Geheim-Papier offenbart Unions-Chancen gegen die AfD – und einen Wermutstropfen

Das Papier des Marktforschungsinstitutes Rheingold zum strategischen Umgang mit der AfD ist bislang bei der CDU eine parteiinterne Verschluss-Sache. Zu viele strategische Überlegungen steckten da drin, um sie Monate vor einem Landtags-Wahlmarathon auf den Markt zu werfen, erfuhr FOCUS online aus Parteikreisen. 

AfD: Abtrünnige Unions-Wähler sind rückholbar

Dabei bietet das Strategiepapier dem Vernehmen nach für die CDU genügend positive Anknüpfungspunkte, jenseits der Brandmauerdiskussion programmatisch klar in die Wählkämpfe der kommenden Monate zu ziehen. 

Die positive Botschaft der Studie, die explizit keine demoskopische, sondern eine sozialpsychologische ist, lautet: Menschen, die aus Enttäuschung – etwa über die Sozialdemokratisierung der Union oder über die außer Kontrolle geratene Migration jetzt AfD wählen, sind rückholbar. 

Triggerpunkte Frust, Angst, Verzweiflung 

Denn es seien “Triggerpunkte” wie Frust, Angst und Verzweiflung, die Menschen AfD wählen lassen. Darunter seien sogar Menschen, die eigentlich inhaltliche Probleme mit Programminhalten der AfD haben. Diese sogenannte “kognitive Dissonanz” der Frustwähler will die Union durch klare Kante aufbrechen.

Das bedeutet zugleich, dass nicht alle Wähler der AfD rechtsradikal sind. Strategisch verbietet sich für die Union folgerichtig alles, was auch nur den Hauch einer Wählerbeschimpfung in sich trägt.

Wenn Friedrich Merz nun die AfD zum Hauptgegner erkläre, meine er das weit ernster als das Wahlkampfgeplänkel gegen die Grünen im vergangenen Bundestagswahlkampf, sagen Insider.

Strategiebegrenzung 1: Wähler mit rechtsextremem Weltbild

Im CDU-Präsidium wurden dem Vernehmen nach im Anschluss an die Vorstellung des Strategiepapiers auch negative Aspekte diskutiert, die zwei andere Wählergruppen betreffen: So gibt es nicht erst seit der Ära Merkel, sondern über die Geschichte der gesamten Bundesrepublik hinweg ein Potenzial von Wählern mit mehr oder weniger verfestigtem rechtsextremem Weltbild. 

Diese Wähler seien definitiv für die Union verloren, heißt es. Darüber gibt es dem Vernehmen nach aber auch kein Bedauern. Insofern hat sich die Union von der Devise des früheren CSU-Langzeit-Vorsitzenden Franz Josef-Strauß, dass rechts von der Union kein Platz für andere Parteien bleiben dürfe, endgültig verabschiedet.

Was diese Wählergruppe angeht, herrscht in der Union eher die nüchterne Erkenntnis vor, dass diese Gruppe schwer zu gewinnen sei, weil sie traditionell in der Union eine Art „Klassenfeind“ sehe. Andererseits ist es der Union bei der Durchsetzung der neuen Grundsicherung gelungen, genau diese arbeitende Mittelschicht anzusprechen – also das frühere Kernmilieu der SPD. 

Brandmauer immer weniger ein Thema

Die Brandmauer in der klassischen Variante – also keine Verabredungen, keine Zusammenarbeit und keine Koalition mit der AfD – steht in der CDU. Das hat auch die Präsidiumssitzung noch einmal gezeigt. Trotzdem will sich die Union diese Debatte nicht länger von außen aufdrängen lassen.

Denn das Schlagwort der "Brandmauer“ ist keine Unionserfindung. Es stammt vielmehr vom damaligen AfD-Chef Jörg Meuthen, der es vor zehn Jahren in seinem (erfolglosen) Abwehrkampf gegen die Rechtsextremisten in seiner Partei aufbrachte. Mittlerweile nutzt ihn vor allem die linke Konkurrenz der Union – um diese in ihren politischen Absichten moralisch in Zweifel zu ziehen.

An dieser Stelle könnte es für die Union sicherlich interessant sein, die Äußerungen von Deutschlands dienstältestem SPD-Ministerpräsidenten, Dietmar Woidke aus Brandenburg, näher zu analysieren. Der rief der AfD gerade zu: "Die AfD hat es in der Hand, die Brandmauer noch heute überflüssig zu machen, (…) indem sie alle Extremisten, alle Neonazis, alle ehemaligen NPD-Mitglieder und viele andere, die diesen Staat verachten, die die Demokratie und die Freiheit verachten, rausschmeißen."