Strom-Desaster in Oranienburg schreckt auf: Wie sicher ist das deutsche Stromnetz wirklich?

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Die erste deutsche Stadt hat ihre Belastungsgrenze beim Stromnetz erreicht. Andere könnten folgen - oder? Wie sicher das deutsche Stromnetz ist, zeigt eine große Umfrage bei den Stadtwerken.

Oranienburg – Seit mehreren Jahren befürchteten Experten eine Überlastung des Stromnetzes bei Oranienburg, ein kleines Stück nördlich von Berlin. Nun war es passiert: Die Stadt kann keine neuen Stromanschlüsse mehr vergeben, weil das lokale Netz seine Belastungsgrenze erreicht hatte. Die Stadtwerke warnen vor massiven Kosten.

Kapazitätsprobleme in Oranienburg – Missmanagement sorgt für Ärger

Was war passiert? Seit mehreren Jahren war lokal bekannt, dass Oranienburg ein Problem mit der Stromkapazität bekommen würde. Dabei geht es nicht um ein Fehlen der Kapazität, sondern um ein Problem mit dem Umspannwerk. Die Stadt habe nicht damit gerechnet, so schnell zu wachsen, was zur Verschleppung eines Umspannwerks führte. Soweit jedenfalls die offizielle Geschichte. Medienberichten zufolge habe es allerdings schon 2017 eine Warnung gegeben, dass das bestehende Umspannwerk die Leistungsgrenze erreichen wird.

Oranienburg im Bundesland Brandenburg, die Stadtwerke.
Oranienburg im Bundesland Brandenburg, die Stadtwerke. Die erste deutsche Stadt hat ihre Belastungsgrenze beim Stromnetz erreicht. Andere können folgen. © IMAGO / Jürgen Ritter

Hier hätten die Stadtwerke zusätzliche Kapazitäten anmelden müssen. Das ist aber durch Missmanagement offenbar nicht passiert. Das fehlende Umspannwerk soll nun bis 2026 entstehen – zu spät für die Bürger, die nun verzichten müssen. „Das ist eine eklatante Fehlplanung mit schweren Konsequenzen“, zitierte die Zeit den Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Die Lage sei „inakzeptabel“.

Netzengpass in Oranienburg nur ein Vorgeschmack? – Bundesnetzagentur gibt Entwarnung

Die große Frage, die sich nun stellt, ist: Bleibt Oranienburg ein Einzelfall oder droht anderen deutschen Städten ein ähnliches Schicksal? Nicht zwangsläufig, finden die Stadtwerke. Das Handelsblatt hatte hier eine großflächige Untersuchung vorgenommen und nachgefragt. Die Stadtwerke warnen unter anderem vor hohen Anschlusskosten, langen Wartezeiten und „immensen“ Investitionssummen. Nur beim Anschluss von Unternehmen und „größeren“ Stromverbrauchern seien aber Engpässe zu beobachten oder zu befürchten.

In einigen Kommunen sollen neue Gewerbe- und Industriekunden mit hohem Strombedarf lediglich eine reduzierte Leistung in ihrem Anschluss erhalten. Vonseiten der Bundesnetzagentur gab es dagegen Entwarnung. Es lägen „keine vergleichbaren Fälle vor“, teilte die Behörde auf Anfrage von Ippen.Media hin mit. „Der verhängte Anschlussstopp geht auf ein erfreuliches, starkes Wachstum der Stadt Oranienburg in Kombination mit einer um Jahre verspäteten Planung der Stadtwerke Oranienburg zurück“, erklärte die Bundesnetzagentur. Es handele sich um einen lokalen Einzelfall.

Für den Eon-Chef Leonard Birnbaum sind hier die Stadtwerke schuld. „Der Bedarf an Infrastruktur ist in den letzten Jahren dramatisch unterschätzt worden“, erklärte er. Einem Versorger dürfe es nicht passieren, Haushaltskunden nicht mehr anschließen zu können. Allerdings sei die Versorgung auch bei guter Planung nicht eben einfach. „Die steigenden Anforderungen werden seit Jahren in den Planungen berücksichtigt, erfordern aber erhebliche Investitionen“, sagte Florian Bieberbach dazu, der Chef der Stadtwerke München. Während die Bundesnetzagentur hier allein auf Verteilnetzebene bis 2045 mit rund 150 Milliarden Euro rechnet, geht das Energiewirtschaftliche Institut an der Uni Köln (EWI) eher von 180 Milliarden Euro Investitionssumme aus.

Stromengpässe durch zu viel Windkraft – Deutschland braucht bessere Stromnetze

Im Zuge der Energiewende wirken sich auch die erneuerbaren Energien teils negativ auf den heimischen Bedarf aus. In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Stromengpässen, weil zum Beispiel bei erhöhtem Windaufkommen im Norden eine Überproduktion stattfand, durch die letztendlich in Baden-Württemberg Warnungen an Verbraucher folgten. „Wenn der Wind in Norddeutschland besonders stark weht, sinken durch das hohe Stromangebot die Großhandelspreise an der Strombörse. Marktteilnehmer (z. B. Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken) im industriereichen Süden decken sich dann mit günstigem erneuerbarem Strom ein“, erklärte eine Sprecherin damals.

Wenn aber der Netzausbau nicht Schritt hält, würden weitere Netzengpässe folgen. Den windreichen Stunden in Norddeutschland zum Beispiel hält das Netz aktuell nicht stand. „Netzengpass-Situationen drohen die Leistungen zu überlasten“, warnte TransnetBW. Durch Hochleistungs-Stromtrassen wie den Suedlink oder A-Nord wollen die großen Netzbetreiber (zu denen neben Transnet auch Amprion gehört) die Stromnetze innerhalb Deutschlands entlasten. A-Nord soll so als erster deutscher Windstrom-Korridor große Mengen grünen Stroms von der Nordsee in den Westen der Nation bringen.

Regierung gibt Verteilnetzbetreibern mehr Macht

Um künftig Situationen wie jetzt die in Oranienburg zu verhindern, hatte der Gesetzgeber den Verteilnetzbetreibern ein spezielles Werkzeug vermacht: Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) besagt, dass sie die Stromleistung für E-Autos oder elektrische Wärmepumpen kurzfristig herunterregulieren dürfen, wenn es dazu dient, Überlastungen der Netze vorzubeugen. Davon wollen die Betreiber jedoch nur mäßigen Gebrauch machen. Für Rheinenergie sei die Regelung eine „zusätzliche Absicherung“, Münchens Stadtwerke wollen den Paragraf 14a laut Handelsblatt vorerst nicht anwenden.

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