller ab, als wir vermutet haben.

Hängt das mit dem sogenannten Albedo-Effekt zusammen?

Plöger: Genau, das liegt an der Rückstrahlkraft des Eises. Das darf man sich wie einen Spiegel vorstellen: Die Sonne strahlt ein und das Eis wirft rund 90 Prozent dieser Wärme zurück ins Weltall. Aber wenn durch die Erwärmung die Eisdecke abnimmt, ist mehr dunkle Fläche übrig – Wasser oder Land. Die Albedo macht dort nur rund 20 Prozent aus und damit bleibt nun ein erheblicher Teil der Energie im Erdsystem zurück. Das befeuert die Erwärmung zusätzlich und man nennt das positive Rückkopplung – nicht im Sinne von „gut“, sondern von „gleichgerichtet“.

Und was genau bedeutet das für uns?

Plöger: Das wirkt sich auf unser Wetter aus. Am Äquator ist es heiß, und an den Polen ist es kalt. Je größer der Unterschied, desto größer das Bedürfnis der Natur, diesen Unterschied auszugleichen - im Falle unseres Wetters geschieht das dadurch, dass Wärme transportiert wird, genauer gesagt: warme Luft, also Wind. Das geschieht durch den Jetstream, der festlegt, wie die Hochs und Tiefs ziehen, die final unser Wetter bestimmen. 

Stärkere Temperatursprünge in Europa

Und welche Rolle spielt die Arktis für unser Wetter?

Plöger: Die Arktis erwärmt sich durch die beschriebene Rückkopplung momentan schneller als jeder andere Teil der Erde. Dadurch nimmt der Temperaturunterschied zwischen Äquator und Pol ab und man braucht – vereinfacht gesagt – weniger Wind, um diesen Unterschied auszugleichen.

Hochs und Tiefs werden somit langsamer und bleiben damit länger bei uns. Ist das Hoch lange da, bedeutet das im Sommer zunehmendes Risiko von Dürre und Hitze. Liegt das Tief „ewig“ bei uns, sind Starkregen, teils gewittrig und häufiger Überschwemmungen die Folge.

Und: Der Jetstream, ein Starkwindband auf etwa zehn Kilometern Höhe, wandert in Wellen um unseren Planeten. Je nach Temperaturunterschied ist der Ausschlag dieser Wellen mal größer, mal kleiner. Dadurch sind Westwinde nicht mehr so dominant wie früher und es kommt zu mehr Nord- und Südwetterlagen und somit zu größeren Temperatursprüngen. Soweit die Theorie, die derzeit wissenschaftlich geprüft wird, weil im komplexen Erdsystem natürlich immer vieles gleichzeitig passiert.

Es gibt auch eine Theorie, dass der Golfstrom zum Erliegen kommen könnte.

Plöger: Dass er zum Erliegen kommt, würde ich nicht unbedingt erwarten, aber er ist derzeit so schwach wie seit 1600 Jahren nicht mehr – korrekterweise heißt er übrigens Nordatlantikstrom, sobald er die amerikanische Küste verlässt. Das Wasser wird umgewälzt und strömt übrigens deshalb, weil sich Temperatur und Salzgehalt ändern. Die Theorie, die Sie angesprochen haben, besagt, dass schmelzendes Eis einen höheren Süßwassergehalt im Meer verursacht. Salzwasser ist schwerer, das heißt es sinkt ab. Strömt nun an der Oberfläche Süßwasser nach, sinkt dieses weniger stark ab und es muss somit auch weniger Wasser nachströmen – der Nordatlantikstrom schwächelt.

"Wir wissen noch nicht genau, was auf uns zukommt"

Was droht uns denn ohne den Golfstrom?

Plöger: Golf- oder eben Nordatlantikstrom transportieren viel Energie, also Wärme, zu uns. Ohne ihn müssten wir für das gleiche Klima 1500 Kilometer weiter südlich leben. Wird der Golfstrom schwächer, kann das bedeuten, dass der Temperaturanstieg in Zukunft bei uns nicht ganz so stark ausfällt, wie in anderen Regionen. Derzeit allerdings ist Europa der sich am schnellsten erwärmende Kontinent.

Also drohen uns keine Winter mit durchschnittlich minus 20 Grad?

Plöger: Nein, das erwartet die Wissenschaft in der Form eigentlich nicht. Der Golfstrom ist ein sehr komplexes System und um den absterben zu lassen, braucht es wirklich sehr viel Schmelzwasser. Durch die Kaltwasseranomalie, die derzeit südlich von Grönland zu sehen ist, können dort sogar häufiger Tiefdruckgebiete entstehen. Geraten wir auf ihre Vorderseite, pumpen sie durch ihre Drehung entgegen des Uhrzeigersinns sogar mehr warme Luft zu uns. Dieses Risiko wird vor allem für den Süden unseres Kontinents gesehen. Aber nochmal: Die Vorgänge sind vielschichtig und daher wissen noch nicht genau, was auf uns zukommt.

