Ganz anders als Scholz: Jetzt geht Merz auf Konfrontationskurs mit Putin
Es dauerte nur Stunden, da reagierte das Team Putin auf eine Drohung von Friedrich Merz. Die Kreml-Reaktion auf die Ankündigung des deutschen Bald-Bundeskanzlers, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, fiel rüde aus: Merz „wird eingeholt von der Erinnerung an seinen Vater, der in Hitlers Wehrmacht diente. Nun hat Merz einen Militärschlag gegen die Krim-Brücke vorgeschlagen. Denk nach, Nazi (think twice, Nazi)!“
Für die russische Regierung ist gern jeder ein Nazi, der ein Oppositioneller ist. Wie Wolodymyr Selenskyj und nun eben Merz. Die Nazikeule ist für die Russen ein bewährtes Propaganda-Instrument. Es soll nach Innen für Solidarität mit dem Kreml gegen das so erzeugte Feindbild sorgen. Und nach außen soll es einschüchtern.
Vom ersten Kriegstag an haben Putin und die propagandistischen Verbündeten des Moskauer Präsidenten die Deutschen wegen der militärischen Unterstützung für die Ukraine in die nationalsozialistische Ecke gerückt. Es war immer Geschichtsklitterung.
Bevor Hitler die Sowjetunion überfiel, war Stalin sein Verbündeter. Gemeinsam radierten die beiden totalitären Führer Polen aus, nachdem sie sich darauf in einem Pakt geeinigt hatten. Der Pakt mit dem Nationalsozialismus war für die sowjetischen Kommunisten anfangs kein Problem, sondern im Gegenteil ein Mittel zum Zweck ihrer eigenen kolonialen Interessen gegen Polen.
Merz muss sich auf neue Tonlage aus Moskau einstellen
Beim Überfall Hitlers auf die Sowjetunion 1941 mit der Operation „Barbarossa“ wurde nicht Russland das Hauptopfer der Nazis, sondern die Ukraine, die damals Teil der Sowjetunion war. Hitler wollte die „Kornkammer“ kolonialisieren, die meisten der sowjetischen Opfer Hitlers waren Ukrainer.
Putin nennt Selenskyi einen „Nazi“, um seine simplen autoritär-imperialistischen Interessen in eine Heldenerzählung über russischen „Widerstand“ gegen eine angebliche NS-Drohung umzurubeln.
Indem Medwedew, der selbst, nach den ersten beiden Amtszeiten Putins einmal Präsident war, Friedrich Merz nun einen „Nazi“ nennt, sortiert er den deutschen Demnächst-Bundeskanzler in diese Identitätserzählung ein.
Das ist jedenfalls die russische Tonlage, auf die Merz sich jetzt einstellen muss. Sie dürfte schriller werden, falls er am 6. Mai zum Bundeskanzler gewählt werden sollte. Diese Tonlage gegenüber Merz ist neu.
Putin bekommt es mit einer anderen deutschen Russlandpolitik zu tun
Zwar hatten die Russen auch dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Einsatz von Atomwaffen bei fortgesetzter und gesteigerter militärischer Hilfe für die von Putin überfallene Ukraine gedroht. Aber dies geschah weitgehend ohne Geschichtspathos – ohne Nazikeule.
Putin bekommt es bald allerdings mit einer anderen Bundesregierung zu tun. Der Wechsel von Scholz zu Merz ist nicht nur ein Austausch von Köpfen. Sondern auch einer in der Russland- und der Ukrainepolitik. Das wird Folgen haben.
Merz hat die „Zeitenwende“ von Scholz mitgetragen – danach aber war es mit der Einigkeit weitgehend vorbei. Der CDU-Chef kritisierte permanent die Zögerlichkeit des Bundeskanzlers bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Scholz verkaufte sie – stets auch mit Rücksicht auf wichtige Teile seiner eigenen Partei – als „Besonnenheit“.

Die Top-Genossen Klingbeil und Pistorius sind klare Putin-Gegner
Der scheidende Bundeskanzler versuchte, die Bundestagswahl zu gewinnen als „Friedenskanzler“. Damit dürfte es jetzt vorbei sein. Was auch an dem Personalwechsel in der SPD liegt. Der „Russlandversteher“ Rolf Mützenich ist als einflussreicher Fraktionschef der Sozialdemokraten Geschichte, Ralf Stegner spielt allenfalls noch in TV-Talkshows eine Rolle.
Die beiden wichtigsten Genossen, Lars Klingbeil und Boris Pistorius, sind klare Putin-Gegner und Ukraine-Freunde. Vor allem Boris Pistorius ist gegenüber Russland völlig illusionslos: „Frieden in der Ukraine wird in naher Zukunft unerreichbar sein.“
An der Spitze der Bundesregierung steht nun nicht mehr ein Taktierer, sondern ein entschlossener CDU-Mann, an dem russische Drohung mit „Eskalation“ oder mit „Nazi“ abprallen dürften. Merz dürfte ein außenpolitischer Bundeskanzler werden.
