Balkonkraftwerke: Mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein - „Decken ein Fünftel“

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Teil der Energiewende: Wolfgang Dallmayer aus Miesbach sieht in Balkonkraftwerken großes Potenzial. Über den Tag verteilt und besonders im Winter können die Anlagen zur gleichmäßigen Erzeugung beitragen. © Thomas Plettenberg

Balkonkraftwerke sind mehr als nur Nischenprodukte. Auch im Winter können sie sich lohnen. Energieexperte Wolfgang Dallmayer erklärt, warum.

Miesbach – Sie brauchen nicht mehr als eine Steckdose und ein Geländer: Sogenannte Balkonkraftwerke sind selbst für Mieter einfach zu installieren und auch im Landkreis entsprechend beliebt. Warum die kleinen Panels mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, wie viel Strom damit gespart werden kann und warum sich der Kauf gerade auch im Winter lohnt, verrät PV- und Solarexperte Wolfgang Dallmayer.

Der Miesbacher ist seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bayerischen Zentrum für angewandte Energieforschung. Als Versorgungsingenieur für Systemtechnik sieht der 62-Jährige großes Potenzial in der Technik – auch für das große Ziel der Energiewende.

Herr Dallmayer, verglichen mit Anlagen auf Dächern sind Balkonkraftwerke winzig. Lohnt sich die Installation trotzdem?

Wolfgang Dallmayer: Die meisten Balkonanlagen bestehen aus zwei Modulen, die einzeln verschaltet sind. Bei einer Solaranlage auf dem Dach werden die Module stattdessen in Reihe geschaltet. Wenn hier ein Modul im Schatten liegt, wirkt sich das auf die gesamte Anlage aus – was bei Balkonkraftwerken nicht passiert. Das macht sie unheimlich effizient. Bei einer entsprechenden Anzahl liefern sie auch einen relevanten Anteil an Strom. Ein Haushalt, der 2500 Kilowattstunden (kWh) im Jahr verbraucht, kann mit einem Balkonkraftwerk ein Fünftel davon decken, wenn der Verbrauch an die Sonnenstunden angepasst wird. Wird der Verbrauch nicht gesteuert, ist der Eigenverbrauchsanteil entsprechend geringer. Aber ein Tropfen auf den heißen Stein sind Balkonkraftwerke sicher nicht.

Die Anlagen tragen also zur Energiewende bei.

Dallmayer: Definitiv. Der Landkreis hat etwa 100 000 Einwohner. Bei im Schnitt zwei Personen pro Haushalt macht das rund 50 000 Wohnungen. Ein Teil davon liegt im Erdgeschoss, ein Teil im Dachgeschoss, andere haben keinen Balkon. Aber wenn nur zehn Prozent der Wohnungen ein Balkonkraftwerk installieren können, macht das bei 5000 Anlagen á 500 kWh im Jahr ein Potenzial von 2,5 Millionen Kilowattstunden. Das ist deutlich mehr als der Jahresertrag des Fröttmaninger Windrads.

Bei Schnee spielen Balkonkraftwerke Stärke aus

Klappt das nicht nur bei schönem Wetter?

Dallmayer: Im Gegenteil: Der Vorteil der Balkonkraftwerke liegt darin, dass sie die Erzeugung vergleichmäßigen. Durch ihren steilen Aufstellwinkel werden sie nicht zugeschneit. Während PV-Anlagen auf unseren flachgeneigten Dächern schon bei wenigen Zentimetern Schneeauflage nichts mehr produzieren, reflektiert Neuschnee am Boden das Licht zu 95 Prozent. Ein Teil davon wird an den Balkonbrüstungen in Strom umgewandelt. Gleiches gilt für die direkte Einstrahlung der im Winter sehr tief stehenden Sonne, die in einem günstigen Winkel auf die Balkonkraftwerke trifft. Ganz grob ist zwar die Globalstrahlung der Sonne im Sommerhalbjahr dreimal so hoch wie im Winterhalbjahr. Das kann nicht ganz ausgeglichen werden, aber Balkonkraftwerke helfen gerade bei der Deckung des Winterstromverbrauchs. In Kombination mit einer Wärmepumpe ist das besonders attraktiv.

Schneiden die Anlagen im Sommer dann umso schlechter ab?

