„Noch der Beste unter den Bösen“ - Enthüllungen aus Russland-Doku offenbaren Sicht auf Scholz
Vertrauliche Unterlagen geben Aufschluss darüber, wie die deutsche Politik in Russland bewertet wird. Das Bild über Olaf Scholz wird nicht ganz klar.
Moskau – Sein Ukraine-Krieg und die in zweieinhalb Wochen anstehende US-Wahl spannen Wladimir Putin und seinen Machtapparat derzeit ziemlich ein. Aber auch Deutschland lässt den Kreml-Chef nicht wirklich los. Einst vorübergehend sogar seine Heimat und bis vor wenigen Jahren noch der wichtigste Handelspartner in Europa, herrscht mittlerweile Eiszeit zwischen Berlin und Moskau.
In russischen Medien hetzen Putins Propagandisten wie TV-Moderator Wladimir Solowjow regelmäßig gegen den langjährigen Verbündeten, Ex-Präsident Dmitri Medwedew fabuliert sogar offen von Raketenangriffen und einem Einmarsch der Truppen. Im Geheimen wird dagegen ausgelotet, wie die politische Lage in Deutschland aus russischer Sicht wirklich einzuschätzen ist und auf welche Akteure gebaut wird, um die alte Bindung wieder aufleben zu lassen. Dabei scheinen Putins Vertrauten zwei Personalien gar nicht zu schmecken. Bundeskanzler Olaf Scholz sehen sie eher als geringeres Übel an.
Putin und Deutschland: Russlands oberster Thinktank gibt Kreml-Chef Einblick in politisches Berlin
Über die eigentlich geheimen Analysen des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften berichten das ARD-Politikmagazin „Kontraste“ und die Zeit, wie die Tagesschau berichtet. Die Redaktionen bekamen demnach Einblick in öffentlich nicht zugängliche Zusatzteile von zwei Papieren aus diesem September und dem August 2023 des obersten staatlichen Thinktanks.
Dessen Direktor ist Alexei Gromyko, Enkel des ehemaligen sowjetischen Staatsoberhaupts Andrei Gromyko. Die Dokumente seien etwa für das Außenministerium in Moskau und für den russischen Botschafter in Berlin erstellt worden.
Moskau über Wahlen in Ostdeutschland: „Angst vor Konflikt zwischen Nato und Russland schüren“
Nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland analysierten die russischen Wissenschaftler demnach, wie der deutschen Unterstützung für die Ukraine beizukommen ist: „Durch bestehende Kanäle muss der Druck verstärkt werden, um die Angst deutscher Bürger vor einem möglichen Konflikt zwischen Nato und der Russischen Föderation zu schüren.“
In diesem Zusammenhang solle suggeriert werden, der Konflikt werde vom Westen provoziert. Insbesondere von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) – nach wie vor beliebtester unter den wichtigsten Politikern in Deutschland –, der Europaabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und dem Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter (CDU).
Festgestellt wurde, dass nicht etwa der Wunsch nach einer Rettung Russlands, sondern die Angst viele Wähler ihr Kreuz bei jenen Parteien machen lasse, „die eine gute Chance haben, künftig ein Drittel der Sitze im Bundestag zu erlangen“. Damit dürfte auch das BSW gemeint sein, dessen Co-Vorsitzende und Namensgeberin Sahra Wagenknecht in Moskau wenig überraschend besonders gut anzukommen scheint.
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Russland und Wagenknecht: Putin-Vertraute empfehlen „engere Kontakte“ zum BSW
Schon im August 2023 sei in dem geheimen Dokument empfohlen worden, „über bestehende Kanäle engere Kontakte zu Wagenknecht und ihrer Umgebung zu schmieden“. Die einstige Linken-Ikone wird als wichtige Gegenspielerin der „anti-russischen Kräfte sowohl in Deutschland wie auch in Brüssel“ wahrgenommen.

Weniger optimistisch klingt die Einschätzung zur AfD. „Wir müssen aufpassen, wie es mit den Beziehungen zur Alternative für Deutschland weitergeht“, ist zu lesen. Gerade ein möglicher Aufstieg von Björn Höcke zum Vorsitzenden könnte demnach vieles verändern. Als russland-nah gelten innerhalb der Partei bekanntlich andere Größen wie der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla oder die Europaabgeordneten Maximilian Krah und Petr Bystron.
Doch nicht nur die Entwicklung innerhalb der AfD wird sorgenvoll betrachtet. Auch die starken Umfragewerte der Union bereiten Moskau offenbar Bauchschmerzen. Schließlich gelten CDU und CSU als Verfechter der Nato und propagieren eine Nähe zu den USA. Und so wird im Falle einer Kanzlerschaft von Friedrich Merz eine „weitere Verschlechterung“ der deutsch-russischen Beziehungen befürchtet.
Russland und Scholz: Kanzler wird als „noch der Beste unter den Bösen“ bezeichnet
Auch Scholz ist aus Moskauer Sicht nicht der optimale Regierungschef, aber immerhin „noch der Beste unter den Bösen“. Denn er habe bislang keine Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine geliefert – trotz des Drucks aus der eigenen Partei und der Koalitionspartner. Die Experten frohlocken: „Es kann erwartet werden, dass diese Weigerung bis Herbst 2025 anhält.“

Als wirkliche Hoffnungsträger werden aber andere Sozialdemokraten angesehen. „Mützenich und Co.“ seien Unterstützer einer „alternativen, statt einer Pseudo-Friedenslösung à la Scholz“.
Kritisiert wird etwa, dass der Kanzler die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland unterstützt und auch schwere Waffen an Kiew liefert. Allerdings wird erfreut zur Kenntnis genommen, dass diese Entscheidungen „zunehmend auf Protest unter deutschen Bürgern stößt, vor allem in Ostdeutschland“.
Russland sucht Kontakt zu Deutschland: „Petersburger Dialog“ soll wieder aufleben
Gromyko und sein Team raten dazu, mittels Hochschulen und akademischen Einrichtungen die Kontakte zu deutschen Parteistiftungen wieder aufleben zu lassen. Vor allem eine Annäherung an die Friedrich-Ebert-Stiftung schwebt den Autoren vor. Auszunehmen ist hingegen die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen.
Außerdem solle der eigentlich eingestellte „Petersburger Dialog“ zwischen beiden Ländern wieder genutzt werden. Recherchen der beiden deutschen Medien zufolge versuchen einflussreiche Vertreter des Kreml das Gesprächsformat mittels konspirativer Treffen in Baku wieder in Gang zu bringen. Für diesen Sonntag (20. Oktober) und Montag ist demnach in der aserbaidschanischen Hauptstadt eine Konferenz mit deutschen Vertretern geplant. Daran soll auch Gromyko teilnehmen. (mg)