Ukraine spricht von mehr als 4000 Fällen: Putin soll Chemiewaffen im Krieg einsetzen

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Wladimir Putin nutzt bei seiner militärischen Kriegsführung offenbar nicht nur rigorose, sondern auch illegale Mittel. Laut ukrainischen Berichten soll er auch Chemiewaffen verwenden.

Kiew/Moskau – Seit Beginn von Russlands Ukraine-Krieg im Februar 2022 werden die beiden direkten Kriegsparteien immer wieder auf die grundlegenden Möglichkeiten ihrer militärischen Kriegsführung zurückgeworfen. Während Wladimir Putin mit hohen Material- und Personalverlusten kämpft, ist Wolodymyr Selenskyj zur Verteidigung gegen Russland seit jeher auf internationale Hilfen angewiesen. Essenziell ist bei ihrer Abstimmung, welche Waffen der Ukraine bereitgestellt werden – aber auch, welche russischen Ziele ihre Streitkräfte mit ausländischen Waffen angreifen.

Als äußerst effektives Mittel gegen Putins Truppen hat sich unlängst das US-Panzerabwehrsystems „Javelin“ erwiesen. Aber auch ihre erste eigens produzierte ballistische Rakete testeten die ukrainischen Streitkräfte vergangene Woche (27. August) erfolgreich. Putin dagegen bleiben bei seiner militärischen Kriegsführung mehr Freiheiten, die er zu teils rigorosen Angriffen nutzt. Nun wird ihm von ukrainischer Seite vorgeworfen, auch chemische Waffen in großem Stil im bisherigen Kriegsgeschehen an der Front eingesetzt zu haben.

Im Ukraine-Krieg setzt Putin seit Jahresbeginn scheinbar vermehrt immer häufiger illegale chemische Kampfstoffe ein. Dies ging nun aus Berichten ukrainischer Offiziere und Soldaten hervor.
Training von Chemieschutzeinheiten des russischen Militärs (Symbolbild) © IMAGO / Depositphotos

Putin setzt seit Jahresbeginn deutlich häufiger illegale Chemiewaffen gegen die Ukraine ein

In insgesamt mehr als 4000 Fällen sollen Putins Truppen chemische Kampfstoffe an der Front angewandt haben, wie nun aus einer Befragung ukrainischer Soldaten und Offiziere durch das ukrainische Medium Kyiv Independent hervorging. Sie bestätigten, dass diese Taktik effektiv ist und es dem Kreml ermöglicht, gelegentlich ukrainische Stellungen einzunehmen, ohne sie zu komplett zu zerstören.

Signifikant ist den ukrainischen Offizieren und Soldaten zufolge eins: Der Einsatz chemischer Kampfstoffe an der Front ist seit Dezember 2023 deutlich gestiegen. Allein in diesen inzwischen rund neun Monaten hätten ukrainische Streitkräfte über 3100 Fälle von Chemiewaffen-Angriffen Russlands an der Front gemeldet, und damit den weitaus größten Anteil an der vermeintlichen Gesamtmenge.

Dies markiere einen deutlichen Anstieg im Vergleich zu den 600 zuvor initiierten russischen Chemiewaffen-Einsätzen, die bis Jahresbeginn 2024 von der Ukraine dokumentiert worden waren. Es legt nahe, dass Putin den Einsatz illegaler Chemiewaffen seit Januar noch einmal verstärkt zu einem Teil seiner militärischen Kriegsführung gemacht hat.

Russland wandte an der Front offenbar den illegalen chemischen Kampfstoff Chlorpikrin an

Ukrainische Soldaten berichteten von bis zu sechs Gasangriffen pro Tag. Wenn Russland illegalen chemischen Waffen gegen die Ukraine einsetzt, dann in der Regel etwa zwei- bis dreimal pro Stunde. Einer ukrainischen Statistik zufolge erreichten die gemeldeten Fälle im Mai 2024 mit 715 russischen Chemiewaffen-Angriffen einen Höchststand. Über die Sommermonate hinweg gingen sie dagegen wieder langsam zurück. Für den Monat August liegen bislang noch keine Daten vor, zuletzt wurden jedoch auch Vermutungen über den Einsatz russischer Chemiewaffen in der umkämpften Grenzregion Kursk laut.

Im Frühjahr warf das US-Außenministerium dem Kreml vor, russische Streitkräfte hätten den chemischen Kampfstoff Chlorpikrin in der Ukraine eingesetzt. Die Ankündigung war Teil einer größeren Erklärung über die Einführung neuer US-Sanktionen gegen mehr als 280 russische Personen und Einrichtungen.

„Der Einsatz solcher Chemikalien ist kein Einzelfall und wird wahrscheinlich von dem Wunsch der russischen Streitkräfte angetrieben, die ukrainischen Streitkräfte von befestigten Stellungen zu verdrängen und taktische Gewinne auf dem Schlachtfeld zu erzielen“, erklärte das US-Außenministerium damals. Washington behauptete, dass Moskau durch den Einsatz von Aufstandsbekämpfungsmitteln als Methode der Kriegsführung gegen das Chemiewaffenübereinkommen verstoßen habe.

Russland bestätigte bereits, verbotene Aerosolgranaten gegen die Ukraine benutzt zu haben

Eigentlich wird Chlorpikrin als Herbizid eingesetzt. Nach Angaben des US-amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) kann der Kontakt mit seinen Dämpfen zu schweren Haut- und Augenreizungen führen. Wird Chlorpikrin eingeatmet, kann es auch den inneren Organen schaden.

Russische Marine-Infanterieeinheiten haben bereits bestätigt, dass sie illegale K-51-Aerosolgranaten verwendet haben, die mit dem Tränengas CS (2-Chlorbenzalmalonitril) gefüllt waren. Tränengas dient sonst unter anderem dem Zweck, außer Kontrolle geratene und potenziell gefährliche Menschenmengen wieder unter Kontrolle zu bringen. Solche zur Gruppe der „Riot Control Agents“ bezeichneten Stoffe sind dem internationalen Chemiewaffenübereinkommen zufolge in der modernen Kriegsführung verboten.

Anfang Mai (7. Mai) erklärte die Behörde zur Kontrolle von chemischen Waffen (OPCW), dass keine ausreichenden Beweise für einen russischen Chemiewaffen-Einsatz im Kriegsgebiet in der Ukraine vorlägen, wie unter anderem die Tagesschau damals meldete. Russland und die Ukraine hatten sich zuvor gegenseitig beschuldigt, verbotene chemische Kampfstoffe im Krieg gegeneinander einzusetzen. Jene Anschuldigungen seien jedoch „unzureichend begründet“, hieß es zu jenem Zeitpunkt. Sowohl Russland als auch die Ukraine haben die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet. Damit haben sie sich verpflichtet, alle Bestände chemischer Kampfstoffe zu vernichten und sie nicht zu ihrer militärischen Kriegsführung in Betracht zu ziehen. (fh)

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