Vor 70 Jahren: Tragseil der Herzogstandbahn reißt, Sessel stürzen ab – „Plötzlich krachte es“

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Glück im Unglück: Die Seilbahn auf den Herzogstand war an diesem Tag nur wenig besucht. Die Seilklemmen aus Österreich (rechts) waren nicht für die Steigung geeignet. © Christoph Schnitzer

Es war das schlimmste Szenario, das man sich für eine Seilbahn vorstellen konnte: Vor 70 Jahren, am Sonntag, 20. März 1955, riss um 13.30 Uhr an der Herzogstandbahn das Tragseil.

Walchensee – Ein Zahnarzt (44) und ein Metzger-Ehepaar, alle drei aus München, fielen mit ihren Einer-Sesseln in die Tiefe und hatten beim Aufprall keine Chance. Fünf weitere Fahrgäste wurden schwer verletzt. Ein 34-jähriger Penzberger erlitt Gehirnblutungen. Seine Witwe war überzeugt, dass er fünf Jahre später an den Spätfolgen des Unglücks starb. Eine der Überlebenden, Luise W., stürzte und rutschte 50 bis 60 Meter ab und erlitt so schwere Verletzungen, dass sie 25 Wochen in der Orthopädischen Klinik in München bleiben musste. Vor Gericht erinnerte sich die 28-Jährige an nichts mehr: „Ich muss sofort bewusstlos gewesen sein.“

Nur 15 Fahrgäste waren unterwegs

Ihr Bekannter und Seilbahn-Nachbar Franz S. (34) schilderte den Schreckensmoment so: „Plötzlich krachte es. Ich kippte hintüber und sauste rückwärts in die Tiefe. Wie oft ich mich überschlagen habe und wie lange ich ohne Besinnung war, weiß ich nicht mehr. Ich hörte Fräulein W. um Hilfe rufen und bin auf allen Vieren zu ihr hingekrochen.“ Mit anderen Helfern zog sie der nur Leichtverletzte dann zur Bergstation hinauf. Glück im Unglück: Zur Mittagszeit war wenig los. Nur 15 Fahrgäste waren unterwegs. Eine Reisegruppe, die auf den Herzogstand wollte, war noch im Bus unterwegs. 

Ein Werbefoto für die Unglücksbahn: Am 20. März 1955 riss das Tragseil. Drei Menschen starben, fünf wurden verletzt.
Ein Werbefoto für die Unglücksbahn: Am 20. März 1955 riss das Tragseil. Drei Menschen starben, fünf wurden verletzt. © Christoph Schnitzer

36 Brüche im geflochtenen Stahlseil fest

Wie hatte es zu so einem Unglück kommen können? Fast eineinhalb Jahre nach dem Seilriss begann vor dem Landgericht München der Strafprozess, der einige Überraschungen zutage fördern sollte. So stellte sich heraus, dass der private Bergbahnbetreiber neuartige Seilklemmen aus Österreich für die Einzelsessel verwendet hatte, die aber noch nie bei einer derartigen Steigung (Durchschnittsneigung: 68 Prozent) und so einer Länge der Bahn (1420 Meter) eingesetzt worden waren. Der Staatsanwalt monierte fehlende regelmäßige Überprüfungen der Anlage, insbesondere des Seils und der Klemmen. An der Stelle, wo das Seil an der verhängnisvollen Klemme sieben gerissen war, stellten Gutachter 36 Brüche im geflochtenen Stahlseil fest. Auch bei allen anderen Klemmen seien mehr oder weniger zahlreiche Brüche entdeckt worden.

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Nur äußerst oberflächliche Untersuchungen

Der zuständige Betriebsleiter P. sei zudem kein Seilbahnspezialist, sondern nur Ingenieur gewesen. Er habe nur äußerst oberflächliche Untersuchungen vorgenommen und nicht, wie vorgeschrieben, „alle 14 Tage zehn Prozent der Klemmen“.

Mehrere Haftstrafen

Das Urteil fiel drastisch aus: Betriebsleiter Hans P. wurde schließlich zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Auch der angeklagte Seilbahnunternehmer Wilhelm K. aus der Nähe von Penzberg sowie Oberregierungsrat Maximilian S. aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium kamen nicht ungeschoren davon und erhielten jeweils viermonatige Haftstrafen auf Bewährung. K. habe den falschen Mann zum Betriebsleiter gemacht, S. sei seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen.

Eine Seilklemme, wie sie verwendet wurde. An der Stelle, wo das Seil riss, stellten Fachleute 36 Drahtbrüche fest.
Eine Seilklemme, wie sie verwendet wurde. An der Stelle, wo das Seil riss, stellten Fachleute 36 Drahtbrüche fest. © Christoph Schnitzer

Unangenehmes Nachspiel für die Opfer

Das Unglück hatte noch ein äußerst unangenehmes Nachspiel für die Opfer. Der private Seilbahnunternehmer war unterversichert gewesen. Eine Frau, die einen Halswirbelbruch erlitten hatte, musste zwei Jahre kämpfen, um 2000 Mark Entschädigung zu erhalten, schreibt der Münchner Merkur in einer Zehn-Jahres-Rückschau 1965. Nicht nur das: Der Unternehmer drehte den Spieß um und leitete aus der mangelhaften staatlichen Aufsicht Schadenersatzansprüche gegenüber dem Freistaat ab. In einem Grundsatzurteil wies der Bundesgerichtshof dieses Ansinnen 1965 zurück.

Ein Jahr nach dem Unglück fuhr die Bahn wieder

Ein Jahr nach dem Unglück fuhr die Bahn wieder: mit neuem Seil, besseren Klemmen und Sesseln, die zur Seite gedreht waren. Die heutige Kabinenbahn existiert seit 1994. (Christoph Schnitzer)

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