„Für viele existenzbedrohend“: Trickbetrüger sind im Oberland aktiv – fast jeden Tag neue Fälle
Beinahe täglich werden Fälle gemeldet, bei denen Menschen Opfer von Trickbetrügern wurden. Oft sind ältere Menschen betroffen, aber auch jüngere Leute gehen den Verbrechern auf den Leim und verlieren dabei viel Geld. Obwohl viele Betrugsmaschen bekannt sind: Sich davor zu schützen, ist schwerer als man denkt.
Bad Tölz – Kriminalhauptkommissar Simon Bräutigam steht unter Strom. Er fuchtelt mit den Armen, läuft hin und her, spricht mit energischer und kräftiger Stimme. Was ihn umtreibt? Bräutigam hat einen ganzen Stapel an Fallbeispielen mitgebracht, bei denen Menschen aus dem Oberland Opfer von Trickbetrügern wurden. „Bad Tölz: 30 000 Euro durch einen Schockanruf verloren“, liest er vor. „Peißenberg: 100 000 Euro durch eine angebliche Spende. Wildsteig: 272 000 Euro mit einem Geldanlagebetrug.“ All das, betont er, seien nur Fälle aus diesem Jahr. „Beinahe jeden Tag kommt ein neuer dazu.“
Raiffeisenbank im Oberland verhindert 300 Fälle von Trickbetrug
Bei einem Vortrag im Finanzturm der Raiffeisenbank im Oberland will Bräutigam aufklären, aber auch wachrütteln. „Alle hier haben schon mal davon gehört und glauben, informiert zu sein“, sagt er an die rund 25 Zuhörer gerichtet. Er ist Kriminalpolizeilicher Fachberater in der Polizeiinspektion Weilheim und für die Kreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Weilheim-Schongau zuständig. Bräutigam kennt die Menschen gut, die durch die Kriminellen ihr hart Erspartes verloren haben. „Für viele ist das existenzbedrohend. Nicht nur bei den großen, sondern auch bei den kleineren Summen“, unterstreicht er.
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Das Phänomen Trickbetrug sei seit einigen Jahren bekannt, sagt Raiffeisenbank-Vorstand Johannes Paul. Das Geldinstitut setze eine Software zur Erkennung von verdächtigen Überweisungen ein. „In diesem Jahr hatten wir bisher rund 2000 Meldungen, davon waren 300 Betrugsversuche, die wir glücklicherweise noch verhindern konnten“, so Paul. Grundgedanke sei: „Trickbetrug verhindern, bevor er passiert.“
Falsche Polizeibeamte und Bankmitarbeiter kommen oft aus dem Ausland
Simon Bräutigam spricht bei den Betrügern von „eiskalten, überfallartigen und bösartigen Maschen“. Doch er warnt auch vor einer Illusion: „Alleine zu wissen, wie die Täter vorgehen, reicht nicht.“ Die Verbrecher würden genau dann zuschlagen, wenn die Betroffenen „keinen Schutzschirm“ aufgebaut hätten. Gegen die Verbrecher könne man polizeilich nur schwer vorgehen, denn: „Die Betrüger sitzen alle im Ausland. Geldanlagebetrug kommt fast ausschließlich aus Litauen. Obwohl das in der EU ist, können wir nichts machen“, sagt er und wirkt ratlos. Einige der Täter seien auch Angehörige türkisch-arabischer Clans in der Türkei, die in Deutschland aufgewachsen sind. Trickbetrüger seien, vermutet der Kriminalhauptkommissar, auch eine Art Wirtschaftsfaktor und brächten „willkommene Devisen“.
Der Experte unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Arten von Trickbetrügern: den falschen Polizeibeamten und den falschen Bankmitarbeitern. „Einem vermeintlichen Polizisten bringt man am Telefon viel Vertrauen und Respekt entgegen“, so Bräutigam. „Die Täter nutzen intuitiv die Schwachpunkte der Menschen und das Grundvertrauen in den Staat aus.“ Die Betrüger kommunizierten dabei nicht freundlich, sondern seien im Gespräch sehr hart und fordernd. „Sie sind skrupellos und gierig“, so Bräutigam. Bei falschen Bankgeschäften seien die Täter besonders kaltblütig: Oft werde die Nummer des tatsächlichen Kundenberaters auf dem Telefondisplay der Opfer angezeigt.
Jeder kann Opfer von Trickbetrügern werden
Für den Umgang mit falschen Polizeibeamten rät der Kriminalhauptkommissar, bei einem unguten Gefühl sofort die 110 zu wählen und nachzuhaken – selbst wenn die vermeintlichen Polizisten schon vor der Tür stehen. Auch einen Polizeiausweis könne man schließlich fälschen. Immerhin: Wer eine Uniform trage, sei verlässlich, so Bräutigam. „Ich kenne keinen Fall, wo die Betrüger in Polizeiuniform gekommen sind.“ Schließlich falle die Kleidung auf. „Und die Kriminellen scheuen es wie der Teufel das Weihwasser, gesehen zu werden.“
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Jeder kann Opfer von Trickbetrügern werden, betont Simon Bräutigam gebetsmühlenartig. Was ihn besonders ärgert: Viele Opfer bekämen zu hören, sie seien selbst schuld. „Wie können wir es wagen, so etwas zu sagen?“, schimpft der Beamte. „Wie absurd ist es, dass man sich dafür schämen muss, Opfer geworden zu sein?“ Auch deshalb gebe es eine hohe Dunkelziffer an Taten, die nie ans Licht kämen. Bräutigam appelliert daher: „Seien Sie nachsichtig mit den Opfern!“ Denn ihre Sichtweise hat der Kriminalhauptkommissar stets im Hinterkopf. Und das Thema Trickbetrug wird ihn wohl auch noch viele weitere Jahre beschäftigen. (vfi)