Forscher schlagen Alarm - Schnell wachsende Gletscherspalten in Grönland beschleunigen Meeresspiegelanstieg
Die Gletscherspalten im grönländischen Eisschild wachsen rasant, wie eine aktuelle Studie eines internationalen Forscherteams in „Nature Geoscience“ zeigt. Innerhalb von nur fünf Jahren haben sich die Risse im Eis deutlich vergrößert. Wissenschaftler warnen davor, dass dieser Prozess den Eisverlust beschleunigen könnte, was schwerwiegende Folgen für den Meeresspiegel haben könnte.
Das Team um Tom Chudley von der britischen Universität Durham hat über 8000 3D-Oberflächenkarten des Eisschildes ausgewertet, die mit Hilfe von hochauflösenden Satellitenbildern erstellt wurden. Die Daten zeigen, dass die Gletscherspalten an den schnell fließenden Rändern des Eisschildes zwischen 2016 und 2021 größer und tiefer geworden sind. Diese Entwicklung schreite schneller voran als bisher beobachtet, heißt es in der Studie.
Volumen der Gletschersplaten bis zu 25 Prozent gewachsen
Gletscherspalten entstehen durch Spannungen im Eis, wenn sich ein Gletscher ungleichmäßig bewegt. An der Oberfläche und in der Mitte fließt das Eis oft schneller als an den Rändern oder in tieferen Schichten, was zu keilförmigen Rissen führt.
Die Forschergruppe erklärt, dass der Klimawandel diese Dynamik verändert. Höhere Temperaturen beschleunigen das Fließen des Eises, wodurch die Risse breiter und tiefer werden. Vor allem an den Rändern des Eisschildes, wo die großen Gletscher auf das Meer treffen, hat die Fließgeschwindigkeit zugenommen. In einigen Gebieten ist das Volumen der Gletscherspalten im Jahr 2021 im Vergleich zu 2016 um bis zu 25 Prozent gewachsen, mit einer Fehlermarge von etwa zehn Prozent.
Fließgeschwindigkeit am Sermeq Kujalleq hat inzwischen wieder zugenommen
Obwohl diese Zunahme zunächst durch eine Abnahme der Spalten am Sermeq Kujalleq („Südlicher Gletscher“), dem am schnellsten fließenden Gletscher Grönlands, ausgeglichen wurde, hat die Fließgeschwindigkeit dieses Gletschers inzwischen wieder zugenommen. Dies deutet darauf hin, dass die Phase des Gleichgewichts zwischen Spaltenwachstum und -schließung vorbei ist.
„In einer sich erwärmenden Welt würden wir erwarten, dass sich mehr Gletscherspalten bilden. Das liegt daran, dass die Gletscher als Reaktion auf die Erwärmung der Ozeane schneller wachsen und das Schmelzwasser, das die Spalten füllt, die Risse tiefer ins Eis drückt“, erklärt Hauptautor Chudley.
Größere und tiefere Spalten bedrohen Grönlands Eisschild
Er betont, dass die Studie zum ersten Mal eine signifikante Zunahme der Größe und Tiefe von Gletscherspalten an schnell fließenden Gletschern am Rande des grönländischen Eisschildes über Zeiträume von fünf Jahren oder weniger zeigt. „Anhand dieses Datensatzes können wir sehen, dass sich die Spaltenfelder nicht nur in das Inlandeis ausdehnen, wie es früher beobachtet wurde, sondern dass auch die bestehenden Spaltenfelder größer und tiefer werden“.
Mitautor Ian Howat vom Byrd Polar & Climate Research Center der Ohio State University ergänzt: „Wenn Gletscherspalten wachsen, treiben sie Mechanismen an, die dafür sorgen, dass sich die Gletscher des Eisschildes schneller bewegen, Wasser und Wärme ins Innere des Eisschildes transportieren und das Kalben von Eisbergen in den Ozean beschleunigen.“ Diese Prozesse könnten den Eisfluss beschleunigen und zur Bildung von mehr und tieferen Gletscherspalten führen - „ein Dominoeffekt, der den Eisverlust in Grönland beschleunigen könnte“, so Howat.
Grönlandeis hat bereits rund 14 Millimeter zum Meeresspiegelanstieg seit 1992 beigetragen
Der Studie zufolge hat Grönland seit 1992 bereits zu einem Anstieg des Meeresspiegels um etwa 14 Millimeter beigetragen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte das Schmelzwasser des Eisschildes den globalen Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um bis zu 30 Zentimeter ansteigen lassen. Würde das gesamte Grönlandeis schmelzen, könnte der Meeresspiegel sogar um sieben Meter steigen.
Grönländische Seen verfärben sich und geben gefährliche Stoffe ab
Auch andere Klimaveränderungen sind in Grönland zu beobachten. Im Herbst 2022 stellten Forscher fest, dass sich rund 7500 Seen in Westgrönland bräunlich verfärbten. Ursache sind die Rekordwärme und ungewöhnliche Regenfälle, die den Permafrostboden auftauen ließen. Dabei wurden große Mengen an Kohlenstoff, Eisen und Magnesium freigesetzt. Diese Veränderungen führten dazu, dass die Seen Kohlenstoff freisetzten und sich ihre Wasserqualität verschlechterte.
Diese Entwicklungen haben auch erhebliche Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf und die Artenvielfalt des Planktons. Erhöhte Mengen gelöster organischer Stoffe können krebserregende Chlorierungsnebenprodukte erzeugen, die auch die lokale Bevölkerung betreffen.