Ukrainer über Bürgergeld-Aus: „Ich würde es ja nehmen und später zurückzahlen“

Das Beratungszentrum, das in Berlin für ukrainische Flüchtlinge eingerichtet ist, befindet sich in einem in die Jahre gekommenen Einkaufscenter am Treptower Park. Die Menschen stehen Schlange, warten vor der Glastür auf Hilfe, haben viele Fragen und Dokumente mitgebracht. Geht die Glastür auf, drängen sie nach vorne. "Heute haben wir mehr zu tun als sonst. Ich weiß nicht, ob das jetzt normal ist", sagt eine Beraterin FOCUS online.

Die Ersten in der Schlange haben schon von den neuen Plänen der Bundesregierung erfahren: Ukrainer, die nach dem 1. April nach Deutschland gekommen sind, bekommen künftig kein Bürgergeld mehr, sondern Asylbewerberleistungen. Laut aktuellen Daten erhalten insgesamt 700.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland Bürgergeld, darunter etwa 200.000 Kinder. 

Für rund 83.000 von ihnen fällt die Leistung künftig weg, weil sie nach dem 1. April gekommen sind. Für sie bedeutet die Änderung weniger Geld, die Integration in den Arbeitsmarkt wird schwieriger.

Ukrainer: "Das ist nicht mein Land, meine Stimme hat kein Gewicht"

Einer der Betroffenen ist der 21-jährige Andrii Mikhov. Er kam vor vier Monaten aus Odessa allein nach Deutschland und wohnt in einer Unterkunft am Tempelhofer Feld in Berlin. Junge Männer zwischen 18 und 22 Jahren lässt die Ukraine jetzt ausreisen. Bisher war das wegen des Kriegs verboten. Andrii Mikhov möchte sich im Beratungszentrum über seine Chancen auf dem Jobmarkt informieren. Denn er weiß, dass er künftig kein Bürgergeld mehr bekommen wird. 

In fließendem Englisch erklärt er, dass die Entscheidung der Bundesregierung für ihn zwei Seiten habe. "Das ist nicht mein Land, meine Stimme hat kein Gewicht. Deutschland bietet den Ukrainern sehr viel, das weiß ich. Auf der anderen Seite ist das Leben in Deutschland sehr teuer. Für manche ukrainische Familien reichte schon das Bürgergeld nicht." 

Andrii Mikhov kennt Familien, die ihre Ersparnisse aus der Heimat nach zwei Monaten aufgebraucht haben und jetzt gucken müssen. "Für sie ist die Entscheidung der Regierung nicht gut", sagt der junge Mann. Er studiert Computer-Ingenieurwesen in Odessa. Sein Vorschlag: "Ich würde das Bürgergeld ja nehmen und später zurückzahlen. Ich kenne viele, die es auch so machen würden."

Arbeitsministerin Bärbel Bas ist die Entscheidung, manchen Ukrainern das Bürgergeld zu streichen, schwergefallen.
Arbeitsministerin Bärbel Bas ist die Entscheidung, manchen Ukrainern das Bürgergeld zu streichen, schwergefallen. Elisa Schu/dpa

Bürgergeld-Stopp für Ukrainer: Ärger und Verständnis

Andrii Mikhov hätte seine Mutter gerne mit nach Deutschland genommen. Sie kann aus Angst vor den ständigen russischen Drohnenangriffen nicht mehr schlafen, wie er es sagt. Doch die Mutter wollte ihre Heimat nicht verlassen. "Sie möchte nicht in einer fremden Gesellschaft leben. Doch ich möchte hier leben und arbeiten", sagt der 21-Jährige. 

Wie er durfte auch Miroslov Petryshyn jetzt aus der Ukraine ausreisen. Zusammen mit seiner Mutter lebt der 18-Jährige seit einem Monat in Berlin und fragt jetzt im Beratungszentrum nach seinem Aufenthaltsstatus. Auch er wird kein Bürgergeld, das ja künftig Grundsicherung heißt, bekommen. Zur Kürzung sagt er FOCUS online: "Es ist eine falsche Entscheidung, es zu kürzen, weil viele Menschen Hilfe brauchen. Auf der anderen Seite verstehe ich auch die Deutschen sehr gut, dass sich die Lage in ihrem Land verbessern soll und muss."

Vor dem Zentrum steht auch ein blinder Mann mit Kinderwagen, die Augen sind mit einer Brille aus Kunststoffglas geschützt. Er schaut nach unten. Wie er sich die Verletzung zugezogen hat, möchte er nicht sagen. Ein anderer zeigt seine Unterlagen. Er hat eigentlich einen Termin im Jobcenter, im Beratungszentrum ist er falsch und geht wieder. 

Beratungszentrum sieht viel Arbeit auf sich zukommen

Das Beratungszentrum am Treptower Park in Berlin wird vom Verein "Laru Helps Ukraine" betrieben. Die verantwortliche "Laru"-Projektleiterin Darina Zaretskaya sagt FOCUS online: "Wir müssen schauen, wann das geplante Gesetz überhaupt in Kraft tritt. Auf jeden Fall kommt auf uns jetzt mehr Arbeit zu. Das merken wir jetzt schon." 

Insgesamt leben aktuell etwa 1,25 bis 1,26 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland. Im Oktober 2024 waren es rund 1,26 Millionen, ein Jahr zuvor 1,18 Millionen. Die Beschäftigungssituation der ukrainischen Geflüchteten zeigt, dass laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im vierten Quartal 2024 etwa 242.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit waren. Die Beschäftigungsquote liegt bei etwa 33,2 Prozent (Stand Mai 2025), was einem Anstieg von 40,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.