Jobcenter-Chefin zum Bürgergeld: „Ob die Menschen arbeiten wollen, kann man nicht sagen“
Die Erhöhung der Sätze beim Bürgergeld brachte der Ampel-Regierung viel Kritik ein. Allerdings haben die Jobcenter ganz andere Probleme. Eine Insiderin verrät, welche Baustellen es gibt.
Berlin – Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bezogen im Jahr 2023 etwa 3,9 Millionen Menschen Bürgergeld. Rund 1,9 Millionen sind nicht erwerbsfähig. Im Zuge der Bürgergeld-Debatte gab es massig Kritik an der Bundesregierung – es stehe infrage, ob sich die Arbeit in Deutschland überhaupt noch lohne. In den Jobcentern kämpfen die Beamten derweil mit anderen Problemen.
Bürgergeld Beziehende in Deutschland (2023) | 3,9 Millionen |
Anteil der Leistungskürzungen durch Arbeitsverweigerung | 27 Prozent an allen Leistungskürzungen |
Anteil von Migranten bei den Bürgergeldempfängern | 32 Prozent (Landkreis Schmalkalden-Meiningen) |
50 Prozent der Bürgergeld-Empfänger haben wenig Aussicht auf einen Job
Steffi Ebert, Leiterin des Jobcenters im Thüringer Landkreis Schmalkalden-Meiningen, ist nur teils optimistisch. Im Interview mit dem Focus teilte sie mit, dass die Vermittlung eines neuen Jobs in 50 Prozent aller Fälle „aussichtslos“ sei.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Eine Lösung habe die Politik noch nicht gefunden – auch nicht in der Erhöhung des Bürgergelds. „Ich glaube aber nicht, dass das allein mit höherem Bürgergeld aufzufangen ist, sondern es gibt einfach auch Menschen, die kommen mit ihrem Budget klar und andere nicht.“ Stattdessen bewerben sich manche Menschen schlichtweg nicht. Das Bürgergeld ist in ihren Fällen attraktiver und lukrativer. Eine Erhöhung desselben sei nicht zielführend.
„Ob diese Menschen arbeiten wollen oder nicht, kann man nicht sagen“
Ebert zufolge besteht eine Herausforderung darin, zu erkennen, wer die Arbeit absichtlich verweigert und wer nicht. Menschen, die mindestens vier Jahre lang im System sind, bezeichnet das Jobcenter Längstzeitleistungsbeziehende. „Ob diese Menschen arbeiten wollen oder nicht, kann man gar nicht pauschal sagen“, erklärt Ebert. Oftmals lägen verschiedene Probleme vor: Schulden, Sucht, eine angeschlagene Gesundheit, sei es psychisch oder physisch.

Die Vermittlung der Betroffenen ist daher entsprechend schwierig. „Hier geht es darum, zu prüfen, ob noch Erwerbsfähigkeit vorliegt oder andere Leistungsträger wie Rententräger oder Sozialhilfeträger zuständig sind.“ Es gelte die Grundregel: Je länger eine Person Bürgergeld bezieht, umso schwerer hat sie es, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.
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Anteil der Arbeitsverweigerer unter den Bürgergeld-Beziehern ist eher gering
Im Zuge der Bürgergeld-Debatte ist das Argument, das Bürgergeld sei zu hoch und verschaffe einen Gegenanreiz zum Arbeiten, allgegenwärtig. Allerdings zeigen die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass tatsächlich eher weniger Menschen absichtlich die Arbeit verweigern. Anhand der Fälle von Leistungskürzungen wegen „Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ sei gut zu ermitteln, wie viele absichtlich keinen Job suchen.
Laut Statistik gab es im Jahr 2021 konkret 52.174 solcher Fälle von Leistungskürzungen. Tendenz sinkend. Insgesamt machen Leistungskürzungen wegen Verweigerung knapp 27 Prozent aller Fälle von Leistungskürzungen im Jahr 2021 aus. Dabei berücksichtigt die Statistik jedoch nicht, ob jemand gleich zweimal eine Kürzung bekam, weil er wiederholt die Arbeit verweigerte. Die tatsächliche Anzahl der Verweigerer kann daher wesentlich geringer sein.
Wie Migranten Bürgergeld beziehen
Bei Migranten hängt es vom jeweiligen Status ab, ob und was für ein Bürgergeld sie beziehen. Asylberechtigte, also anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte, dürfen in Deutschland arbeiten. Daher haben sie auch Anspruch auf Bürgergeld. Ebert gibt an, dass Migranten in ihrem Landkreis derzeit 32 Prozent aller Leistungsempfänger ausmachen. Die Tendenz steigt: Vor 2015 hatte es keinen nennenswerten Anteil von Migranten unter den Leistungsempfängern gegeben.
Die Arbeitsmoral sei bei ihnen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige „sehr motivierte“ Menschen sind dabei, allerdings gibt es auch einen Teil von Menschen, die viel Hilfestellung benötigen. Hinzu kämen gesundheitliche Einschränkungen, mangelhafte oder nicht verwertbare Schulabschlüsse und Berufsausbildungen. Ebert sagt dazu: „Die Bildungssysteme in den Ländern sind eben unterschiedlich und daher mit den deutschen Anforderungen oftmals nicht vereinbar.“ Die Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt sei eine schwierige, langfristige Aufgabe.
Gesetzesänderungen beim Bürgergeld sind „Herausforderung für jede Behörde“
Abschließend liegt eine Herausforderung für Mitarbeiter im Jobcenter bei den vielen Gesetzesänderungen und technischen Einzelheiten. Mitte Januar zum Beispiel schlug Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) vor, das Grundgesetz anzupassen, um eine Sperre des Bürgergelds bei Jobverweigerern zu erreichen. „Wenn hier eine generelle Streichung durch die Rechtsprechung nicht gedeckt ist, sollten wir eben die Verfassung ändern“, sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Ebert zufolge ist das ein Problem. „Ständige Rechtsänderungen sind schon eine Herausforderung für jede Behörde in der Umsetzung. Das Bürgergeld-System ist sehr individuell in jedem Einzelfall.“ Die Umsetzung sei komplex, Mitarbeiter würden belastet. Und vonseiten der Kunden gibt es dann Unverständnis wegen der langwierigen Entscheidungsprozesse.