Ukraine-„Selbstmordmission“: Der hohe Preis der Dnipro-Überquerungen – 1000 Tote für Nichts?
Trotz brutaler Verluste hielt die Ukraine lange am Ostufer des Dnipro fest. Ein neuer Bericht enthüllt erschütternden Details dieser Bemühungen.
Kiew – Der Fluss Dnipro trennte über weite Zeiträume des Ukraine-Kriegs hinweg die ukrainischen und russischen Truppen. Im Südosten des umkämpften Landes, in der Region Cherson, wurde er zu einer natürlichen Grenze, die für beide Seiten schwer zu überwinden ist. Einem neuen Bericht zufolge, hat die ukrainische Armee für ihre wiederholten – und letztlich gescheiterten – Versuche, auf dem russisch besetzten Ufer an Gelände zu gewinnen, einen hohen Preis gezahlt.
„Allen Widrigkeiten zum Trotz haben die ukrainischen Verteidigungskräfte am linken [östlichen] Ufer des Dnipro Fuß gefasst“, so der Leiter der Präsidialverwaltung der Ukraine, Andrij Jermak, Mitte November 2023. Langfristig, so die Hoffnung Jermaks damals, werde man die besetze Halbinsel Krim „Schritt für Schritt entmilitarisieren“. Immerhin habe man schon „70 Prozent der Strecke“ zurückgelegt.
Dnipro als Grenze gegen Putin: Hoher Preis für missglückte Offensive im Ukraine-Krieg
Die Operation galt als Versuch der Ukraine, die russische Verteidigung im Süden zu durchbrechen und das Blatt im Krieg zu wenden. Doch Soldaten, die an den Flussüberquerungen teilnahmen, beschrieben die Offensive damals Medien gegenüber als brutal und sinnlos. Ganze Wellen ukrainischer Truppen seien am Flussufer oder im Wasser niedergeschlagen worden, noch bevor sie die andere Seite erreichten.

Ein neuer Bericht der New York Times gibt jetzt, ein Jahr später, einen Einblick in die verlustreichen Bemühungen und veranschaulicht das Leid der ukrainischen Streitkräfte. Die Erzählungen stammen von Soldaten der 126. Territorialverteidigungsbrigade, die Reporter der Zeitung im Frühjahr 2024 begleitet haben. Diese Elitetruppe, so heißt es dort, sei unter anderem von britischen Spezialeinheiten ausgebildet worden. Seit nun fast zwei Jahren führe sie, zusammen mit Marineinfanteriebrigaden und Spezialeinheiten des Geheimdienstes, Operationen gegen russische Streitkräfte in Cherson durch.
Amphibischer Angriff auf Krynky: Ukrainische Soldaten berichten von „Selbstmordmission“
Besonders in Erinnerung geblieben ist den Soldaten offenbar ein groß angelegten amphibischen Angriff auf das Dorf Krynky am Ostufer im Oktober 2023, der mit Einheiten mehrerer Marinebrigaden durchgeführt wurde. Unter den ukrainischen Streitkräften sei dieser als „Selbstmordmission“ berüchtigt. Welle um Welle seien die Männer über den Fluss befohlen worden, um russische Stellungen anzugreifen – ohne dabei viel zu erreichen.
So stark sei die russische Feuerkraft gewesen, so einige der Männer in Interviews, dass viele mitten im Fluss oder vor dem Aufbruch beim Verladen in die Boote getötet worden seien. Und diejenigen, die das Ostufer erreicht hätten, seien über die Leichen ihrer Kameraden geklettert, um in einer Mondlandschaft ohne Schutz, und übersät mit Bombenkratern und zersplitterten Bäumen, an Land zu gehen.
Russlands Offensive auf Cherson: Hunderte Boote für Flussüberquerung vorbereitet
Trotz anfänglicher Erfolge bei der Einnahme von Krynky und drei weiteren kleinen Siedlungen am Ostufer des Flusses verloren die ukrainischen Streitkräfte im folgenden Zeitraum langsam die Kontrolle über das Gebiet. Im von Russland kontrollierte Territorium konnten keine nennenswerten Fortschritte erzielt werden; die Brückenköpfe mussten angesichts der russischen Übermacht schließlich aufgegeben werden. Eine Untersuchung der in Kiew ansässigen Nachrichten-Website Slidstvo ergab, dass nach neun Monaten des Kampfes um die Siedlung mindestens 262 ukrainische Soldaten gefallen waren. Weitere 778 werden noch immer vermisst.
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Seit kurzem ist es jetzt offenbar die russische Armee, die ihre Bemühungen den Dnipro zu überqueren intensiviert. Russische Truppen würden in Richtung Cherson stürmen, um auf einigen Inseln im Dnipro-Delta Fuß zu fassen, so der Sprecher des Südkommandos des ukrainischen Militärs, Vladyslav Voloshyn, am Mittwoch (4. Dezember) gegenüber dem ukrainischen TV-Sender Suspline.
Seine Äußerungen erfolgten, nachdem der Gouverneur der Oblast Cherson, Oleksandr Prokudin, der Financial Times mitgeteilt hatte, dass Russland „eine weitere Offensive“ in Richtung Cherson starten wolle. Russland habe „300 Boote zusammengestellt, um den Fluss zu überqueren“, so Prokudin dort weiter. (tpn)