Babler gegen Nehammer und Kickl gegen alle und die liberale Demokratie – Österreichs Wahlkampfjahr 2024
In Österreich beginnt der Wahlkampf. Sozialdemokraten und Konservative beschäftigen sich miteinander. Der lachende Dritte ist der Rechtsautoritäre Herbert Kickl.
Wien – Das Wahlkampfjahr 2024 in der Alpenrepublik hat begonnen. Drei Parteien und ihre jeweiligen Chefs wollen ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz einziehen: Amtsinhaber Österreichs Bundeskanzler, der Rechtskonservative Karl Nehammer (ÖVP), der Rechtsautoritäre Herbert Kickl von der FPÖ und der linke Sozialdemokrat Andreas Babler (SPÖ). Gewählt wird das neue Parlament höchstwahrscheinlich im Herbst, der exakte Termin ist noch unklar. Kickl gab sich beim Neujahrstreffen der FPÖ am Wochenende siegesgewiss, die FPÖ sei wieder „stark“ und er wolle „Volkskanzler“ werden. Ein Begriff, den die Nationalsozialisten für Adolf Hitler verwendeten.
Im Wahltrend der Austria Presse Agentur liegt Kickls FPÖ mit 28,5 Prozent im Durchschnitt der erfassten Umfragen aktuell an der Spitze. Gefolgt von Bablers SPÖ mit gut 24 Prozent und der ÖVP unter Karl Nehammer mit knapp 21 Prozent. Die Grünen und die liberalen NEOS liegen jeweils bei etwa zehn Prozent. Gerade laufen zwei Duelle um die Wählergunst, analysierte Politologin Kathrin Steiner-Hämmerle kürzlich im Magazin News. Die FPÖ gegen alle – Kickl sprach am Wochenende vom „Machtkartell“ der „Einheitspartei“, gegen das die FPÖ stehe. Und der Streit zwischen ÖVP und SPÖ, deren „Fixierung aufeinander“ der FPÖ die Möglichkeit gegeben habe, „still und heimlich“ das Feld aufzubereiten, meinte Steiner-Hämmerle.
Sozialdemokrat Babler will Umverteilung und schließt Koalition mit FPÖ aus
Babler trat nach seiner chaotischen Wahl zum SPÖ-Chef im vergangenen Jahr dazu an, Kickl und die FPÖ zu verhindern und die ÖVP im Kanzleramt abzulösen. Er sieht seine Partei als „Protestpartei im guten Sinne“, sagte er am Wochenende der Süddeutschen Zeitung. Er fordert – klassisch sozialdemokratisch – Erbschaftssteuern, macht sie gar zur Koalitionsbedingung. Babler diagnostizierte angesichts einer immer weiter auseinanderklaffenden Einkommens- und Vermögensschere „Klassenkampf von oben“. Im ORF-Interview darauf angesprochen, dass sich damit als Koalitionsbedingung keine Mehrheit gegen Kickl finden lasse, sagte er: „Ich glaube, dass auch die ÖVP bemüht ist, mehr Gerechtigkeit herzustellen.“ Babler möchte die SPÖ wieder als linke Partei positionieren. Das bedeutet, Umverteilung, härtere Klimaschutzmaßnahmen und aktivere Politik zur Geschlechtergleichstellung.

Deren Antwort kam prompt: ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker richtete per Pressemitteilung aus: „Wir lehnen neue Steuern ab.“ Bundeskanzler Nehammer sprach im ORF bevorzugt über die für Anfang Juni angesetzte Europawahl. Er forderte, dass die Europäische Union gegen „illegale Migration kämpfen“ müsse. Zur höchsten Inflation in Westeuropa, die in Österreich herrscht, verwies er auf diverse Einmalzahlungen, die von Ökonomen als teils kontraproduktiv kritisierten. Eine wirkliche Perspektive auf ein Österreich nach der Nationalratswahl entwarf er nicht.
