Alzheimer bis Übergewicht vorbeugen: Insulin steuert auch Vorgänge im Gehirn

 

Ein wichtiger Risikofaktor für Diabetes, Übergewicht, aber auch kognitive Funktionsstörungen kann also die Insulinunempfindlichkeit der Zellen im Gehirn sein, die Insulinresistenz. Sind hier vor allem Menschen mit Prädiabetes und Diabetes gefährdet oder auch andere?

Heni: Die Insulinresistenz muss nicht in allen Gehirnarealen gleichzeitig auftreten und kann in den verschiedenen unterschiedlich ausgeprägt sein. Manche Menschen sind nur in einem Areal insulinresistent, in den anderen nicht. Weil die Bereiche unterschiedliche Aufgaben haben, können die Folgen ebenfalls differieren.

In den für den Stoffwechsel wichtigen Arealen wie dem Hypothalamus ist Insulinresistenz eng mit Übergewicht und gestörtem Zuckerstoffwechsel verbunden. Dann gibt es Hirnareale, in denen das Alter großen Einfluss auf die Insulinempfindlichkeit hat. Diese Insulinresistenz tritt also nicht überall gleichzeitig auf, vor allem nicht gleichzeitig im Gehirn und im Rest vom Körper.

Insulinresistenz im Gehirn kann also jeden treffen, als frühe „Alterserscheinung“?

Heni: Ja, wir haben vor kurzem eine Studie abgeschlossen, bei der wir die Insulinsensitivität von älteren Menschen untersuchten, die noch keinen Diabetes, aber Prädiabetes hatten. In Hinblick auf ihre weitere kognitive Entwicklung war diese Insulinsensitivität wesentlich wichtiger als der Blutzucker. Diejenigen, die insulinresistent waren, bauten kognitiv wesentlich schneller ab als diejenigen, bei denen das Insulin ganz normal wirkte.

Ist Insulinresistenz im Gehirn eine Folge von Übergewicht und Prädiabetes/Diabetes oder umgekehrt – entsteht Übergewicht und Diabetes durch bereits vorhandene Insulinunempfindlichkeit?

Heni: Das ist die Frage nach Henne und Ei! Es ist eine der schwierigsten Fragen, eine Antwort darauf gibt es nicht. Ich persönliche vermute, dass Insulinresistenz im Gehirn die Ursache sein kann, darauf gibt es einige Hinweise, aber keine Beweise.

Warum entwickeln manche Menschen eine Insulinresistenz im Gehirn schon lange vor dem Eintritt ins Alter und obwohl sie keine Diabetiker sind oder adipös? In einer Studie wurden doch Hinweise gefunden, dass die Prägung für eine verringerte Insulinempfindlichkeit bereits im Mutterleib an den Fötus vermittelt werden könnte?

Heni: Wahrscheinlich gibt es verschiedene Ursachen, die in den verschiedenen Gehirnarealen Insulinresistenz hervorrufen können. Studien zeigten, dass bei Mäusen ein gestörter Zuckerstoffwechsel der Mutter während der Schwangerschaft eine Insulinresistenz des Gehirns beim Nachkommen anlegt.

Beim Menschen gibt es erste Hinweise darauf, dass dies auch ein Risikofaktor sein könnte – ein Schwangerschaftsdiabetes könnte also die Insulinempfindlichkeit des Gehirns beim Kind zwar nicht unmittelbar verändern, aber das Gehirn anfällig machen für eine Insulinresistenz.

Große epidemiologische Studien zeigen, dass sowohl zu hohe Blutzuckerwerte der Mutter, aber auch eine ausgeprägte Unterernährung der Mutter in der Schwangerschaft, für die Kinder später im Leben große Auswirkungen hat: deutliches Risiko für Übergewicht, aber auch für Diabetes. Dabei könnte eine Insulinresistenz des Gehirns mit eine Rolle spielen.

Welche Rolle spielen dabei die Gene?

