So viel Strom wie fünf Atomkraftwerke: Deutschland hat schon genug gespeichert – es muss nur genutzt werden

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An einem Solarpark werden zwei Batteriespeicher angeliefert. © Uli Deck/dpa/Symbolbild

Die deutsche Energiewende hat einen Knackpunkt erreicht. Die Infrastruktur kommt nicht mit den Kapazitäten mit. Es gibt aber unangetastetes Potenzial.

München – Der deutsche Strommarkt ist an einem interessanten Punkt angekommen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist gut vorangekommen, knapp 60 Prozent des deutschen Stroms werden mittlerweile regelmäßig aus Solar, Wind und Biomasse produziert. Doch das allein ist kein Grund zur Freude. Denn jetzt erst merkt man, dass der Zubau der Erneuerbaren nicht im Einklang mit den Stromleitungen und der technischen Infrastruktur erfolgt ist.

Zu viel erneuerbarer Strom in Deutschland tagsüber – dafür zu wenig am Abend

Wie das im schlimmsten Fall aussehen kann, zeigte erst vor wenigen Monaten ein Fall aus Oranienburg: Weil so viele Anlagen wie Wärmepumpen und Elektroautos samt Ladesäulen installiert wurden, und dem Netzbetreiber nicht rechtzeitig diese Information weitergeleitet wurde, kam es zu Engpässen. Die Stadt musste Eigentümern und Eigentümerinnen ankündigen, dass sie zunächst keine weiteren Anlagen anmelden könnten.

In Oranienburg haben Stadt, Netzbetreiber und Bundesnetzagentur am Ende eine Lösung gefunden. Doch der Fall zeigt deutlich, dass Deutschland in eine Strom-Schieflage gerät. Solar- und Windkraftanlagen stur nach dem Prinzip „viel hilft viel“ zu installieren, sorgt für Probleme. Denn der Strom kann nicht zu den Zeiten abgerufen werden, zu denen er auch gebraucht wird. Viel zu oft kommt es vor, dass erneuerbarer Strom fast schon wie Abfall ins Ausland gebracht wird. Es fehlt die Möglichkeit, den Strom in großen Mengen zu speichern.

Doch es gibt Lösungen – eine sogar, die jetzt schon in deutschen Kellern zu finden ist und nur darauf wartet, genutzt zu werden. Denn schon jetzt sind in Deutschland so viele kleine Stromspeicher installiert, um zusammen eine Kapazität von ungefähr fünf Atomkraftwerken zu haben.

Das Potenzial der kleinen Speicher in Deutschland kann gebündelt werden

Das erklärt Felix Dembski von der Firma Sonnen GmbH. Der Jurist hat bei der Solarfirma die Aufgabe, mit den Stromnetzbetreibern zu verhandeln. Oder wie er es im Gespräch mit IPPEN.MEDIA sagt: „Ich mache den Nahkampf mit den Netzbetreibern“.

Dembski erklärt, wie die bestehenden Heimspeicher in Deutschland sinnvoll genutzt werden könnten. Die bestehenden acht Gigawatt, die an installierten Heimspeichern in Deutschland zur Verfügung stehen, dürfen nämlich nicht einzeln ihren gespeicherten Strom an der Strombörse verkaufen. „Die Strombörse ist so reguliert, dass ein Teilnehmer in der Lage sein muss, mindestens eine Megawattstunde Strom zu verkaufen“.

Da kein einzelner Speicher diese Menge an Strom auch nur annähernd absetzten könnte, dürfen sie auch nicht an der Strombörse stattfinden. Übliche Heimspeicher sind in der Lage, zwischen zehn und 20 kWh Strom zu speichern, ein Hundertstel dessen, was die Strombörse für die Teilnahme verlangt.

Megawatt, Kilowatt, Gigawattstunden – Stromeinheiten kurz erklärt

Eine Megawattstunde (MWh) entspricht 1000 Kilowattstunden (kWh). Das entspricht in etwa dem jährlichen Stromverbrauch eines sparsam lebenden Single-Haushalts. Eine Gigawattstunde sind wiederum 1000 MWh. Im Jahr 2022 hat ganz Deutschland insgesamt 467.000 Gigawattstunden (oder 467 Terrawattstunden) Strom verbraucht.

Das Kernkraftwerk Emsland in Niedersachsen hatte bis zur Abschaltung hatte eine Leistung von 1,4 Gigawatt und produzierte 11.000 GWh Strom im Jahr. Das entspricht zwei Prozent des jährlichen Stromverbrauchs für ganz Deutschland.

Eine Windkraftanlage kann je nach Größe eine Leistung von sechs Megawatt aufweisen und erzeugt zehn GWh Strom pro Jahr. Zehn Windkraftanlagen mit dieser Leistung decken also jährlich 0,02 Prozent des deutschen Gesamtstromverbrauchs.

