Drohnenarmee ohne Ziel: Putins Truppen gewinnen Kontrolle über den Äther
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VonKarsten Hinzmannschließen
Aus immer mehr russischen Panzern sprießen Stacheln: Antennen, die heranfliegende Drohnen verwirren und den technischen Vorteil der Ukraine kassieren.
Perwomaiske – Ein kleiner Pilz ragt aus dem Panzerturm, relativ unscheinbar; noch im August vergangenen Jahres wurde der kleine Knubbel groß gefeiert, mittlerweile scheint der Hype um ihn aber schon wieder abgeflaut zu sein. Das Magazin DefenseExpress berichtet von russischen Panzern mit neuen Anti-Drohnen-Störsendern, die die vor ein paar Wochen noch hoch gelobten „Volnorez“-Störsender schon wieder abgelöst zu haben scheinen. DefenseExpress zeigt Bilder von Panzern aus der Nähe des kleinen Ortes Perwomaiske in der Donezk-Region mit überdachten Türmen; darauf montiert sind Kästen, aus denen Antennen ragen. Die Konstruktion sieht aus wie eine etwas verunglückte, selbst gebaute Fernseh-Antenne.
Das Magazin will erstmals im Oktober 2023 von diesem System mit Namen „Saniya“ erfahren haben: offenbar gebaut von der russischen Firma „3mx“, kann Saniya Drohnen aus einer Entfernung von eineinhalb Kilometern erkennen und sie innerhalb einer Reichweite von einem Kilometer außer Gefecht setzen. DefenseExpress vermutet, damit sei der „Volnorez“-Störsender Geschichte, weil Russland der Öffentlichkeit ganz offensiv die scheinbare Wirksamkeit des neuen Systems im Ukraine-Krieg präsentiert – „was die Enttäuschung Russlands über das Vorgängermodell zum Ausdruck bringt“, wie DefenseExpress behauptet: „Es gibt auch indirekte Hinweise darauf, dass „Volnorez“ auf dem Schlachtfeld in der Ukraine eine geringe Wirksamkeit zeigte, insbesondere gelang es den ukrainischen Streitkräften, zumindest einige Systeme zur Analyse zu beschlagnahmen und Lücken in den Frequenzen und Winkeln der Flächenabdeckung zu finden.“ Wladimir Putin setzt seinen Fokus verstärkt auf Cyber-Attacken.
Russland holt auf: Über der Ukraine tobt die Schlacht im Äther
Während am Boden die Soldaten ihre Schützengräben zu Winterquartieren ausbauen, tobt die Schlacht im Äther aber dennoch weiter. „Die Ukraine ist in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges zu einer Drohnenmacht geworden“, sagte Ulrike Franke, vom European Council on Foreign Relations gegenüber dem ZDF. Und sie ist sich ziemlich sicher: „Es ist wahrscheinlich, dass die Ukraine aus diesem Krieg als wichtiges Drohnenherstellerland hervorgehen wird.“ Science-Fiction scheint von Tag zu Tag realistischer zu werden.
Die Ukraine bastelt schon länger an einer „Drohnenarmee“. Die konventionelle Kriegführung ist auf Dauer schlichtweg unbezahlbar, die Ukraine insofern zum Fortschritt gezwungen. Darüberhinaus herrscht am Boden ein Patt. Im Raum elektromagnetischer Wellen scheint Russlands Armee dagegen in die Offensive zu gehen und im Vorteil zu sein: Sie dominiert im Ukraine-Krieg die Elektronische Kriegführung.
Ukraine-Konflikt: Wettlauf um den technologischen Fortschritt
Das Magazin armyrecognition erklärt das „Volnorez“ und mit ihm verwandte Systeme dahingehend, dass der Verstärker und die Antenne auf dem potenziellen Zielfahrzeug eine Art Käseglocke aus elektromagnetischer Strahlung im Frequenzband zwischen 900 und 3.000 Megahertz erzeugen. Dieser Frequenzbereich entspricht den Betriebsfrequenzen der meisten derzeit verwendeten „First-Person-View“ (FPV)-Drohnen. Durch die Aktivierung des Störsenders wird die Kommunikation der Drohne mit ihrer Kontrollstation unterbrochen, wodurch die Drohne vom Kurs abkommt, den Kontakt verliert und ins Nichts irrlichtert. Dadurch kann das anvisierte Zielfahrzeug einem Treffer durch die Drohne entgehen.
Das Auftauchen neuer Systeme und der Schwerpunkt auf der Entwicklung sowie auf offensichtlichen Feldtests von Mitteln zur Elektronischen Kriegführung unterstreicht die Bedeutung und den Umfang dieser Bemühungen beider Seiten. Sowohl die russische als auch die ukrainische Seite liefern sich in diesem Krieg einen Wettlauf um die Entwicklung drohnenbasierter Waffen und Gegenmaßnahmen. In der Zwischenzeit werden FPV-Drohnen, immer ausgefeilter und beherrschen mittlerweile auch das „maschinelle Sehen“ für autonome Angriffe; ein Entwicklungsfaktor, der Gegenmaßnahmen im Rahmen der Elektronischen Kriegführung im bisherigen Sinne wirkungslos verpuffen lässt.
