Wichtige Rolle bei Koalitionsgesprächen - Links, unbelehrbar, unkaputtbar: SPD-Nervensäge Esken ist Deutschlands mächtigste Frau

Zu Beginn der Sondierungsgespräche hat Saskia Esken ihr Wort gegeben: „Ich verspreche, dass ich nerve“, sagte die SPD-Chefin. Sie deutete damit einfach zur Stärke um, was ihr sowohl beim Verhandlungspartner Union als auch in der eigenen Partei viele unterstellen: dass Esken nervig ist, unbelehrbar, vielen Bürgern unsympathisch – und deshalb fehl am Platz in so einer zentralen politischen Rolle.

Doch genau in der hält sich Esken schon ziemlich lange. Bei einem Mitgliedervotum wurde die damals weitestgehend unbekannte Politikerin gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans 2019 zur SPD-Vorsitzenden gewählt. Sechs Jahre ist seit Willy Brandt nur Sigmar Gabriel im Amt geblieben. Weil bei den Gesprächen über eine schwarz-rote Koalition bei der Union nur Männer in der ersten Reihe stehen, ist Esken in den Sondierungen sogar zur mächtigsten Frau Deutschlands aufgestiegen. 

Esken mag nervig sein, die 63-Jährige ist aber scheinbar auch unkaputtbar. Nach dem schlechtesten SPD-Bundestagswahlergebnis der Nachkriegsgeschichte wünschen sich viele Sozialdemokraten eine personelle Neuaufstellung. Doch als Esken am Wahlabend von Journalisten nach einem Rücktritt gefragt wurde, erwiderte die Vorsitzende, sie arbeite seit fünfeinhalb Jahren an der Geschlossenheit der SPD und wolle das auch weiterhin tun.

Esken hat die SPD zur Geschlossenheit bekehrt

Es gibt viele Gründe für die Erfolgsgeschichte der Saskia Esken. Einer hängt tatsächlich mit eben jener Geschlossenheit zusammen. Die Politikerin aus Baden-Württemberg wurde 2019 auch deshalb zur Vorsitzenden gewählt, weil die SPD und ihre Führungsfiguren in den Jahren zuvor chronisch zerstritten waren. Ein neues Gesicht kam da gerade recht.

Und tatsächlich schaffte es Esken zusammen mit Walter-Borjans, die Partei vorübergehend zu befrieden. Das lag auch daran, dass die Vorsitzende eigene Interessen zurücksteckte. Eigentlich war sie als Gegnerin der damals regierenden Großen Koalition angetreten. Doch Kanzlerin Angela Merkel und Esken entwickelten schnell ein gutes Verhältnis. Von Gedankenspielen über einen Austritt aus der Koalition war in der SPD keine Rede mehr.

Auch bei der Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2021 legte Esken jegliche Eitelkeiten beiseite. Sie schlug Olaf Scholz für die Position vor – gegen den sie bei der Vorsitzenden-Wahl zuvor noch erbittert gekämpft hatte. Esken begründete damit einen kaum für möglich gehaltenen Wahlsieg.

Merz braucht Esken für eine Koalition

Ein weiterer Erfolgsgrund ist Eskens linke Positionierung. Zum einen wirkte das lange Zeit nach innen: Der linke Flügel fühlte sich durch sie gut repräsentiert. Allgemein pflegte die Vorsitzende gute Kontakte zur Parteibasis. Selbst bei schmerzhaften Koalitionskompromissen wussten die Mitglieder, dass in der Führung jemand ist, der kämpft und es sich nicht leicht macht mit einer Einigung.

Während Esken die innerparteilichen Bindungskräfte aber über die Jahre stückweise abhandengekommen sind, wirkt ihr Linkskurs noch immer nach außen. In den derzeit laufenden schwarz-roten Koalitionsgesprächen ist die SPD-Vorsitzende Nervensäge und der personalisierte erhobene Zeigefinger. 

CDU-Chef Friedrich Merz weiß, dass er nicht nur den eher pragmatischen Co-SPD-Chef Lars Klingbeil überzeugen muss. Ohne Esken keine Einigung – mit ihrer bloßen Anwesenheit in den Gesprächen kann sie deutlich machen, dass auch der linke Parteiflügel einverstanden sein muss mit dem Koalitionsvertrag. Wird dieser wie in den vergangenen Jahren der SPD-Basis zur Abstimmung vorgelegt, muss die Parteiführung um jede Stimme kämpfen. Merz weiß das und wäre deshalb womöglich gut beraten, wie Merkel ein gutes Arbeitsverhältnis zu Esken aufzubauen.

Esken fühlt sich in der Nervensägen-Rolle wohl

Esken fühlt sich in der Rolle der linken Nervensäge offenbar wohl. Schon vor den Sondierungen beschwerte sie sich öffentlich, dass Merz sich bei Klingbeil gemeldet hätte, bei ihr aber nicht. Dem Eindruck, die beiden würden alles Wichtige ohne sie besprechen, tritt die Vorsitzende offensiv entgegen.