Kanzle Nehammer nennt Kickl ein „Sicherheitsrisiko“ – Koalition mit FPÖ ohne Kickl nicht ausgeschlossen
Nehammer nannte Kickl ein „Sicherheitsrisiko“ und begründete das auch damit, dass Kickl in seiner Zeit als Innenminister „7.000 Afghanen“ Asyl gewehrt haben. Der FPÖ-Chef habe „bewiesen, dass er keine Verantwortung tragen kann“. Deswegen schließe er eine Koalition mit der FPÖ aus, „solange Herbert Kickl Verantwortung in der Partei“ trägt, sagte Nehammer. Eine Koalition mit FPÖ an sich hielt er für möglich. Die FPÖ war auch bereits vor Kickls Machtübernahme die einzige Parlamentspartei, die sich „über Auschwitz hinaus programmatisch zum NS-Ideologem der ‚deutschen Volksgemeinschaft‘ bekannt“ habe, schrieb der Wiener Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) 2019 in der Tageszeitung Standard.
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Der FPÖ-Chef ließ sich am Wochenende vor eigenem Publikum, begleitet von Pyrotechnik und Österreich-Flaggen feiern. Er hielt eine einstündige Wutrede gegen „das System“. Gemeint ist die liberale Demokratie, wie sie heute in Österreich funktioniert. Die Bundesregierung bezeichnete er als „Peiniger und Unterdrücker“. Alle anderen Parteien bezeichnete er als, „politische Hydra“, die er – der „blaue Herkules“ – besiegen wolle. Weidinger ortete per Bluesky: Tiermetaphern aus dem „Bilderarsenal des Antisemitismus“. Der Mann, der auf der Bühne von „Erlösung“ sprach, erklärte zuletzt mehrfach, was er sich darunter vorstellt: „Machen wir es dem Orbán nach“, rief er immer wieder seinem Publikum zu.
Kickl droht mit „langer Fahndungsliste“ seinen politischen Gegnern
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán betreibt dort seit Jahren einen autoritären Staatsumbau. Freie Medien sind finanziell ausgetrocknet. Es wird per Notstandsdekret regiert. Minderheiten- und Frauenrechte werden systematisch abgebaut. Die Parlamentswahlen 2022 wurden – wie einige zuvor – von internationalen Wahlbeobachtern als unfair kritisiert. Sollte Kickl die Parlamentswahlen gewinnen, kündigte er an, „keinen Asylantrag“ mehr anzunehmen. Außerdem prahlte er, „eine lange Fahndungsliste“ zu haben. Wegen ihrer Coronapolitik wolle er die Ministerinnen und Minister der schwarz-grünen Regierung als „Übeltäter und Folterknechte“ verfolgen.
Während Kickl seinen eigenen Wahlkampf führt, steht ÖVP und SPÖ noch eine Auseinandersetzung über ihre etwaige Verwicklung in diverse Affären der österreichischen Innenpolitik bevor. Anfang März starten Befragungen in zwei Untersuchungsausschüssen des Nationalrats. Knapp zusammengefasst beschäftigt sich einer mit sehr freihändig vergebenen Coronahilfsgeldern durch eine dem ÖVP-Finanzministerium nachgeordnete Bundesgesellschaft. Das Verfassungsgericht erklärte die Praxis 2022 für illegal.
Zwei Untersuchungsausschüsse im Wahlkampfjahr 2024
Der zweite soll sich unter anderem mit möglicher Postenvergabekorruption und Zweckentfremdung öffentlicher Gelder in SPÖ- und FPÖ-geführten Ministerien beschäftigen. Er wurde von der ÖVP beantragt, als bekannt wurde, dass die Opposition den ersten Untersuchungsausschuss beantragte. Sowohl Babler als auch Nehammer mussten, wandten viel Sendezeit auf, um auf Kontroversen aus ihren Parteien einzugehen.
Kickl nahm sich im ORF-Interview hingegen viel Zeit dafür, zu dem Begriff „Remigration“ zu verteidigen. Unter dieser Überschrift führte der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner gegenüber anderen Rechtsextremen, teils hochrangigen AfD-Mitgliedern Pläne zur Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland aus. Das berichtetet das Rechercheportal Correctiv. Auf einem Geheimtreffen in Potsdam wurde im November 2023 demnach über die Deportation von Eingewanderten, auch deutschen Staatsbürgern, und Andersdenkenden nach Nordafrika diskutiert. (kb)