Der moderne Krieg: Drohnen werden von Tag zu Tag selbständiger
Drohnen werden damit selbständiger, von Tag zu Tag. Mit maschinellem Sehen erfassen und nähern sich Drohnen einem bestimmten Zielgebiet oder Zielobjekt, indem sie in begrenztem Rahmen fast schon eigene Entscheidungen treffen. Ist die Kamera mit der bordeigenen Flugsteuerung verbunden, können sie auch feststehende Hindernisse erkennen oder anderen Drohnen selbständig ausweichen, weshalb maschinelles Sehen für den Kollisionsschutz genutzt wird oder für die eigenständige Zielerfassung – auch das Fliegen in Schwärmen wird dadurch ermöglicht, beziehungsweise das Fliegen in Schwärmen mit gleichzeitigem Anfliegen verschiedener Ziele aus einem kompakten Schwarm heraus.
Sie lösen sich damit ein Stück weit von der Steuerung und lassen Störsender insofern nutzlos werden. Der strategische Vorteil, den die Ukraine ursprünglich im Bereich der Robotik hatte, insbesondere bei ihren Drohneneinsätzen, wurde durch den russischen Einsatz funkstörender Systeme an der Front inzwischen erheblich minimiert. Die Ukraine soll inzwischen auch Zehntausende Drohnen verloren haben.
Konflikt in der Kriegführung: Traditionalisten gegen Modernisierer
Diese Störsender stellten bisher eine direkte Bedrohung für die FPV-Drohnen dar und unterbrachen die wichtige Kommunikationsverbindung zwischen den Bedienern und ihren mit Sprengstoff beladenen Drohnen, schreibt der Digital-Journalist Aamir Sheikh im Blog Cryptopolitan. Scheikh prognostiziert deshalb einen Konflikt zwischen traditionellen Militärstrategien und modernen Technologien der Künstlichen Intelligenz – und damit einen entscheidenden Moment in der sich modernisierenden Kriegführung: „Um ihren Vorsprung im Drohnenkrieg zu behaupten, prüfen die ukrainischen Streitkräfte die Integration von KI in ihre Operationen. Das favorisierte KI-System würde lernen, Ziele über die Kamera der Drohne zu erkennen, sodass es die Drohne auch dann weiter auf das Ziel steuern kann, wenn keine Funkverbindung besteht.“
Damit wäre die aktuelle Generation von Störsendern auch schon wieder lahmgelegt. Für beide Kontrahenten wird die Drohnen-Abwehr zum Unterfangen mit vielen Unbekannten – und reicht demnächst bis in die elektronischen Schaltungen hinein – Drohnen-Abwehr heißt zunächst: die Kleinstflieger überhaupt sichtbar zu machen. Für das Auge oder das Radar. Weil die aktuellen Drohnen zu einem großen Teil mit Teilen aus dem Baumarkt flögen, seien sie gegenüber Störungen über Funk ohnehin sehr sensibel und damit relativ leicht beeinflussbar, sagt der britische Abwehr-Spezialist Steve Wright. Das gelte zum Beispiel für die von Russland massenhaft eingesetzte Shahed-Drohne.
Putins stärkste Waffe: Die Smartphones gefangener Ukrainer
Wright zufolge werde aktuell mit hoher Priorität an Abwehr-Strategien gegen Drohnen geknobelt. Entsprechende Unternehmen schießen aus dem Boden. Laut Fortune Business Insights wird der weltweite Markt für militärische Drohnen von aktuell 13,3 Milliarden Euro auf 33,4 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen.
Bislang galten Wladimir Putins Truppen in der Ukraine als wenig flexibel und schlecht geführt, weil ihnen die digitale Kommunikation gefehlt hatte. Neuere Studien zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demnach hat die russische Armee dazugelernt. Den ukrainischen Streitkräften sei anfangs „in einer noch nie da gewesenen Weise“ gelungen, Daten aus zivilen und militärischen Quellen zu aktuellen Lagebildern zu verdichten, um sie anschließend gegen die Invasoren aus Russland einzusetzen, sagt Oberst Tim Zahn im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt.
„Aufgrund der Datenmenge konnten erhebliche Zeitgewinne, die im militärischen Kontext immer eine wichtige Rolle spielen, erzielt werden“, so der Leiter des Zentrums für Cyber-Sicherheit der Bundeswehr. Deshalb gerieten anfangs ganze Konvois ins Stocken; deshalb schoss die russische Artillerie so wenig präzise. Deshalb hatte die Ukraine in der Gegenoffensive Oberwasser bekommen. Das aktuelle Problem: All das haben sich die Russen jetzt allerdings von ihren Gegnern abgeschaut.
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine




Das ukrainische Militär war mit GPS-gesteuerten Waffen sehr effektiv, darunter Storm Shadow- und Scalp-Marschflugkörper, gelenkte Mehrfachraketen, die von Himars-Trägerraketen abgefeuert werden, und M982 Excalibur 155-mm-Artilleriegeschosse, berichtete BusinessInsider. Allerdings haben die Russen inzwischen massenhaft Daten aus den Smartphones gefangener ukrainischer Gegner auslesen und zu Lagebildern der Stellung sogar einzelner Geschütze verdichten können. Auch die intelligenten Excalibur-Geschosse westlicher Haubitzen sind anfällig für Störsender und verlieren an Wirksamkeit.
„Gegen Drohnen hilft nie ,die eine‘ Lösung, und wahrscheinlich wird die auch nie gefunden werden“, sagt der britische Drohnen-Experte Steve Wright gegenüber Newsweek. Ihm zufolge würde in der Zukunft fortgesetzt werden, was auch jetzt schon geschieht: improvisieren. Auf beiden Seiten.