Vor einigen Tagen äußerte sich Klingbeil bei einer Pressekonferenz zu den Sondierungsgesprächen. Eigentlich war der Termin schon beendet, da ergriff Esken noch einmal das Wort: „All die wichtigen Fragen, die Sie jetzt gestellt haben und die wir zu besprechen haben, werden ganz sicher nicht die Männer unter sich ausmachen.“ Sie reagierte damit offenbar auf die Aussage eines Politikwissenschaftlers, der kurz zuvor Gegenteiliges behauptet hatte.

Auch bei der Pressekonferenz zur schwarz-roten Schulden-Einigung spielte sich ein kleiner Kampf zwischen Esken und einem Mann ab. Gerade als sie zu ihrem Redebeitrag ansetzen wollte, begann CSU-Chef Markus Söder seine Ausführungen. 

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SPD-Chefin Saskia Esken spricht bei einer Pressekonferenz zur schwarz-roten Schulden-Einigung. CSU-Chef Markus Söder ist derweil mit sich selbst beschäftigt. Kay Nietfeld/dpa

Als er fertig war und Esken doch noch an die Reihe kam, stichelte sie: „Markus Söder klang, als hätten wir Koalitionsverhandlungen schon abgeschlossen. Noch ist es nicht ganz so weit.“ Söder tippte derweil demonstrativ auf seinem Smartphone herum.

Esken bleibt beharrlich – auch trotz Forderung nach Talkshow-Verbot

Mit ihrer Beharrlichkeit könnte Esken für die SPD noch eine wichtige Rolle in den Koalitionsverhandlungen spielen. Auch wenn ihr der Wind hart ins Gesicht bläst, die SPD-Chefin bleibt einfach stehen. Am deutlichsten wurde das im vergangenen Jahr. 

Nach dem islamistischen Anschlag in Solingen hatte Esken gesagt, aus dem Fall lasse sich nicht besonders viel lernen. Mit Blick auf die wiederholt unglücklichen Äußerungen ihrer Parteichefin sagte die Brandenburger SPD-Politikerin Katrin Lange daraufhin: „Fürs Erste wäre schon einiges gewonnen, wenn bestimmte Leute grundsätzlich nicht mehr an Talkshows teilnehmen würden. Es ist nämlich unerträglich.“

Esken war das genauso egal wie die Niederlage bei der Bundestagswahl. Offenbar mit Erfolg: Zwar gibt es immer wieder vereinzelt Rücktrittsforderungen, doch in der Parteiführung hat sich dem Vernehmen nach bislang niemand klar gegen sie gestellt. Das liegt auch an einem weiteren Faktor, der in Eskens Geschichte eine wichtige Rolle spielt: ihr Geschlecht.

Esken-Nachfolgerin noch nicht in Sicht?

Sogar viele Sozialdemokraten, die Esken grundsätzlich kritisch sehen, wollen eine Sache vermeiden: Dass Lars Klingbeil nach der Wahlniederlage die Macht in der SPD die Macht an sich reißt, während die weibliche Co-Vorsitzende als Sündenbock abtreten muss. Ulrike Häfner, Vorsitzende der SPD-Frauenorganisation, sagte dem „Spiegel“, in Machtfragen müssten Frauen in der Partei gleichberechtigt sein. „Alles andere wäre unglaubwürdig und nicht konsistent in einer progressiven Partei.“ 

Wie der „Spiegel“ analysiert, ist die SPD aber dennoch eine ziemlich männliche Partei. In gewisser Weise spielt das Esken sogar in die Karten. Denn eine aussichtsreiche weibliche Nachfolgerin, die es laut Partei-Statuten unbedingt bräuchte, gibt es derzeit nicht.

Lange wurde die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger gehandelt, doch Medien berichteten zuletzt, dass sie nicht nach Berlin wechseln will. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommer, Manuel Schwesig, belastet immer noch die Nord-Stream-Affäre. EU-Vizeparlamentspräsidentin Katarina Barley ist in Brüssel zu weit weg. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist zwar beliebt, hat aber bislang keine vernehmbaren Ansprüche erhoben.

Nur wenige halten Esken für ministrabel

Vorerst hat die unkaputtbare Esken also wenig zu befürchten. Ein Wechsel in ein Ministeramt könnte für sie eine gesichtswahrende Alternative sein, ist aber unwahrscheinlich. Bislang wird Esken dafür nicht gehandelt. Besonders gute Voraussetzungen würde sie nach Meinung der Bürger auch nicht mitbringen: Laut einer Forsa-Umfrage halten nur 27 Prozent Esken für geeignet. Zum Vergleich: Boris Pistorius finden 85 Prozent ministrabel, bei Lars Klingbeil sind es 58 Prozent.

Vielleicht macht Esken also einfach unbeirrt als Parteivorsitzende weiter. Oder sie ist in den Koalitionsverhandlungen noch einmal so richtig beharrlich – und überrascht ihre entnervten Kritiker dann ein letztes Mal: Mit einem Koalitionsvertrag, der ihre Handschrift trägt, als letztem Abschiedsgruß.