Blick nach Baden-Württemberg - „Traue meinen Augen nicht!“ Wer nach Grundsteuerreform wütend ist - und wer profitiert

Wie dem Hausbesitzer, der sich an die Redaktion der Stuttgarter Zeitung gewendet hat, geht es derzeit vielen Bürgern. „Ich traue meinen Augen nicht“, wettert der Leser über den Grundsteuerbescheid, den er vor kurzem aus dem Briefkasten gezogen hat

Für sein Grundstück soll die Steuer von unter 500 Euro im vorigen auf mehr als 2350 im neuen Jahr steigen. „Das soll aufkommensneutral sein?“, fragt er empört. Fassungslos sei er über diesen „Raubzug“, den er als „erste Stufe einer Enteignung“ empfinde.

Zwischen Hoffen und Befürchtungen schwanken die Besitzer der fast sechs Millionen Grundstücke, die im Zuge der Reform allein in Baden-Württemberg neu bewertet wurden, schon lange. 

Eine Verschiebung der Steuerbelastungen gibt es überall

Jetzt wird aus der Unsicherheit Gewissheit, denn in diesen Wochen trudeln die Bescheide der Kommunalverwaltungen ein und die Bürger haben schwarz auf weiß, ob sie zu den Profiteuren oder zu den Verlierern der Reform zählen.

Ein umfassendes Bild, wie das neue Landesgrundsteuergesetz sich landauf landab für die Immobilienbesitzer auswirkt, gibt es noch nicht. Aber Stichproben und erste Analysen in verschiedenen Städten des Landes lassen ein erstes Zwischenfazit zu. Eines zeichnet sich ab: Eine Verschiebung der Steuerbelastungen gibt es überall – aber einheitliche Trends sind dabei schwer auszumachen.

„Dass Betroffene 300, 400 oder 500 Prozent mehr bezahlen müssen, ist wirklich nicht ungewöhnlich“

Zu den guten Nachrichten zählt: In vielen Fällen kommt es bei der Grundsteuer zu einer Entlastung. Die Stadt Karlsruhe erwartet etwa, dass gut die Hälfte aller steuerpflichtigen Wohnimmobilien (fast 45.000 Objekte) ab jetzt weniger Grundsteuer bezahlen müssen; bei der Gesamtzahl der Immobilien sind es annähernd 50 Prozent (fast 53.000 Objekte). 

Die Stadtverwaltung in Reutlingen rechnet damit, dass 52 Prozent gleich oder weniger Grundsteuer bezahlen, in Weingarten gilt das sogar für 60 Prozent der Objekte.

„Menschen, die durch die Reform entlastet werden, schreiben uns eher nicht“

„Jetzt, wo die Grundsteuerbescheide vorliegen, bekommen wir verstärkt E-Mails und Briefe von Menschen, die ihrem Ärger Luft machen. Dass Betroffene 300, 400 oder 500 Prozent mehr bezahlen müssen, ist wirklich nicht ungewöhnlich. Die sind natürlich sauer“, berichtet Eike Möller vom Steuerzahlerbund, der von Anfang an ein Kritiker des baden-württembergischen Grundsteuermodells gewesen ist. „Fairerweise muss man erwähnen, dass Menschen, die durch die Reform entlastet werden, uns eher nicht schreiben.“

Stärkere Belastung der Mietwohnungen

Möller sieht sich in vielen Erwartungen bestätigt. Erwartet hat er, dass Ein- und Zweifamilienhäuser in Baden-Württemberg jetzt stärker belastet werden, weil das der politische Wille der grün-schwarzen Landesregierung gewesen ist. 

Deshalb hat sie sich für das Bodenrichtwertmodell entschieden, nach dem die Grundsteuer im Land nun berechnet wird. Jetzt bestätigen die ersten Analysen, dass Ein -und Zweifamilienhäuser in allen von uns bisher unter die Lupe genommenen Kommunen deutlich größere Anteile des Grundsteueraufkommens an ihrem Ort aufbringen müssen: In Freiburg erbringen diese Gebäudetypen jetzt fast 25 Prozent der Grundsteuer – bisher waren es nur 15 Prozent. In Karlsruhe steigt der Anteil von fast 16 auf knapp 29 Prozent, in Reutlingen von 32 auf fast vierzig Prozent. 

Während in Karlsruhe, Freiburg und Reutlingen Eigentumswohnungen entlastet werden, kommt es in allen drei Städten zu einer stärkeren Belastung der Mietwohnungen. Letzteres war wegen der Systematik des Landesgesetzes eigentlich nicht zu erwarten.

Wer am meisten von der Reform profitiert

Auch nicht zwingend logisch ist, dass Gewerbeimmobilien insgesamt offenbar durchweg in der Durchschnittsbetrachtung günstiger wegkommen, während das Wohnen sich verteuert. Denn das grün-schwarze Grundsteuermodell sieht ausdrücklich einen substanziellen Abschlag für überwiegend zu Wohnzwecken genutzte Gebäude vor, den Gewerbeimmobilien nicht bekommen. 

Obwohl die neue Grundsteuer so berechnet wird, wird sich in Ulm der Wohnanteil am Grundsteueraufkommen durch die Reform von 56 auf 62 Prozent erhöhen, während der Gewerbeanteil von 42 auf 28 Prozent sinkt. 

In Mannheim wächst der Grundsteueranteil beim Wohnen von 56 auf 63 Prozent, während Gewerbe von 41 auf 28 Prozent sinkt. In Freiburg finanziert das Wohnen jetzt 70 Prozent des Steueraufkommens, im vergangenen Jahr waren es noch 61 Prozent und auch dort gibt es beim Gewerbe die umgekehrte Entwicklung: einen Rückgang von 37 auf 24 Prozent. 

Dass dieser Trend nicht auf Großstädte beschränkt ist, zeigt der Blick nach Weingarten und Ravensburg. Auch dort wächst der Steueranteil beim Wohnen – in Ravensburg um 16 auf siebzig Prozent, in Weingarten um neun auf 71 Prozent. 

Der Beitrag der Gewerbeimmobilien dagegen sinkt in beiden Städten deutlich: Ravensburg um zwanzig Prozent auf 25 Prozent und in Weingarten um zwölf auf 26 Prozent.

Hintergrund

Missverständnis 
Ein offenbar verbreiteter Irrtum unter Immobilienbesitzern ist die Erwartung, dass die neue Grundsteuer und ihre Immobilie für sie individuell aufkommensneutral werde – sie also nicht mehr bezahlen müssen als bisher. Das allerdings ist falsch. 

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das den Anstoß zur Grundsteuerreform gegeben hat, bewertet die alte Grundsteuer als verfassungswidrig, weil die Besteuerung zu unterschiedlich war und daher dem Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung widerspricht.

Historie
Tatsächlich gibt es das Versprechen der Kommunalverbände im Land und bundesweit, die Grundsteuerreform „aufkommensneutral“ umzusetzen und die Gelegenheit nicht zu nutzen, um ihre Kassenlage aufzubessern. Das heißt nicht, dass die Bürger nicht je nach der Bewertung ihres Grundstücks mehr oder weniger bezahlen müssen. 

Das bedeutet, dass die jeweilige Kommune durch die Grundsteuer nicht mehr einnimmt als im Vorjahr. An dieses Gebot haben sich laut einer Umfrage des Bundes der Steuerzahler unter den hundert größten Städten im Land fast drei Viertel (72 Prozent) der Kommunen in Baden-Württemberg gehalten.

Von Bärbel Krauß

Das Original zu diesem Beitrag "Gewinner und Verlierer der Grundsteuerreform im Land" stammt von Stuttgarter Zeitung.