Ein Ex-Oberst und CDU-Mann als neue Vizekanzler
Ihm zur Seite steht ein Außenminister, der zum ersten Mal seit 60 Jahren ebenfalls aus der CDU stammen wird. Inhaltlich trennt Merz und den langjährigen Außen- und Sicherheitspolitiker Wadephul, der als Favorit für das Außenamt gilt, nichts.
Wadephul erklärte schon im vergangenen Herbst im Bundestag, weshalb die Bundesrepublik der Ukraine Taurus Marschflugkörper liefern sollte. Militärisch geschult und Ex-Oberst, ist er verbindlich im Ton, und, anders als Annalena Baerbock, frei von jeglicher Hypermoral.
Komplettiert wird das künftige außen- und sicherheitspolitische Trio an der Spitze der Bundesregierung vom neuen Bundesverteidigungsminister, der weiterhin Boris Pistorius heißen dürfte.
Auch Pistorius ist offen dafür, der Ukraine den Taurus zu liefern. Für Moskau heißt dies, was Pistorius so zusammenfasst: „Russland muss verstehen, dass die Ukraine in der Lage ist, weiterzukämpfen.“
Zuletzt hatte eine Koalition der Willigen aus der sogenannten Ramstein-Gruppe der Ukraine noch ein großes Waffenpaket versprochen, etwa „30 Patriot-Raketen aus unserem eigenen Bestand“.
Scholz war stets gegen die Taurus-Lieferung mit der Begründung, deren Steuerung sei ohne deutsche Soldaten nicht machbar. Womit Deutschland direkter Kriegsbeteiligter würde. Dieses Argument spielt weder für Merz noch für Pistorius eine Rolle. Fraglich ist, ob es so auch stimmt.
Putin-Scharfmacher Medwedew weist zu Recht darauf hin, dass Merz Taurus-Raketen liefern will, damit die Ukraine die Kertsch-Brücke zerstören kann. Und in der Tat: Über ein konkretes russisches Angriffsziel bei der ukrainischen Gegenwehr zu reden, ist für einen deutschen Bundeskanzler (in spe) eine Premiere.
Merz spricht ausdrücklich von Zerstörung der Kertsch-Brücke
Merz sagt, die Ukraine müsse endlich aus der Defensive herauskommen – „vor die Lage“. Sie solle selbst „einen Teil des Geschehens bestimmen können“. Ausdrücklich sprach Merz von der „Zerstörung“ der Kertsch-Brücke, über die ein Großteil des russischen Nachschubs vom russischen Festland auf die Krim-Halbinsel gebracht wird.
Das ist mit einer Taurus-Rakete möglich. Es handelt sich um die gefährlichste Waffe, über die die Bundeswehr verfügt. Merz verweist darauf, dass sowohl Briten wie auch Franzosen bereits Marschflugkörper liefern. Und auch Taurus werde nur nach europäischer Absprache geliefert.
Der Kanzler in spe ist schon jetzt im engen Kontakt etwa mit den Franzosen, und weder London noch Paris dürften etwas dagegen haben, wenn sich Deutschland mit seinen Marschflugkörpern bei ihnen einreiht.
Zum deutschen Außen-Trio kann man Brüssel hinzurechnen: Sowohl Kommissionspräsidentin von der Leyen als auch deren Außen-Kommissarin Kaja Kallas sind vehemente Putin-Gegner. Das wird umso wichtiger, als die Bemühungen des US-Präsidenten Donald Trump, einen Frieden zu stiften, mehr oder weniger auf der Stelle treten.
Merz benennt klar "schwerste" russische Kriegsverbrechen
Merz hebt sogar hervor, dass die Bereitschaft des Westens, mit Russland zu verhandeln, von Putin als Schwäche ausgelegt und mit verstärkten Angriffen auf die Ukraine beantwortet wird. Mit verlustreichen Bombardements auf die Zivilbevölkerung, wie am vergangenen Sonntag in Sumy. Merz nennt das klar und unmissverständlich: „schwerste Kriegsverbrechen“.
Die Kertsch-Brücke haben die Ukrainer schon zwei Mal angriffen, einmal mit einem mit Sprengstoff beladenen LKW, danach vom Wasser her per U-Boot. Die Brücke ist Putins Prestige-Objekt, Europas längste Brücke, aber sie ist auch von strategischer Bedeutung.
Fällt die Brücke, können die Russen ihre Truppen kaum noch von der Krim aus mit Kriegsmaterial versorgen. Insofern trifft die Drohung von Merz, die er schon einmal als Oppositionsführer ausgesprochen hatte, Putin an dessen empfindlichsten Punkt.
Sehr zur Freude der Selenskyj-Regierung in der Ukraine. Oleksij Makeiev, deren Botschafter in Berlin, stellte fest: „Kriegsverbrecher überredet man nicht zum Frieden.“ Es helfe nur militärische Stärke.
Schon jetzt wird sichtbar, dass Deutschland mit der neuen Bundesregierung zum wichtigsten Unterstützer der Ukraine wird. Was unter Merz, anders als unter Scholz, nicht nur eine rhetorische Ankündigung bleiben dürfte.