„So können wir nicht arbeiten“: Ukrainische Kommandeure schlagen weiter Alarm wegen Artilleriemunition

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Der Munitionsmangel der Ukraine macht sich immer offensichtlicher an der Front bemerkbar. US-Insider warnen: Die Krise beginne jetzt und werde ins Frühjahr hinein noch schlimmer.

Kiew – Für die Ukraine wird es zunehmend schwerer, den russischen Angriffskrieg abzuwehren. Schon seit Monaten warnt Kiew vor Munitionsmangel. Die Mahnungen werden immer dringlicher und kamen zuletzt auch vermehrt direkt von der Front: „Unsere Vorräte gehen zur Neige“, hieß es etwa von einem Kommandeur gegenüber der ukrainischen Zeitung Kyiv Independent. Auch US-Insider warnen: Dies sei nur der Beginn der Krise.

Munitionsmangel im Ukraine-Krieg: Kommandeure warnen vor geringen Vorräten

Die ukrainischen Truppen sparen mit der noch verbliebenen Munition, wo es geht. Schätzungen von der Front zufolge liegt das Verhältnis im Ukraine-Krieg mittlerweile bei eins zu zehn: Auf ein ukrainisches Geschoss feuert Russland zehn. Im vergangenen Sommer sprach ein EU-internes Papier von 20.000 bis 60.000 russischen Artilleriegeschossen pro Tag, während die Ukraine auf 2.000 bis 7.000 Geschosse kam. Ein US-Militärexperte nannte gegenüber der Washington Post noch höhere Zahlen. So oder so: Kiews Truppen haben zunehmend zu wenig für ihre Verteidigung.

Der Preis des Schweißes eines Artilleristen wird am Blut des Infanteristen gemessen.

Es gebe ein Sprichwort, sagte Roman Holodivskyi, der Batteriekommandant der 43. Artilleriebrigade der Ukraine, dem Kyiv Independent. „Der Preis des Schweißes eines Artilleristen wird am Blut des Infanteristen gemessen.‘“ Bislang waren die USA mit Abstand der größte Unterstützer der Ukraine – auch bei der Artilleriemunition. Der Haushaltsstreit zwischen Republikaner und Demokraten und die damit einhergehende Reduktion an Waffenlieferungen macht sich immer deutlicher an der Front bemerkbar.

artilleriemunition artillerie lieferung westen verteidigungskrieg russland
Kaliber 155mm-Artilleriemunition in einem Lager in Deutschland: Munition fehlt der Ukraine an der Front in ihrem Verteidigungskrieg gegen Russland (Symbolbild). © Imago/Michael Schick

Wie es weitergeht, sollte der frühere US-Präsident und Nato-Kritiker Donald Trump wiedergewählt werden, fürchten viele. Ohne die US-Unterstützung könnte Putin den Krieg gegen die Ukraine gewinnen, hieß es aus Kiew und Washington. Europa will zwar selbst mehr Munition produzieren, kommt damit aber nur schleppend voran. Die Konsequenzen sind spürbar: Munitionsmangel ist aus Sicht Washingtons und Kiews der Grund, warum russische Truppen unlängst Awdijiwka einnehmen konnten.

Ukraine kann strategische Ziele teils nicht angreifen, um Munition zu sparen

Selbst sinnvolle Ziele, die sich mit der Artillerie treffen ließen, würde man manchmal in Ruhe lassen, um Munition zu sparen, sagte der Kommandant Vitalii „Skyba“ dem Kyiv Independent. Fünf zusammenstehende russische Soldaten etwa würden nicht mehr ausreichen, um einen Schießbefehl zu erteilen. „Es fühlt sich an, als würden wir nur schießen, wenn wir ein Ziel sehen, während ihre Waffen rund um die Uhr feuern und sie nur zum Spaß ganze Dörfer demontieren“, so Vitalii weiter. „So können wir nicht arbeiten, wir haben oft nur drei Granaten, um ein Ziel zu treffen, und wir erwarten, dass das ausreicht, während sie problemlos 20 Granaten auf ein Ziel abfeuern können.“

So können wir nicht arbeiten, wir haben oft nur drei Granaten, um ein Ziel zu treffen.

Kommandant Holodivskyi spricht von offiziellen Beschränkungen, die es beim Einsatz von Granaten pro Ziel gebe. In einem konkreten Fall gegen eine russische Angriffsgruppe habe er die Erlaubnis erhalten, fünf Geschosse abzufeuern. „Das sind drei für die Einwahl und zwei für den tatsächlichen Schaden. Hätten wir zehn Granaten für diese große feindliche Gruppierung zugelassen, wäre sie vernichtet worden“, so der Kommandeur weiter. Als die US-Waffenlieferungen noch regelmäßig kamen, sparte die Ukraine an Munition und legte sich eine Reserve an. Diese Lager seien nun nur noch zur Hälfte gefüllt, so die Stimmen von der Front.

Putins Rüstungsproduktion liefert Nachschub: Russische „Produktionslinien laufen reibungslos“

Im Jahr 2022 hatte die Ukraine in der Region Cherson zeitweise sogar Artillerieüberlegenheit. Doch das Blatt hat sich gewendet. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte sein Land schnell auf Kriegswirtschaft umgestellt und die Waffen- und Munitionsproduktion angekurbelt. Offenbar mit Erfolg: Die Granaten, mit den russische Truppen schießen würden, seien „2022 oder 2023 hergestellt“, so der Kommandant und ergänzte: Es gebe keinen russischen Munitionshunger, „ihre Produktionslinien laufen reibungslos.“ Die Sanktionskrise währte nur kurz. Schnell fand Moskau Wege, die westlichen Wirtschaftsbeschränkungen zu umgehen.

Tschechien ist sich der Tragweite des Munitionsproblems offenbar bewusst. Binnen weniger Wochen will Prag 800.000 Schuss Artilleriemunition für die Ukraine beschaffen, wie der tschechische Präsident Petr Pavel auf der Münchner Sicherheitskonferenz mitteilte. Es ist höchste Zeit: Bis Ende März könnte die Ukraine mit einem „katastrophalen Mangel an Munition und Luftabwehr“ konfrontiert sein, wenn der US-Kongress den Gesetzesentwurf über 61 Milliarden US-Dollar für Kiew nicht verabschiede. Das sagten zwei anonyme US-Beamte dem Sender ABC News am Mittwoch. „Die Krise beginnt jetzt und wird im Laufe des Frühjahrs und bis in den Sommer hinein immer schlimmer“, hieß es. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Dänemark der Ukraine seine „komplette Artillerie“ für den Kampf gegen Russland zugesagt hat.

Auch interessant

Kommentare