Putin eskaliert seit Wochen die Rhetorik gegen das Baltikum – Bedrohung für die drei Nato-Staaten wächst

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Die drei baltischen Staaten fürchten, sie könnten nach der Ukraine die nächsten Opfer Russlands sein. Putins Rhetorik ähnelt bereits verdächtig seinen Reden kurz vor Beginn des Angriffskriegs.

Russlands Präsident Wladimir Putin wählt immer schärfere Worte. Die baltischen Staaten „erklären Zehntausende zu Untermenschen, nehmen ihnen die elementarsten Rechte und setzen sie Hetze aus“, behauptete Putin kürzlich zum Beispiel bei der Eröffnung eines Denkmals für zivile Opfer des Terrors der deutschen Nationalsozialisten. Er nannte dabei das Baltikum in einem Atemzug mit der Ukraine als Beispiel für das Erstarken des Nazismus – und schloss mit der ominösen Ankündigung: „Wir tun alles, alles, um den Nazismus zu unterbinden und endgültig auszurotten.“ Zuvor hatte Putin Lettland die Deportation von knapp 1000 ethnischen Russen vorgeworfen. Es sind Worte, die an Putins Rhetorik kurz vor dem Einmarsch in die Ukraine erinnerten.

Warum aber Putin in seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag das Baltikum gar nicht erwähnte, ist ungewiss. Nicht einmal auf Transnistrien ging er ein – dabei hatte der von prorussischen Separatisten beherrschte Landesteil des EU-Anwärters Moldau nur einen Tag zuvor um den Schutz Moskaus gebeten. So wie es einst die Rebellen im ukrainischen Donbass angeblich getan hatten.

Doch eins ist klar: Aus Putins Schweigen ergibt sich für die Nato-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen keine Entwarnung. Die Bedrohung ist real und wird in der Nato ernst genommen. Schon länger mehren sich die Anzeichen, dass Putin die drei baltischen Staaten im Visier hat. Ebenso wie die Ukraine waren sie bis 1992 Teil der Sowjetunion. Und ebenso wie in der Ukraine leben dort russische Minderheiten. Die Mehrheitsbevölkerung in allen drei Staaten lehnt Russlands Angriffskrieg vehement ab.

Ein Mann zeigt ein Bild von Putin mit einer blutigen Hand im Gesicht
Seit der russischen Invasion der Ukraine protestieren die Balten gegen Russland. Hier zeigt ein Mann Putin als Killer bei einer Demo vor der Botschaft Moskaus im lettischen Riga aus Anlass des Mordes an Alexej Nawalny. © GINTS IVUSKANS/AFP

Putin erneuert Pläne zur Truppenverstärkung an der Grenze zum Baltikum

In seiner Rede sagte Putin nur vage: „Es ist ernsthaft notwendig, die Truppenverbände in der westlichen strategischen Richtung zu verstärken, um die Bedrohungen zu neutralisieren, die mit der jüngsten Erweiterung der Nato nach Osten verbunden sind: die Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Bündnis.“ Auf russischer Seite der Grenze zu Estland sind Plakate zu sehen, die verkünden: „Russlands Grenzen – sie enden nie“. Auf estnischer Seite ist diese Grenze mit der neuesten Kamera- und Sensortechnologie ausgestattet, um jedes Anzeichen militärischer Aktionen Russlands sofort zu bemerken. Bei Militärübungen im Sommer 2022 hatte Russland Angriffe auf estnische Städte simuliert.

„Sie zielen mit ihren Waffen auf uns, geben alle Daten ein, drücken aber nicht ab“, sagte General Martin Herem, Kommandeur der estnischen Verteidigungskräfte, im Januar in einem Interview. Er verglich die Aktionen mit denen eines Schlägers, der auf der Straße eine Prügelei anzettelt: „Sie versuchen, einen Vorwand zu schaffen.“ Der estnische Auslandsgeheimdienst rechnet in seinem aktuellen Jahresbericht damit, dass Russland in den kommenden Jahren die Zahl der Truppen entlang der Nato-Grenze deutlich erhöhen wird.

Estland erwartet akute Bedrohung in drei bis fünf Jahren

Die drei baltischen Länder warnten vor der Aggression Moskaus schon lange, bevor Russland am 24. Februar 2022 in der Ukraine einmarschierte. Estland fühle sich derzeit zwar nicht akut bedroht, sagte Außenminister Margus Tsahkna Mitte Februar bei einem Besuch in Warschau. Doch Russland könne innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre einen „Test für die Nato“ vorbereiten.

Estlands Geheimdienst geht in seinem Bericht davon aus, dass Russland nach einem Ende des Ukraine-Kriegs seinen Militärapparat binnen drei bis fünf Jahren so weit wieder aufbauen kann, dass er eine direkte Bedrohung für die Nato darstellt. „Wir müssen verstehen, dass die russische Kriegsmaschinerie in vollem Umfang Fahrt aufgenommen hat.“ Das betreffe sowohl die Produktionskapazitäten als auch die Mentalität im Land, so Tsahkna. „Denn Putin kontrolliert jetzt alles.“ Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat bereits vor russischen Angriffen auf ein Nato-Land in fünf bis acht Jahren gewarnt.

Hohe Verteidigungsausgaben im Baltikum

Die drei baltischen Staaten geben alle mindestens 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus – ebenso wie das benachbarte Finnland, das ebenfalls an Russland grenzt. Sie übertreffen damit das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Auch das benachbarte Polen fühlt sich verwundbar und gibt sogar 3,9 Prozent fürs Militär aus. Kein Wunder: Die nur 65 Kilometer lange Suwalki-Lücke zwischen Polen und Litauen gilt als wunder Punkt der Nato. Das Gebiet trennt die russische Exklave Kaliningrad von dem mit Russland verbündeten Belarus. Ein russischer Angriff könnte Kaliningrad mit Belarus verbinden und somit das Baltikum von der Nato abschneiden. Worst Case-Szenarien der Nato für einen möglichen russischen Angriff auf das Bündnis erwarten als erste Eskalation entweder einen Angriff auf Estland oder auf die Suwalki-Lücke.

Gemeinsam planen die baltischen Länder daher Verteidigungsanlagen an ihren Grenzen zu Russland und Belarus. Ab 2025 soll ein System aus Bunkern und Verteidigungslinien entstehen. Auch ihre Gesellschaften bereiten die drei Länder auf den Ernstfall vor. In Litauen sind seit 2022 mehr als 3300 Schutzräume entstanden, in U-Bahnen etwa oder Schulen. Weitere sind geplant oder im Bau.

Die baltischen Staaten gehören zu den stärksten Unterstützern Kiews und stützen das Argument, dass die Ukraine für ganz Europa kämpft. „Die Russen gehen ‚all-in‘. Sie werden die Ukraine zerstören. Und wer weiß was noch?“, warnte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis vergangene Woche in Brüssel. „Wenn die Ukraine fällt, ist jedem klar, dass wir die nächsten sind. Putin hört nicht auf. Er kann nicht aufhören.“

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