Höherer Wertbescheid - Rentner-Paar wegen Grundsteuer verunsichert: „Müssen unser Haus dann verkaufen“
Ilse (70) und Reinhard Gans (72) aus Albstadt (80 Kilometer südlich von Stuttgart) sind verunsichert. Vor einigen Wochen flatterte ein Bescheid vom Finanzamt ins Haus. Jetzt hoffen sie auf einen günstigeren Hebesatz. Sonst müssten sie wohl verkaufen.
Vor 40 Jahren haben Ilse und Reinhard Gans ein Reihenhaus in der Stadt gekauft. Rund 220 Quadratmeter hat das Haus, sechs Zimmer, einen großen Garten, einen Wintergarten mit Holzofen und eine Terrasse. Im Laufe der Jahre hat das Ehepaar das Dachgeschoss gedämmt und ausgebaut, die Garage verdoppelt und das Bad seniorengerecht umgebaut. Dafür haben beide viel Geld in die Hand genommen, wie sie im Gespräch mit FOCUS online erzählen.
„Unser Traumhäuschen steht auf dem Spiel“
„Das ist unser Traumhäuschen und es steht auf dem Spiel“, sagt Ilse Gans. Denn Mitte November erhielt sie den Wertbescheid vom Finanzamt der Gemeinde. „Wir haben immer in der Zeitung gelesen, dass die Grundsteuer jetzt steigt“, sagt ihr Mann Reinhard. „Wir haben es nicht geglaubt.“ Man habe gedacht, das betreffe nur die Menschen in den Großstädten. Doch nach Einschätzung des örtlichen Finanzamtes hätte sich der Wert für Familie Gans jetzt verachtfacht. „Im Bescheid von 2022 steht, dass der Richtwert bei 180.000 Euro liegt.“ Im Bescheid aus dem Jahr 2025 steht nun eine Null mehr. Etwa 1,45 Millionen Euro wurde das Grundstück vom Finanzamt Balingen geschätzt. Über Nacht zu Grundstück-Millionären? Familie Gans ist kein Einzelfall.
Das Paar hatte zwar mit einer Wertsteigerung gerechnet. Aber nicht in diesem Maße. „Müssen wir 5000 Euro pro Jahr an Grundsteuer bezahlen, müssen wir das Haus verkaufen“, sagt der 72-Jährige. Die Rente der beiden reiche nicht aus, um diese Mehrausgaben zu stemmen. „Wir haben Geld gespart für eine neue Heizung und unsere Beerdigung. Man muss auch für Reparaturen oder Nachzahlungen zur Seite legen“, erklärt sich Frau Gans.
Hoffnung liegt auf der Gemeinde - doch die verspäten sich
Das Rentnerehepaar berief eine Art Krisensitzung mit der Familie ein. Beim gemeinsamen Sonntagsessen mit Zwiebelrostbraten wollten sie die Meinung ihrer Kinder und Enkelkinder einholen. Danach wandten sich die drei Kinder an das Finanzamt, einen Rechtsanwalt und an die Gemeinde. Eine hilfsbereite Beamtin empfahl ihnen, den finalen Steuerbescheid abzuwarten und bereits Einspruch einzulegen.
Ein entsprechendes Formblatt fanden sie im Netz. Die Behörden selbst verwiesen darauf, dass verschiedene Faktoren die Grundsteuer beeinflussen. Darunter auch der Hebesatz. „Es hat geholfen mit der Stadt zu sprechen“, sagt Frau Gans. „Aber es ist schlimm, wenn man mit so einem Bescheid allein gelassen wird.“
Die Hoffnung ruht nun auf der Gemeinde. Doch die hat - wie viele andere auch - die Hebesätze noch nicht festgelegt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zu wenig Daten von den Finanzämtern, zu viele Einsprüche oder auch Nachberechnungen, um die Aufkommensneutralität zu gewährleisten. Für die Verspätung macht Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus & Grund, die Kommunen und Finanzbehörden verantwortlich.
Kommunen versprechen Hebesatz-Senkungen
Für Betroffene gibt es Hoffnung. Während die Finanzämter in vielen Fällen die Grundstücke deutlich höher bewerten, können nun Kommunen diese höheren Bewertungen mit einem niedrigeren Hebesatz beeinflussen. Tatsächlich kündigten erste Gemeinden bereits an, die Hebesätze für 2025 zu senken. Damit soll die sogenannte „Aufkommensneutralität“ gewährleistet werden. Die Bundesregierung und die Landesregierungen hatten beschlossen, dass die neue Reform nicht zu höheren Einnahmen für die Gemeinden und Städte führen darf. Steigen die Grundwerte in einer Kommune, muss diese also gegensteuern, indem sie den Hebesatz senkt.
Der Hebesatz ist die Bezeichnung für den Faktor, mit dem ermittelt wird, welche Steuern Immobilienbesitzer zahlen müssen. Viele Kommunen verwendeten Hebesätze von um 400 Prozent. Das heißt, Grundbesitzer zahlen das Vierfache des Werts, den sie nach dem reinen Grundstückswert zahlen müssten. Verdoppelt die Grundsteuerreform die Grundwerte in einer Gemeinde, muss diese ihren Hebesatz per Gesetz also halbieren. Im Durchschnitt bleibt für Grundeigentümer dann alles beim Alten. Für einige wird es aber teurer und für andere günstiger.
36 Millionen Grundstücke wurden neu bewertet
Für die Berechnung der neuen Grundsteuer mussten bundesweit rund 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden. Vom 1. Januar kommenden Jahres an soll die neue Berechnung greifen. Die Reform geht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2018 zurück, wonach die bisherige Bemessungsgrundlage in Deutschland verfassungswidrig ist. Bis zuletzt kalkulierten die Finanzämter den Wert einer Immobilie auf Grundlage völlig veralteter Daten (West 1964, Ost 1935).
Für die Neuberechnung mussten Eigentümer Angaben einreichen. Das ging etwa über das Meldeportal Elster, das viele von Steuererklärungen kennen.
Ursprünglich war als Abgabefrist der Grundsteuererklärung Ende Oktober 2022 gesetzt gewesen. Wegen des schleppenden Eingangs wurde die Frist aber in fast allen Bundesländern bis Ende Januar 2023 verlängert.
Die Ministeriumssprecherin betonte, dass der Städte- und Gemeindetag MV sich dazu bekannt habe, dass die Reform aufkommensneutral umgesetzt werden soll, die Kommunen in Summe also nicht mehr oder weniger Einnahmen haben als vor der Reform.