Verunsicherte Bevölkerung braucht politische Vision

In Deutschland wird bald eine neue Regierung gewählt, aller Voraussicht nach wird die Union stärkste Partei. Was fordern Sie von der zukünftigen Bundesregierung?

Plöger: Das Fordern habe ich aufgegeben. Ich wünsche mir ein klares Konzept: Wo wollen wir hin? Wir brauchen eine politische Vision, die auf Sachverstand fußt. Ohne eine Transformation zur Nachhaltigkeit wird das Wetter weltweit immer extremer, menschliches Leid und das anderer Lebewesen wird immer höher und die Kosten der Schäden irgendwann einfach nicht mehr bezahlbar. Es ist ein Irrglaube, der Wohlstand dieser Welt könne immer weiter auf Kosten der Natur und ihrer Ressourcen wachsen. Ein solches Vorgehen hat vielmehr die umgekehrte Folge: Der Wohlstand schwindet schneller als uns lieb ist. Das zu erkennen ist nicht besonders schwer und genau das muss Politik begreifen und daraus ein für die Bevölkerung verständliches Konzept entwickeln. 

Wir müssen uns auch nicht von jedem medialen Getöse eines oftmals irritierend agierenden US-Präsidenten verunsichern lassen. Man könnte sogar soweit gehen und die wirtschaftlichen Chancen für Europa erkennen, weil sich die USA durch ihre reaktionäre Politik gerade selbst aus dem Wettbewerb um nachhaltige Technologie nimmt und hier Räume freiwerden. Wir kommen nicht umhin, Dinge zu verändern. Viele Unternehmen haben das längst erkannt. Es wäre schön, wenn sich das bei einigen politischen Entscheidungsträgern noch herumsprechen würde. 

Sie haben im vergangenen Sommer Vorträge auf Kreuzfahrten nach Grönland angeboten und sind für Ihre Sendung mit dem Flugzeug nach Grönland gereist. Wie passt das mit einer Doku zusammen, in der Sie vor dem Abschmelzen der Polkappen warnen? 

Plöger: Es war nur eine Fahrt auf einem kleinen Schiff mit 160 Passagieren. Aber Ihre Frage ist berechtigt, denn ich war im Zwiespalt und habe viel darüber nachgedacht, was ich tun soll. Da ich Wissenschaft in verständliche Sprache übersetzen will, überwog für mich am Ende der Gedanke, komplizierte Atmosphärenphysik mit Bildern und Geschichten transportieren zu wollen, um so viele Menschen zu erreichen und auch emotional zu sensibilisieren. Ich sehe es also als Mehrwert, habe aber Verständnis, wenn jemand das anders beurteilt.

Unabhängig davon - und das hat weniger mit mir als mit unserem gegenseitigen Umgang zu tun - müssen wir aufpassen, dass wir am Ende nicht zu einer Bewertung dieser Art kommen: Wem Klima und Umwelt wichtig sind, dem wirft man jede Reise vor, während diejenigen, denen das Thema gleichgültig ist, keine Kritik fürchten müssen, da sie ihre Gleichgültigkeit ja transparent erklärt haben.

Wie stehen Sie zum Thema Flugreisen?

Plöger: Ich überlege, warum ich wohin will, wie lange die Reise dauert, ob ich sie mit anderen Vorhaben verbinden kann und ob es alternative Reisemöglichkeiten gibt. Manchmal auch, ob es nicht entschleunigend ist, einfach gar nicht loszuziehen.

Auf jeden Fall muss ich nicht zig Wochenenden im Jahr etwa nach Malle fliegen oder zum Shoppen nach New York und wieder zurück. Aber mir steht es nicht zu, das für andere zu beurteilen, es ist eine Frage der Haltung jedes Menschen, wie sie oder er es handhabt. 2017 habe ich für mich die Entscheidung getroffen, keine Inlandsflüge mehr zu machen. Ich fahre eigentlich ständig mit der Bahn.

Das ist auch eine Challenge, gerade in Deutschland.

Plöger: Ja, in der Tat, die Bahn schenkt mir viel Lebenszeit, denn die Fahrpläne sind derzeit eher ein Vorschlag. Aber ich rege mich nicht auf, nehme einen rechtzeitigen Zug, setze mich notfalls in die Lounge und nutze insgesamt viel Reisezeit zum Arbeiten oder auch mal Lesen.

In Summe kann sich jede und jeder überlegen, wo die privaten Stellschrauben sind. Man muss auch nicht gleich perfekt sein, sondern einfach mal anfangen. Und klar: Wir brauchen politische Rahmenbedingungen. Aber auf die Politik zu warten und zu sagen ‘Wenn die alles für mich vorbereitet haben, dann bin ich bereit etwas zu tun - vorher mache ich gar nichts’ - das führt auch nirgendwohin.