Heni: Die Erblichkeit des Diabetes ist ja immer noch nicht wirklich geklärt, trotz großer Studien wurde ein verantwortliches Gen nicht gefunden. In der Wissenschaft wird deshalb eine Theorie diskutiert, dass es sich um kurzfristiger auftretende Genveränderung handeln könnte, sogenannte epigenetische Einflüsse. Dadurch werden bestimmte Gene an- oder ausgeschaltet. Die Bereitschaft dafür könnte bereits beim Fötus angelegt werden – wenn die Mutter in der Schwangerschaft erhöhte Blutzuckerwerte hat.

Deshalb achten wir in der Klinik auch besonders auf unsere schwangeren Patientinnen, damit in dieser vulnerablen Phase der Blutzucker möglichst gut kontrolliert ist. Damit wird nicht nur das geburtshilfliche Risiko der Mutter verringert, sondern es ist langfristig auch für das Kind sehr günstig.

Wie lassen sich diese Erkenntnisse nutzen, etwa mit Insulinnasenspray Übergewicht abbauen, aber auch zur Prävention und Behandlung von Diabetes?

Heni: Insulin als Nasenspray eignet sich zwar gut für unsere Studien, weil es uns erlaubt, Insulin gezielt ins Gehirn zu bringen. Eine direkte therapeutische Nutzung sehe ich eher skeptisch. Denn die Menschen, die wir therapieren wollen – etwa Menschen mit Diabetes – haben meist eine Insulinresistenz im Gehirn und das Hormon kann deshalb dort keine Wirkung entfalten. Anders ist das, wenn die Insulinempfindlichkeit im Gehirn stimmt. Pilotstudien zeigen, dass in frühen Stadien von Demenzerkrankungen Insulin als Nasenspray günstige Effekte auf kognitive Fähigkeiten haben kann.

Menschen, die bereits eine Insulinresistenz im Gehirn aufweisen – etwa bei Prädiabetes, Diabetes, Übergewicht oder höherem Alter – profitieren also nicht von dieser direkten Gabe von Insulin?

Heni: Wahrscheinlich ist es hier günstiger, die Insulinempfindlichkeit des Gehirns zu verbessern. Wir untersuchen hierfür eine Reihe von möglichen Ansätzen. Das geht zum ersten etwa durch Gewichtsabnahme. Hier wollen wir noch herausfinden, was dabei im Gehirn genau abläuft, wie also die Gewichtsabnahme die Insulinaufnahme im Gehirn verbessert.

Das zweite, was wir jetzt gerade untersucht haben – die Studie ist noch nicht publiziert – ist ein spezifisches Diabetes-Medikament, bei dem wir zeigen konnten, dass sich die Insulinempfindlichkeit im Gehirn erhöht. Diese Ergebnisse sind deshalb so wichtig, weil man zum ersten Mal beim Menschen erkennen konnte, dass sich Insulinresistenz im Gehirn grundsätzlich therapieren und verbessern lässt. Das wussten wir vorher nicht.

Das nächste Ziel ist deshalb herauszufinden, wie man die Insulinempfindlichkeit im Gehirn steigern kann, am besten aber ohne Medikament oder mit Medikamenten, die möglichst keine Nebenwirkungen haben. Denn Medikamente können im Gehirn manchmal unerwartete Nebenwirkungen auslösen – einfach, weil das Gehirn so viele Funktionen steuert.

Die Senkung der Insulinresistenz könnte aber auch dabei helfen, schädliches Bauchfett abzubauen und Demenz vorzubeugen?

Heni: Wenn es gelingt, die Insulinresistenz des Gehirns zu verringern und die Insulinwirkung im mittleren oder höheren Lebensalter zu steigern, könnte das durchaus günstige Wirkungen haben – auf das Körpergewicht, die Fettverteilung und damit auf das kardiovaskuläre Risiko. Weiterhin könnte es das Risiko für neurodegenerative Krankheiten wie Demenz senken. Deshalb ist es so wichtig, in diese Richtung weiterzuforschen.