Forscherin: „Neue russische Drohnen sind ein Problem für die Ukraine“
Drohnen prägen den Ukraine-Krieg. Expertin Ulrike Franke erläutert im Interview, welche Entwicklungen sie überrascht haben und welche als Nächstes zu erwarten sind.
Frau Franke, als jemand, der die Entwicklung der militärischen Drohnen schon lange auch vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine beobachtete – was hat Sie in diesem Krieg im letzten Jahr überrascht?
Es sind vor allem zwei Dinge: Das erste, was wirklich auffällig ist und was ich so nicht erwartet hätte, ist die schiere Anzahl von Drohnen, die in diesem Krieg genutzt wird. Wir reden inzwischen von zehntausenden, hunderttausenden Drohnen. Die Ukraine hat zudem gerade gesagt, dass sie dieses Jahr eine Million Stück herstellen will – und Berichten nach etwa 70 verschiedene Systeme im Einsatz hat. Das sind unglaubliche Zahlen – und um die in den Kontext zu stellen: Die Bundeswehr hat derzeit acht verschiedene Drohnensysteme, und von keinem mehr als eine kleine dreistellige Stückzahl. Russland ist in diesen Krieg mit nur wenigen Drohnen reingegangen, das ist inzwischen anders. Der zweite interessante Aspekt ist, dass vor allem kleine Drohnen eine wichtige Rolle spielen, oft auch die, die aus dem zivilen Bereich kommen. Hier sehen wir, dass die Technik sich vom militärischen zum zivilen Bereich und dann wieder zurück aufs Schlachtfeld entwickelt hat.
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Dieses Interview liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Security.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte es Security.Table am 11. Januar 2024.
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Ein Schuss einer 155-Millimeter-Artilleriemunition fängt bei etwa 3000 Euro an, das ist mehr als eine kleine Drohne, wie sie in der Ukraine im Einsatz sind, kostet.
Ja, aber viele kleine Drohnen kosten am Ende auch viel. Deswegen denke ich, dass Kosten nur ein Grund sind. Hätten die größeren Drohnen wie vom türkischen Hersteller Bayraktar sich durchgesetzt, wären sie stärker im Einsatz. Das haben sie aber in diesem Konflikt nicht. Hier dominieren die kleinen, leicht herzustellenden Drohnen. Aber: Es kann sich auch wieder drehen, in einem anderen Konflikt könnten die großen Drohnen wieder relevanter sein.
Beim Thema Drohnen ist der Blick meist nach oben gerichtet, aber die Ukraine scheint auch die Entwicklung der Meeresdrohnen voranzutreiben. Spielen die schon eine große Rolle?
Die Entwicklung der maritimen Drohnentechnik ist auch etwas, was viele so nicht im Blick hatten. Es ist noch nicht ein besonders großes Thema, aber es wird größer werden, weltweit, das sehen wir in der Ukraine. Immerhin werden maritime Drohnen zum ersten Mal in einem Krieg in diesem Ausmaß eingesetzt. Sie zerstören russische Kriegsschiffe und richten erheblichen Schaden an. Maritime Drohnen werden wahrscheinlich auch im Roten Meer eine Rolle spielen – die Huthis haben bereits in der Vergangenheit solche Systeme verwendet. Und in einer möglichen Konfrontation zwischen den USA und China würden maritime Technologien generell eine sehr große Bedeutung haben. Ähnlich wie bei den Drohnen in der Luft zeigt sich hier, dass kleine und relativ günstige Waffen sehr große und teure Technik vulnerabel machen können.
Russland hat die Ukraine um den Jahreswechsel mehrfach mit ganzen Gruppen von Drohnen beschossen. Erleben wir nun den Einsatz von Drohnenschwärmen?
Man kann mit Sicherheit sagen, dass das so kommen wird. Drohnenschwärme werden eine größere Rolle spielen. Im Moment werden sie vor allem benutzt, um die Abwehrsysteme zu saturieren und zu durchdringen, weil die Ukraine sehr gut darin ist, einzelne Drohnen oder Raketen abzufangen. Momentan heißt „Schwarm“ aber in der Regel nur eine Masse an Drohnen. Echte Schwärme sind Formationen, in denen einzelne Drohnen miteinander kommunizieren und sich Aufgaben teilen oder übergeben können. Aber auch das steht bevor.
Die russische Armee behauptet, dass sie mit der Lancet-3 genau das bereits tut, unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Künstliche Intelligenz zur Lageerkennung oder Bildanalyse, und auch im Bereich Autonomie ist in der Ukraine im Einsatz, ja, auch auf der ukrainischen Seite. Inwieweit die Lancet-3 in der Tat vollautonom dank KI ist, lässt sich schwer nachprüfen. Die Lancet-Drohnen sind aber tatsächlich ein Problem für die Ukraine. Offensichtlich hat Russland da bestimmte Fähigkeiten aufgebaut. Wenn man 30 Prozent seines Staatsbudgets in den Krieg investiert, dann kommt auch etwas heraus. Das heißt für uns aber auch, dass wir uns ebenfalls nicht ausruhen dürfen. So nach dem Motto, die Ukrainer sind innovationsfähig, sind stark und haben westliche Hilfe und deswegen ist das alles kein Problem. Die Russen haben nicht nur nachgezogen, sondern je nach Bereich sind sie stärker, etwa bei der elektronischen Kampfführung.
Meine news
Sowohl die Ukraine als auch Russland lernen und entwickeln ihre Waffen und Abwehrtechnik immens schnell weiter. Haben Sie den Eindruck, dass westliche Staaten und westliche Rüstungsunternehmen mit gleicher Intensität lernen?
Das ist schwierig zu beantworten. Die Ukraine ist in einem existenziellen Kampf, sie hat eine andere Motivation. Aus den Gesprächen mit der westlichen Industrie habe ich nicht den Eindruck, dass die Motivation ähnlich ist, es tut sich weniger, als man denken könnte. Es ist jetzt nicht so, als hätte die europäische Rüstungsindustrie in den letzten zwei Jahren haufenweise neue Drohnensysteme entwickelt.
Ulrike Franke ist Senior Political Fellow beim renommierten Thinktank European Council on Foreign Relations. Ihr Spezialgebiet sind neue Technologien in der Kriegsführung wie Drohnen und Künstliche Intelligenz.