Das steckt hinter der Statistik: Arbeiten wir wirklich weniger als früher? So sieht die Wahrheit aus

In den vergangenen Wochen plädieren vor allem Ökonomen dafür, dass die Deutschen wieder mehr arbeiten sollten, um die aktuelle Wirtschaftskrise zu bewältigen. „Über mehr Freizeit kann man nur bei steigendem Wohlstand reden“, sagt etwa Ifo-Chef Clemens Fuest. Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, würde gerne einen Feiertag abschaffen. 

Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Statistik der OECD. Demnach leistete der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer im Jahr 2023 nur 1343 Arbeitsstunden. Damit ist Deutschland Letzter im Ranking von 34 OECD-Ländern, für die es Daten gibt. Den letzten Platz haben wir dabei seit Jahren gebucht. Die Statistik zeigt auch, dass die Arbeitsstunden bei uns immer weiter sinken. Zur Jahrtausendwende waren es noch 1466 (damals Drittletzter), 1970 sogar noch 1960 Stunden, nur knapp unter dem internationalen Durchschnitt. Arbeitet der durchschnittliche Arbeitnehmer heute also wirklich 600 Stunden weniger pro Jahr als vor 55 Jahren?

Wie die Teilzeitquote die Statistik beeinflusst

Die OECD-Statistik wird sehr simpel berechnet. Die internationale Organisation zählt dafür alle in einem Land und Jahr geleisteten Arbeitsstunden und teilt diese durch die durchschnittliche Zahl der Erwerbstätigen im Jahresverlauf. Das bedeutet aber auch, dass Voll- und Teilzeitarbeiter in einen Topf geschmissen werden. Hat ein Land also acht Vollzeitarbeiter mit 40 Arbeitsstunden pro Woche und zwei Teilzeitarbeiter mit 20 Arbeitsstunden, würde die OECD-Statistik im Schnitt 36 Arbeitsstunden ausgeben. Kommen jetzt zwei weitere Teilzeitarbeiter im nächsten Jahr hinzu, sinkt die Zahl plötzlich auf 33,3 Stunden – ohne, dass irgendwer auch nur eine Stunde weniger arbeitet als zuvor.

Dieser Effekt trifft stark auf Deutschland zu. Mit 20,8 Prozent haben wir eine der höchsten Teilzeitquoten aller untersuchten Länder. Gerade bei Frauen ist sie mit 34,5 Prozent sehr hoch. Dabei ist die Frauenerwerbstätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Heute haben 73,6 Prozent einen Job, noch 1990 waren es nur 57 Prozent. Doch viele dieser neu geschaffenen Jobs sind eben Teilzeitjobs. Somit sagt die sinkende Zahl der Arbeitsstunden erst einmal wenig darüber aus, ob der durchschnittliche Deutsche weniger arbeitet als vor einigen Jahrzehnten – sondern nur, dass viele Teilzeitjobs hinzugewonnen wurden. Tatsächlich hat sich die Teilzeitquote von 1991 bis 2023 nach Definition des Statistischen Bundesamtes – sie unterscheidet sich von der OECD-Definition – von 14 auf 31 Prozent mehr als verdoppelt.

Vollzeitbeschäftigte arbeiten weniger

Aber: Auch Vollzeitbeschäftigte arbeiten heute nicht mehr so viel wie früher. Das liegt besonders daran, dass Gewerkschaften stetig für eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit kämpfen. Die 5-Tage-Woche wurde etwa erst 1956 eingeführt, erst ab 1965 gelangen die ersten Tarifabschlüsse, in denen die 40-Stunden-Woche durchgesetzt wurde. 1984 ging es erstmals auf 38,5 Stunden nach unten, 1995 dann auf 35 Stunden. Vor zwei Jahren forderte die IG Metall erstmals die Vier-Tage-Woche mit 32 Arbeitsstunden, hat diese aber in Tarifverhandlungen bisher nicht durchgesetzt.

Das führt dazu, dass auch die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten sinkt. 1970 lag sie nach Angaben des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsfeldforschung (IAB) bei 1939 Stunden, 2023 waren es noch 1592 Stunden pro Jahr – ein Rückgang von rund 18 Prozent. Verantwortlich dafür ist ein Rückgang der tariflichen Arbeitsstunden von 41,5 auf 38,2 pro Woche im Schnitt (minus 8 Prozent), ein leichter Rückgang der durchschnittlichen Krankentage und ein starker Anstieg der Urlaubstage von 21,9 auf 31 pro Jahr (plus 41 Prozent). Zudem sank die Zahl der Überstunden um mehr als 80 Prozent.

Übrigens: Das gilt ebenfalls für Teilzeitjobs. Auch hier sank die Zahl der durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Jahr um 23 Prozent.

Fazit: Ja, wir arbeiten wirklich weniger

Am Ende bleibt also festzuhalten, dass der durchschnittliche deutsche Erwerbstätige deutlich weniger arbeitet als noch vor 55 Jahren. Für Teilzeitbeschäftigte sind es rund 221 Stunden weniger pro Jahr, für Vollzeitbeschäftigte rund 346 Stunden. Dass sich das so entwickelt hat, ist aber auch Zeichen von Wohlstand, denn die einzelne Arbeitsstunde ist seitdem immer produktiver geworden. Wir arbeiten also auch weniger, weil wir es uns leisten können. 

Historisch gesehen ist das übrigens immer noch viel. Ein mittelalterlicher Bauer aus dem 14. Jahrhundert hatte zwar 12-Stunden-Arbeitstage, davon aber nur rund 120 bis 150 pro Jahr. Damit kam er nur auf 1440 Arbeitsstunden. Oder anders ausgedrückt: Mit einem Vollzeitjob arbeiten Sie heute immer noch mehr als ein mittelalterlicher Bauer.