Merz hat ein Grünen-Problem - aber nicht im Bundestag

Eigentlich wollte Friedrich Merz am Donnerstag seine Premiere bei einer Ministerpräsidentenkonferenz feiern. Es wäre ein günstiger Zeitpunkt für den Kanzler, die 16 Landesfürsten auf seinen Kurs einzuschwören. 

Doch daraus wird nichts: US-Präsident Donald Trump hat Merz für Donnerstag eingeladen. Während sich die Ministerpräsidenten in Berlin versammeln, wird der Kanzler jenseits des Atlantiks sitzen. 

Für Merz ist das nicht nur eine ärgerliche Terminkollision, sondern könnte noch zu einem echten Problem für seine geplante Politikwende werden. Denn nicht etwa im Bundestag sitzt seine mächtigste Opposition, sondern im Bundesrat. Die Länderkammer wurde schon immer als potenzieller Stolperstein für Bundesregierungen gefürchtet.

Für Merz entscheidende Gesetz müssen durch den Bundesrat

Sobald ein Gesetzesvorhaben die Interessen der Bundesländer berührt, wird es zustimmungspflichtig. Das heißt: Ohne Zustimmung des Bundesrats kommt es nicht. In den beiden vergangenen Legislaturperioden fielen jeweils etwas mehr als ein Drittel der Gesetzesvorlagen in diese Kategorie. 

Auch jetzt wird die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetzesvorhaben nicht viel kleiner werden – und es werden für Merz ganz entscheidende darunter sein.

Das hat sich in den ersten Wochen von Schwarz-Rot schon zweimal gezeigt. In einem Fall geht es um das für Merz prestigeträchtige Entlastungspaket der Bundesregierung, das die Wirtschaft in Schwung bringen soll. Unter anderem soll darin eine Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und eine Erhöhung der Pendlerpauschale stecken. 

Das macht vielleicht Wirtschaft und Bürger glücklich, es bedeutet aber auch Einnahmeausfälle für den Staat. Weil sich Bund, Länder und Kommunen das Geld aus den entsprechenden Steuern teilen, müsste der Bundesrat zustimmen.

Mit Zauberformel gegen alte Länder-Grundregel

Allerdings kommt hier eine alte Grundregel zum Tragen. Christian Stecker, Politikwissenschaftler an der TU Darmstadt, formuliert sie im Gespräch mit FOCUS online so: "Widerstand in der Länderkammer droht der Bundesregierung, wenn ihre Vorhaben die Länder finanziell schlechter stellen." 

Und tatsächlich: Mehrere Länder haben schon Kritik an dem Entlastungspaket geäußert. Einer Berechnung des Finanzministeriums zufolge würden ihnen bis 2029 mehr als 16 Milliarden Euro Einnahmen entgehen. 

Der Berliner Finanzsenator Stefan Evers, ein Parteifreund von Merz, sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Insbesondere solchen Maßnahmen, die unsere Einnahmen weiter verringern, wird das Land Berlin nicht ohne Weiteres zustimmen können."

Merz ist lange genug im politischen Geschäft, um die Grundregel zu kennen. Im Koalitionsvertrag hat er deshalb ein Zugeständnis gemacht, das zur Zauberformel für die Zustimmung der Länder werden soll. Auf Seite 114 des Papiers ist die sogenannte "Veranlassungskonnexität" geregelt. 

Dahinter steckt die Idee, dass wenn der Bund durch seine Gesetzgebung Mindereinnahmen bei den Ländern verursacht, er auch die finanziellen Lasten tragen muss. Dank aufgeweichter Schuldenbremse kann Merz hoffen, mögliche Konflikte mit Geld zuzuschütten.

Der Bundesrat als Arena der Parteipolitik

Politikwissenschaftler Stecker glaubt, dass das "grundsätzlich eine passende Strategie" sein könnte, um Widerstand im Bundesrat zu überwinden. "Den Bundesrat als eine Arena der Parteipolitik nimmt sie allerdings nicht aus dem Spiel", warnt er. 

Damit verweist der Experte auf eine zweite Grundregel: "Häufig handeln die Landesregierungen im Bundesrat entlang ihrer parteipolitischen Interessen."

Das zeigt sich beim zweiten Gesetzesvorhaben, das zentral für Merz‘ Politikwende ist und durch den Bundesrat muss. Als Teil der verschärften Migrationspolitik will die Bundesregierung die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitern. 

