Putin verspricht, uns nicht anzugreifen: Ist das „Narwa-Szenario" jetzt vom Tisch?

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Nach dem Alaska-Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin sorgt ein ungewöhnliches Zugeständnis für Schlagzeilen: Die USA könnten der Ukraine Sicherheitsgarantien anbieten, die dem Nato-Artikel 5 ähneln – ohne dass ein Nato-Beitritt notwendig wäre. Präsident Trump bezeichnete die Gespräche als "große Fortschritte in Sachen Russland".

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US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Hoffnung oder Illusion?

Geopolitik-Experte Klemens Fischer von der Universität Köln bewertet die Entwicklung differenziert: "Die US-amerikanischen Sicherheitsgarantien sind so vorgeschlagen worden, dass man der Forderung Russlands entgegenkommt, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen. Wie genau die Sicherheitsgarantie aussehen soll, ist nicht klar kommuniziert worden. Sie wird dem Artikel 5 des Nato-Vertrags aber nicht völlig entsprechen."

Russlandexperte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck warnt: "Derzeit wird hart darum gerungen, was denn unter 'Sicherheitsgarantien' zu verstehen ist. Bedeutet das die Anwesenheit westlicher Soldaten in der Ukraine, die im Falle einer weiteren Aggression Russlands gegen dessen Armee kämpfen werden? Nahezu unvorstellbar. Auch eine Beistandsgarantie für die Ukraine, modelliert nach Artikel 5 des Nato-Vertrages, ist letztlich keine Garantie."

Trotz dieser Einschränkungen bezeichnete Selenskyj die zugesagten US-Garantien als "historisch". Es bleibt jedoch offen, wie belastbar diese Schutzversprechen tatsächlich sind.

Was ist Putins Nichtangriffsversprechen wert?

Parallel zu den US-Angeboten gab Putin ein weiteres, für viele überraschendes Signal: Er wolle keine weiteren ukrainischen Gebiete angreifen, sollte ein Friedensabkommen zustande kommen. Laut Steve Witkoff, Trumps Sondergesandtem für Russland, solle dieses Versprechen auch gesetzlich in Russland verankert werden – und Russland sei bereit, ein ähnliches Nichtangriffsversprechen ganz Europa zu geben.

Wladimir Putin und Steve Witkoff
Laut Steve Witkoff soll Russland signalisiert haben, bei einem Friedensabkommen keine weiteren ukrainischen Gebiete anzugreifen. Auch könnte es ein ähnliches Nicht-Angriffsversprechen für Europa geben. Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Doch wie ernst sind diese Zusagen? Fischer erklärt: "Eines der Ergebnisse des Alaska-Gipfels ist die Zusage Putins, den Krieg nicht weiter fortzusetzen, wenn seine Forderungen erfüllt werden. Dieses Nichtangriffsversprechen ist aber nur so viel wert, wie es von der Gegenseite, also den Europäern und hoffentlich auch den US-Amerikanern, abgesichert werden kann." 

"Von Putin selber sind derartige Aussagen nicht nachgewiesen"

Gleichzeitig warnt er vor der Wirkung russischer Propaganda: "Die Kreml-Propaganda ist eben genau das: Es ist Propaganda, die wohl mehr nach innen als nach außen gerichtet ist. Von Putin selber sind derartige Aussagen nicht nachgewiesen, es ist die zweite Reihe, die hier 'Redezeit' bekommt. Diese Propaganda ist einfach die normale Begleitmusik derartiger Ereignisse und sollte nicht wörtlich genommen werden, was ja doch das Ziel der Propaganda wäre."

Mangott ergänzt: "Auf ein Versprechen Putins oder auch ein Abkommen kann die Gewährleistung von Sicherheit nicht aufgebaut werden. Wort und Schrift sind für Putin elastisch und bisweilen nichtig. Kein Szenario ist damit vom Tisch, auch wenn einzelne Szenarien als mehr oder weniger wahrscheinlich gelten dürfen."

Ist das Narwa-Szenario damit vom Tisch?

Mangott bezieht sich damit auch auf das sogenannte Narwa-Szenario. Ein russischer Angriff auf Nato-Gebiet bei gleichzeitigem Ablenkungsmanöver Chinas im Pazifik bleibe eine relevante militärische Planungsgröße. 

Fischer betont: "Alle militärischen Planspiele basieren auf dem Grundsatz der maximalen Gefahr, um auszuloten, wie reaktionsbereit und reaktionsfähig man ist. Europa muss rasch wieder so massiv aufrüsten, dass der russischen Seite verdeutlicht wird, die Nato kann jederzeit auf einen Angriff antworten."

Narwa
Das Narwa-Szenario: An der Grenze zwischen Estland und Russland wächst die Sorge vor einer möglichen Eskalation – Narwa gilt als potenzieller Brennpunkt im Baltikum. imago

Trump, Putin, Selenskyj und Merz: Wer steuert die Bühne der Weltpolitik?

Die jüngsten Entwicklungen werfen auch die Frage auf, wie stark Putin und Trump bereits miteinander verflochten sind – und welche Handlungsspielräume Selenskyj oder Kanzler Merz noch haben.

Fischer analysiert: "Trump steht zuallererst auf seiner eigenen Seite und vertritt US-amerikanische Interessen. Seine außen- und sicherheitspolitischen Wahlversprechen waren eindeutig: Die USA ziehen sich aus allen Kriegen zurück, die sich nicht unmittelbar gegen die USA richten, und der Fokus wird auf den Pazifik gerichtet, da China als entscheidende Herausforderung betrachtet wird. Die europäische Sicht ist hier nahezu diametral."

Mangott sieht die Einflussmöglichkeiten der Europäer skeptischer: "Trump ist kaum festzuzurren. Er ändert Positionen und Zusagen, wie es ihm beliebt – oder wie es ihm zuletzt eingeflüstert wird. Ich glaube nicht, dass Selenskyj und die Europäer heute viel an den derzeitigen Vorhaben Trumps ändern werden können. Das Treffen ist kein Verhandlungstreffen, sondern ein Informationstreffen."

Merz und Selenskyj bei Trump: "Das ist die One-Million-Dollar-Frage"

Das heutige Treffen in Washington zwischen Selenskyj, Kanzler Merz und Trump könnte dennoch kleine Fortschritte bringen – vor allem, wenn es gelingt, Trump einen eigenen Vorteil aufzuzeigen. Fischer erklärt: "Vorhersagen für den Ausgang sind die 'One-Million-Dollar-Frage'. Wenn ich dennoch eine Prognose wage: vorsichtiger Optimismus für kleine weitere Zugeständnisse, die Trump mit Putin besprechen könnte."

Putins Nichtangriffsversprechen und die US-Sicherheitsgarantien könnten also zwar diplomatische Fortschritte markieren, ihre praktische Belastbarkeit bleibt jedoch höchst fraglich. Europa und die Ukraine stehen vor der Herausforderung, politische Signale in reale Sicherheit umzuwandeln – während Trump und Putin die Weltpolitik weiter nach eigenen Regeln orchestrieren.