Düstere Wirtschaftsprognose: „Es ist kein Spaß mehr, wir müssen uns ganz neu aufstellen“

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Mehr als 320 Gäste füllten am Donnerstagabend das Tölzer Kurhaus, als Wirtschaftsforum Oberland, IHK und Handwerkskammer wieder zum gemeinsamen Neujahrsempfang eingeladen hatten. © Pröhl

Über 320 Besucher kommen zum Neujahrsempfang von IHK, Handwerkskammer und Wirtschaftsforum ins Tölzer Kurhaus. Beim Wirtschaftstalk fallen deutliche Worte.

Bad Tölz – Selten zuvor wurden die düsteren Wirtschaftsaussichten so drastisch dargestellt wie von Manfred Gößl, dem Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, beim Neujahrsempfang der heimischen Wirtschaft im Tölzer Kurhaus am Donnerstagabend. In einem Vergleich der deutschen Wirtschaftsleistung mit einem Fußballspiel sagte er: „Europa hat zuletzt fünf Tore geschossen, die USA zwölf, wir keins. Wir haben eine echte Strukturkrise. Es ist kein Spaß mehr, wir müssen uns ganz neu aufstellen.“

Zum Wirtschafts-Talk trafen sich auf der Kurhaus-Bühne (v.li.) Landrat Josef Niedermaier, Heinz Tretter, Moderatorin Veronika Ahn-Tauchnitz, Monika Uhl und Wolfgang Gößl.
Zum Wirtschafts-Talk trafen sich auf der Kurhaus-Bühne: (v.li.) Landrat Josef Niedermaier, Heinz Tretter (Handwerkskammer), Moderatorin Veronika Ahn-Tauchnitz, Monika Uhl (Wirtschaftsforum Oberland) und Wolfgang Gößl (IHK). © Scheitterer

Tal der Tränen oder jammern auf hohem Niveau?

An dem Wirtschaftstalk nahmen unter der Moderation von Veronika Ahn-Tauchnitz, Redaktionsleiterin des Tölzer Kurier, neben Gößl noch Landrat Josef Niedermaier, Heinz Tretter, Mitglied des Vorstands der Handwerkskammer, und Monika Uhl, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Wirtschaftsforums Oberland, teil. Dabei wollte die Moderatorin von ihren Gesprächspartnern wissen, ob „wir uns tatsächlich im Tal der Tränen befinden oder ob einmal mehr lediglich auf hohem Niveau gejammert wird“. Die Antwort war eindeutig, denn in den vergangenen fünf Jahren sei nicht einmal die Wirtschaftsleistung von 2019 erreicht worden. Von einem „verlorenen Jahrzehnt“, sprach Gößl da.

Hauptkritikpunkt: Es gibt zu viel Bürokratie

„Zu viel Bürokratie“, lautete einer der Hauptkritikpunkte, als nach Lösungsansätzen gesucht wurde. So sprach Tretter von künstlich aufgebauten Problemen im Handwerk, dem es ansonsten noch vergleichsweise gut gehe.

Rückläufig sei weiterhin die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen stellte Monika Uhl fest und meinte: „Unserer von Zukunftsängsten geprägten Jugend fällt es sehr schwer, Entscheidungen zu treffen.“ Zudem war sie der Meinung, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) viele Berufe künftig radikal verändern werde. Sie forderte: „Die Unternehmen müssten der Jugend mehr Sicherheit geben.“ Zudem seien Praktika offenbar das geeignete Mittel, um Hemmschwellen abzubauen: „Sechs von zehn Jugendlichen steigen über vorherige Praktika in eine Ausbildung ein.“

Fachkräftemangel bessert sich? „Ein Trugschluss“

Nach wie vor herrsche zudem großer Fachkräftemangel, auch wenn sich hier allmählich etwas Erleichterung abzeichne, wie Tretter anmerkte. „Ein Trugschluss“, entgegnete da Gößl: „Die Suche nach Fachkräften geht nur etwas zurück, weil es weniger Aufträge gibt.“

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Von einem „Wucher der Bürokratie“ sprach der Landrat und forderte: „Viele Verfahren müssten einfacher gemacht werden. Wir brauchen wieder einfachere Regeln.“ Bei den Wünschen an die Politik stand bei Gößl „Ehrlichkeit“ und „Verlässlichkeit“ an erster Stelle. Zudem forderte er, alle neuen Regeln einem Wachstums-Check zu unterziehen. Mit „mehr Rückgrat“ fasste Tretter seine Wünsche an die Politik kurz zusammen, und Monika Uhl wünschte sich: „Weniger verwalten und dafür mehr inhaltlich arbeiten.“ Fehler zu erkennen und abzustellen sei besonders wichtig, meinte Niedermaier und stellte fest: „Wir Deutschen sind ein Angstvolk, das muss wieder weg.“

Viel Zeit zum Netzwerken im gemütlichen Teil

Dass die ganze Dramatik des fehlenden Wirtschafts-Wachstums noch gar nicht sichtbar sei, erklärte dann Franz Xaver Peteranderl, der Präsident der Handwerkskammer, in seinem Vortrag „Wirtschaft – Quo vadis“. Er unterfütterte das vorher Gesagte mit Zahlen und forderte schließlich: „Ich hoffe auf eine stabile neue Regierung, die das Vertrauen in Betriebe und Kunden wieder zurückbringt.“

Dann ging es für die mehr als 320 Gäste zum gemütlichen Teil über. Bei Essen und Getränken blieb viel Zeit zum Plaudern und Netzwerken.

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