Doch was, wenn die Stromspeicher alle zusammengefasst werden könnten? Was, wenn diese acht GW sich zusammenschließen und gemeinsam den gespeicherten Strom an die Börse bringen, indem sie so tun, als ob sie ein großes Kraftwerk wären? „Genau das machen wir. Das sind virtuelle Kraftwerke, sie agieren dann am Strommarkt als Großkraftwerk“, so Dembski.

Virtuelle Kraftwerke: Können sie Deutschlands Strom-Problem beheben?

Es gibt mittlerweile in Deutschland zahlreiche Unternehmen, die ihre Kunden (häufig sind es Solarkunden, aber nicht nur) zusammenführen und als ein größeres Kraftwerk agieren lassen. Dazu zählt Sonnen, aber auch Firmen wie Enpal, EnBW sowie auch manche Stadtwerke bündeln ihre Kunden in den Virtual Power Plants (VPPs).

Nach Angaben von Sonnen-Jurist Felix Dembski hat das Unternehmen in Deutschland aktuell 25.000 Kunden für ihr VPP unter Vertrag, mit einer Kapazität von 250 MWh. „Das ist ein mittleres Gaskraftwerk“, so Dembski. Weltweit betreibt die Firma insgesamt sieben VPPs, neben Deutschland auch in Australien, den USA, Schweden und Italien.

Wer bei der Firma eine Solaranlage mit Heimspeicher kauft, kann Teil des VPP mittels des hauseigenen Stromtarifs werden. Grundsätzlich ist es auch möglich, Speicher von einem anderen Anbieter zu haben.

Energiewende gelingt mit dynamischen Stromtarifen und Smart Metern

Der Stromvertrag ist ein dynamischer Stromtarif, bei dem der Stromverbrauch minütlich abgebucht wird. Dynamische Stromtarife funktionieren so: Damit Kunden den besten Preis bekommen, gleicht der Stromanbieter den steuerbaren Verbrauch (z.B. die Waschmaschine, den Trockner oder die Ladesäule fürs E-Auto) mit dem aktuellen Börsenpreis ab. Da sie immer nach dem aktuellen Marktpreis zahlen, entsteht ein Anreiz, zu besonders günstigen Zeiten mehr Strom zu verbrauchen. Die steuerbaren Anlagen können Kunden also dann einschalten, wenn der Preis in den Keller rutscht. Dynamische Stromtarife müssen ab 2025 von jedem Stromanbieter angeboten werden.

Um wirklich von einem dynamischen Stromtarif zu profitieren, braucht man jedoch einen Smart Meter. Diese sind in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie in den Nachbarländern: Während in Italien und Spanien über 90 Prozent der Haushalte einen intelligenten Stromzähler haben, ist es in Deutschland gerade mal ein Prozent. Auch hier wieder ein Beispiel dafür, dass Deutschland die technische Ausstattung für die Energiewende wenig priorisiert hat. Mittlerweile bieten auch immer mehr Firmen an, den Smart Meter unentgeltlich zu installieren – dazu gehören zum Beispiel die Ökostromanbieter Octopus Energy, Tibber und Rabot Charge, aber auch Sonnen installiert die Geräte.

Ein Smart Meter ist auch notwendig, um Teil eines VPP zu sein. Denn nur dadurch kann die betreibende Firma wissen, wie viel Strom gerade in „ihrem“ Kraftwerk gespeichert ist und das Auf-/Entladen der Speicher nach aktuellem Bedarf steuern.

VPPs können gespeicherten Strom flexibel einsetzen – und fossile Energie in Rente schicken

Im Gegensatz zu Kohle- und Gaskraftwerken können VPPs auch sehr schnell auf die aktuelle Marktlage reagieren und flexibel Strom einspeisen oder eben speichern. „Ein Kohlekraftwerk fährt nicht so einfach runter. Und es gibt auch ganz bestimmte Regeln darüber, welche Kraftwerke wann herunterfahren dürfen. Das ist alles sehr unflexibel“, so Felix Dembski.

Wenn wir aber an den Punkt kommen wollen, an dem fossile Kraftwerke wie Kohle komplett abgeschaltet werden können, müssen andere Hebel in Bewegung gesetzt werden. Aktuell decken diese den Bedarf in der Nacht und am frühen Morgen – doch wenn die Heimspeicher anders genutzt werden würden, könnte man den erneuerbaren Strom besser über den Tag verteilen. „Der einzig sinnvolle Weg, den wir heute schon einschlagen können, ist über die Speicher“, weiß Felix Dembski. „Das ist derzeit die einzige Möglichkeit, wie man die Fossilen endlich in Rente schicken kann“.

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