Dallmayer: Insgesamt nicht. PV-Anlagen auf dem Dach sind vorzugsweise in Richtung Süden ausgerichtet. Balkone gibt es vielfach auch mit Ost- und Westausrichtung. Wenn die Summe der Anlagen besser verteilt ist, kann das Spitzen zur Mittagszeit verhindern und Strom auch ohne Speicherung gleichmäßig über den Tag produzieren. Das ist nicht unerheblich für das Stromnetz.

Das Einspeisen dürfte sich für den Verbraucher aber kaum lohnen.

Dallmayer: Für Balkonkraftwerke gibt es keine Einspeisevergütung, da sie unterhalb der Bagatellgrenze liegen. Bei einer Vergütung von etwa acht Cent pro kWh nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und Stromtarifen jenseits der 30 Cent ist es aber sowieso besser, den Strom selbst zu verbrauchen. Allerdings sind besonders in der Anfangszeit viele Zähler ohne Sperre rückwärts gelaufen. Das ist erlaubt, wenn das Energieversorgungsunternehmen (EVU) informiert wurde – es ist für den Zählerwechsel verantwortlich. Aber: Wer den Versorger nicht informiert, betrügt. Insgesamt sind die Anlagen für das EVU trotzdem lukrativ, weil der eingespeiste Strom weiterverkauft wird, sobald er durch die Zähler anderer Kunden fließt. Hat der Erzeuger eine Rücklaufsperre, ist dieser Strom für das EVU geschenkt. Hat er keine, ist es für den Versorger quasi ein Nullsummenspiel.

Gestaltungssatzungen regeln rechtlichen Rahmen

Allerdings sind die Anlagen nicht überall erlaubt.

Dallmayer: Das richtet sich nach der jeweiligen Gestaltungssatzung. In Miesbach wurde diese beispielsweise extrem gelockert. In Schliersee dagegen sind Balkonkraftwerke nur sehr eingeschränkt und in Rottach-Egern gar nicht erlaubt. Mein Eindruck ist aber, dass viel geduldet wird. Es ist heutzutage fast nicht mehr durchzusetzen, dass PV-Anlagen wieder abgenommen werden müssen. Entsprechend großzügig wird das oft gehandhabt. Natürlich kann man die Module optisch ungünstig montieren, man kann sie aber auch ansprechend gestalten.

Haben Sie Tipps zur Installation?

Dallmayer: Viele Universalhalterungen aus den Baumärkten funktionieren wegen der im Oberland üblichen breiten Holzbalkonbrüstungen nicht. Seilkonstruktionen oder Kabelbinder sind aber gefährlich. Man muss schon die dazu passenden Halter finden. Die Standardmodule ragen oft über die Balkonbrüstungen hinaus, was wirklich nicht gut aussieht. Ich berate bei den von mir verkauften Modulen auch zur Montage und wechsle teilweise auch das Format.

Genau das begeistert viele Menschen.

Dallmayer: Gerade die räumliche Nähe zu den Modulen führt zu mehr Akzeptanz. Der Ertrag der meisten Balkonkraftwerke kann mittels einer App ausgelesen werden. Das motiviert und interessiert die Leute. Ich kenne viele, die wegen des Sonnenertrags plötzlich viel wetterfühliger sind (lacht).

Das Gespräch führte Jonas Napiletzki.

So sind die Anlagen im Landkreis verteilt

Wer ein Balkonkraftwerk in Betrieb nimmt, muss neben dem Energieversorger auch die Bundesnetzagentur informieren. Das passiert mit einem Eintrag im sogenannten Marktstammdatenregister. Für den Landkreis Miesbach sind dort (Stand November) gut 130 „steckerfertige Solaranlagen“ eingetragen, die sich – mit Ausnahme von Kreuth – auf alle Städte und Gemeinden verteilen.

Mit über 30 Anlagen befindet sich knapp ein Viertel davon in Holzkirchen. Am zweitmeisten gibt es in Miesbach. 19 Stück sind in der Kreisstadt gemeldet, darunter auch an Hauswänden, Terrassen und auf Garagen. In Schliersee gibt es elf Anlagen, die auch auf Vordächern montiert sind, womit die Gemeinde gleichauf mit Otterfing liegt. Weniger Anlagen gibt es in Waakirchen (acht) sowie in Tegernsee und Gmund (beide sieben). Ebenfalls sieben Anlagen gibt es in Fischbachau, wovon sechs Stück erst heuer installiert wurden. In allen übrigen Gemeinden sind zwischen einem und fünf Balkonkraftwerken registriert.

Wolfgang Dallmayer hält die Gesamtzahl für realistisch. „Ich glaube nicht, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist“, schätzt der PV-Experte. nap

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