Weil viele Fragen des Ausländer- und Asylrechts auch die Bundesländer betreffen, ist aber im Grundgesetz festgehalten, dass die Benennung neuer, sicherer Herkunftsstaaten einem Gesetz mit Zustimmung des Bundesrats bedarf.

Im Bundesrat könnten Grüne einen Teil der Migrationswende stoppen

Schon die Historie zeigt, dass ein solches Gesetz die Länderkammer kaum passieren würde. Zum Beispiel scheiterte nach einem Bundestagsbeschluss 2019 die Benennung von Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat an den Grünen. Auch derzeit sind die Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer so, dass Merz um diesen Teil seiner Migrationswende fürchten muss.

Von den 69 im Bundesrat möglichen Stimmen sind für zustimmungspflichtige Gesetze mindestens 35 nötig. Allerdings vereinen die Bundesländer, die ausschließlich von Union und SPD regiert werden, nur 16 Stimmen auf sich. Es müssten also auch Bundesländer zustimmen, in deren Landesregierung mindestens eine Partei vertreten ist, die im Bund in der Opposition ist. 

Das ist aber nicht so einfach. Denn wenn die Koalitionspartner in einer Landesregierung keine einheitliche Position finden, müssen sich ihre Vertreter im Bundesrat der Stimme enthalten – sie wird damit wertlos. 

"Damit treten vor allem die Grünen auf den Plan, die durch die Beteiligung an sieben Landesregierungen die stärkste Opposition im Bundesrat bilden können", erklärt Politikexperte Stecker. "So ist zu erwarten, dass zustimmungspflichtige Gesetze in der Migrationspolitik auf den Widerstand der Grünen stoßen."

Cleverer Merz-Trick hat einen großen Haken

Merz will dem zumindest bei den sicheren Herkunftsstaaten mit einem Trick entgegenwirken. Demnach soll in Zukunft per Verordnung über die Liste entschieden werden, nicht mehr per Gesetz. Die Bundesregierung könnte dann ganz ohne Rücksicht auf den Bundesrat nach eigenem Gutdünken über neue sichere Herkunftsstaaten entscheiden. 

Was clever erscheint, hat aber einen großen Haken: Der Plan der Regierung bedarf wahrscheinlich zunächst ebenfalls der Zustimmung der Länderkammer.

Merz könnte in eine Negativspirale geraten

Merz wird also noch viel Kraft aufwenden müssen, um die Gunst der Ministerpräsidenten und ihrer Regierungen zu gewinnen. Und womöglich könnte die Lage für ihn im Laufe der Legislaturperiode noch schwieriger werden, wie Stecker erklärt: "Regieren im Bund macht die Koalitionsparteien unpopulär und werden dann oft bei Landtagswahlen abgestraft." 

Merz könnte also in eine Negativspirale geraten, die den schwarz-roten Stimmenanteil im Bundesrat immer weiter schrumpfen lässt – und dann wiederum das Regieren erschwert.

Im Vergleich zu früheren Kanzlern hat es Merz bei den Gesprächen mit den Ländern auch deshalb schwer, weil dort die Koalitionen immer bunter werden. Waren früher neben Union und SPD in erster Linie Grüne und FDP an Landesregierungen beteiligt, bestimmen dort heute auch Linke, BSW und Freie Wähler mit. Einem Kompromiss ist das nicht zuträglich.

Politikwissenschaftler sieht "großes Demokratieproblem"

Politikwissenschaftler Stecker sieht darin nicht nur Schwierigkeiten für Merz, sondern auch "ein großes Demokratieproblem", das aber konsequent ignoriert werde: "Im Gewand vermeintlich neutraler Länderinteressen beschränken im Bundesrat oft parteipolitische Minderheiten den Handlungsspielraum einer demokratisch legitimierten Regierungsmehrheit im Bundestag."

Darüber zu lamentieren, wird dem Kanzler aber nichts nützen. Wegen seiner Terminkollision während der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag muss er jede Möglichkeit zum Gespräch mit den Ländern nutzen. 

Zum Glück hat sich noch eine kleine Lücke in Merz‘ Terminkalender gefunden: Kurz vor seinem Abflug in die USA am Mittwoch will er noch gemeinsam mit den Ministerpräsidenten zu Abend essen.